Das sind die 100 besten Songs aller Zeiten
Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf den ersten Platz geschafft!
18. Radiohead – „Paranoid Android“
Die Leadsingle aus Radioheads erstem Meisterwerk OK COMPUTER war in jeder Hinsicht ein Witz: Mit einem sechseinhalbminütigen vielgesichtigen Prog-Rocker an die Radios herantreten? Lächerlich. Dann der Titel: Thom Yorke erachtete den depressiven Roboter Marvin aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ als geeignete Karikatur auf sich oder besser: auf das, was die Medien in ihm sahen. Dementsprechend unpersönlich ist der Text. Vorgetragen wird er allerdings mit einer Intensität, die tief unter die Haut geht. Die Stelle, an der das Monsterriff von Gitarrist Jonny Greenwood den verzweifelten „Rain down, rain down“-Teil zerschneidet, ist eine der wirkungsvollsten Explosionen der Musikgeschichte. Ausgerechnet mit ihrer komplexesten Single stand die Band am höchsten in den britischen Charts, auf Platz drei.
17. Talk Talk – „I Believe In You“
Näher als hier, in diesen 6 Minuten und 24 Sekunden, ist die Populärmusik des 20. Jahrhunderts dem Sakralen nicht gekommen. Nun zielt der Pop auf alles Mögliche, aber selten sicher auf das Erhabene. Geht der Schuss nur knapp daneben, entsteht Müll. Er geht oft daneben, deshalb wandern wir über Gletscher aus Kitsch. „I Believe In You“ ist, um im Bild zu bleiben, anders. Ein seltener Schuss ins Schwarze. Diese Nähe zum Erhabenen hat den Song fast durchsichtig gemacht, er ist ein Netz mit weiten Maschen und Schlingen der Ruhe. Das ist die Rhythmusgruppe aus Lee Harris am Schlagzeug und Paul Webb am Bass, das offene Rückgrat dieses Songs. Eine traurige, aber schwebende Leichtigkeit ist das, das komplette Instrumentarium beim Jazz der 60er-Jahre und dieses Hingetupfte bei Erik Satie geborgt, um sie in etwas viel Größeres einzubauen. Alles fliegt. Knapp über dem Boden nur, aber es fliegt. Das würde schon reichen, ist doch im Spätwerk dieser Band alles nur Fließen und Wogen, Anbranden und Abebben. Bei „I Believe In You“ aber öffnet sich der Himmel, erklingt dieser Frauenchor und ergießt sein ewiges Licht über die 80er-Jahre. Die aber haben die Sonnenbrille aufgesetzt und weitergetanzt.
16. New Order – „Blue Monday“
Gleich am Anfang, wenn das manische Schreibtischhaken der Bassdrum einsetzt, ist klar: Hier passiert gerade etwas Neues, Aufregendes. Im Hintergrund stimmt der Sequencer ein, gefolgt von Bass und Snaredrum, der Bruchteil einer Sekunde absolute Stille, dann wieder der Bass, der Drumbeat, schließlich der triste Sprechgesang von Bernard Sumner. Dass das der Anfang für einen der bahnbrechenden Dance-Tracks zu Beginn der Achtziger sein würde, hatten New Order damals wohl selbst nicht geahnt. Zumal sich der fast siebeneinhalb Minuten lange Aufbruch ins elektronische Zeitalter als technisch anspruchsvoll herausstellt. Bei den ersten mühsamen Versuchen, den Sequenzer eigenhändig mit Binärcode zu programmieren, entsteht das ikonische „Taktaktak“-Intro eher zufällig. Der Erfolg des Songs in der aufkommenden House-Szene ist gewaltig. Obwohl „Blue Monday“ zur meistverkauften 12inch-/Maxi-Single der Geschichte wird, steht dem Factory-Label damit zuerst einmal ein finanzielles Desaster ins Haus: Aufgrund der aufwendigen Gestaltung des Maxi-Covers (siehe Bildunterschrift) macht die Plattenfirma einen Verlust. Erst durch unzählige Re-Releases rechnet sich das Lied am Ende. Vom künstlerischen Standpunkt aus ist es egal: Denn was der Band als Joy Division mit dem emotional aufgeladenen „Love Will Tear Us Apart“ gelang, glückte New Order ein weiteres Mal mit der kühlen Monotonie von „Blue Monday“– einen Klassiker zu schreiben, der auch 30 Jahre später noch absolut frisch klingt.
15. Prince and The Revolution – „Purple Rain“
West-Germany braucht diese amtliche Rockballade (Platz 5 in den Single-Charts), um sich endlich auch im breitesten Einverständnis für die nächsten Jahre in die Gefangenschaft des geilen, frommen Prinzen zu begeben. Wobei „Rockballade“ viel zu kurz greift für einen Song, der sich in fast neun live aufgenommenen und mit jeder Menge Overdubs veredelten Minuten vom Softrock über den Hendrix’schen Mini-Exzess zum ausgewachsenen Gospel und von dort zu einem vollendeten Orchester-Finale vorarbeitet, von dem andere Streicherpomp-Beleiher nur träumen können. Dabei kämpft sich Prince mit klarem Vorsatz auch durch manches Classic-Rock-Klischee, das eigentlich seit Anfang der Achtziger und nicht zuletzt durch sein Wirken als überholt galt. Darf dieser Typ eigentlich machen, was er will?
