ME-Liste

Das sind die 100 besten Songs aller Zeiten


Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf den ersten Platz geschafft!

50. Michael Jackson – „Billie Jean“

Gegeben haben soll es Billie Jean wirklich: Ein verrücktes Groupie teilte Michael in einem bizarren Liebesbrief mit, er sei der Vater eines ihrer Zwillinge. Vielleicht durchstreift deswegen ein Gefühl von Verfolgungswahn diesen Song, der Jackson endgültig zur Popsensation seiner Generation machte. Jeder, der dem damals 24-jährigen Ex-Kinderstar zu jener Zeit noch nicht verfallen war, sagte Pharrell Williams einmal Jahre später über „Billie Jean“, wurde zwangsläufig zum Fan, als der Song samt Musikvideo THRILLER 1983 zum best-selling Album katapultierte. Unwiderstehlich war die Mischung aus futuristischem Dance-Funk, der katzenhaft schleichenden Bassline und Jacksons spannungsgeladenem Gesang.

49. Sam Cooke – „A Change Is Gonna Come“

Ein Protestsong, eine Popballade, ein spirituelles Kirchenlied: Für Sam Cooke war „A Change Is Gonna Come“ eine Rückkehr zu seinen Wurzeln im Gospel und zugleich das wohl mutigste Manöver seiner Karriere: Als politisches Statement zur Rassendiskriminierung von einem schwarzen Musiker, der sich bis dahin eigentlich als Crossover-Künstler beim weißen Publikum beliebt gemacht hatte, wurde es zu einem der bedeutendsten Hymnen der Bürgerrechtsbewegung. Mit melancholischer Soulstimme singt er zu René Halls Hollywood-Orchestrierung von Schmerz, Trauer und Hoffnung: „It’s been a long time