14. Glen Campbell – „Wichita Lineman“
Billy Joel sagte mal über das Stück: „Es ist ein Lied über einen gewöhnlichen Menschen, der sehr ungewöhnliche Dinge denkt.“ Genau hier lag Ende der 60er-Jahre das große Talent des genialen Songwriters Jimmy Webb: Wie ein brillanter Regisseur suchte er sich normale Charaktere und verpflanzte in ihre Gefühlswelt alles, was das Leben so wunderbar und schwer erträglich macht: die große Liebe, die unendliche Einsamkeit, die verdammte Romantik. Kurz zuvor hatte Webb für den Countrystar Glen Campbell bereits „By The Time I Get To Phoenix“ geschrieben; es handelte von einem armen Kerl, der die USA auf dem Weg zu seiner Liebsten mit dem Auto durchkreuzt, weil er sich keinen Flug leisten kann. Der „Wichita Lineman“ ist der Mitarbeiter einer Telefongesellschaft, der in der Einsamkeit von Kansas die Oberleitungen für Telefonanschlüsse installieren muss. Der Kerl sorgt also dafür, dass in diesem riesigen Land schon bald jeder mit jedem sprechen kann – und ist bei dieser Arbeit der einsamste Mensch des endlosen Westens. Welche Tragik!
13. Bob Dylan – „Like A Rolling Stone“
Es ist der Moment, der die populäre Musik auf den Kopf stellt. Bobby Greggs treibende Beats. Al Koopers dräuende Orgelklänge. Michael Bloomfields raffinierte Gitarrenlicks. Und diese Stimme, die einem – ganz juvenile Arroganz und irritierende Coolness – Textkaskaden entgegenschleudert: „Once upon a time you dressed so fine, threw the bums a dime in your prime, didn’t you?“ Die vom Verlust der Unschuld erzählt und von den Brüchen eines Lebens. Die im Refrain „How does it feeeel?“ höhnt und „to be on your own“ auf „no direction home“ reimt. In „Like A Rolling Stone“ tanzen die Poesie und der Rock’n’Roll auf den Trümmern des Pop. Gleichermaßen ist der Song aber auch ein Manifest, über dem in Flammenschrift geschrieben steht: „Wir gegen sie“. Entstanden ist dieses Meisterwerk in einem Holzhaus in Dylans Refugium Woodstock. Alle Elogen, alle Interpretationsversuche tut Master Bob mit einem Achselzucken ab: „Der Song ist einfach so zu mir gekommen, weißt du“, sagt er. Elvis Costello wird sich später erinnern, es sei ein Schock gewesen, „in einer Welt zu leben, in der es Manfred Mann, die Supremes und Engelbert Humperdinck gab – und plötzlich tauchte da so etwas wie ,Like A Rolling Stone‘ auf“.
12. Kate Bush – „Wuthering Heights“
Ja, an die Stimme muss man sich erst mal gewöhnen. Aber ist das nicht mit allem im Leben so, also auch mit allem Schönen? 36 Jahre nach seiner Veröffentlichung bleibt „Wuthering Heights“ einer dieser Songs, die man nicht nebenbei hören kann. Der einen mit all seiner magischen Pracht vereinnahmt, die Welt drumherum ausknippst. Fast so erhebend wie der Song ist seine Entstehungsgeschichte: 18 Jahre alt war Kate Bush, als sie die Filmversion von Emily Brontës „Wuthering Heights“ (Deutsch: „Sturmhöhe“) zu dem Stück inspirierte. Die gerade mal Volljährige setzt sich gegen ihre mächtige Plattenfirma EMI durch, die „James And The Cold Gun“ zu Bushs Debütsingle machen wollte, und bestimmte, sich der Welt mit „Wuthering Heights“ vorzustellen. Die Welt gab ihr Recht: Bush wurde die erste Künstlerin mit einem selbst geschriebenen Nr.-1-Hit im Vereinigten Königreich. Gigantischster Moment: Wie ihre Stimme am Ende mit dem Solo von Alan-Parsons-Project-Gitarrist Ian Bairnson verschmilzt und langsam verschwindet.
11. The Kinks – „Waterloo Sunset“
Während zeitgenössische Rocktexte 1967 gerne dem psychedelischen Surrealismus huldigten, konzentrierte sich Ray Davies auf das, was er kannte: London, seine Bewohner, ihre Sehnsüchte. Davies ist in dieser urbanen Britpop-Miniatur der einzelgängerische Beobachter, er erzählt von „Terry and Julie“, die an der Waterloo Station die „dirty old“ Themse überqueren, sich selbst genug inmitten all der Geschäftigkeit der freitäglichen Feierabendhektik. Klingt zunächst unspektakulär, ist im konkreten Fall aber von einer poetischen Kraft und zartbitteren Schönheit, die perfekt mit den sanft absteigenden Melodien von Strophe und Refrain sowie der leise optimistischen middle-eight harmoniert. Zeitloser Pop-Realismus, denn das, was Davies da von seinem Fenster aus beobachtet, kann 1967 geschehen sein oder eben 2007, und vielleicht passiert es gerade jetzt. Ein Klassiker des 60s-Pop, seinerzeit in knapp zehn Stunden aufgenommen. Erreichte als Single Platz 2 in England und Rang 7 in den deutschen Charts.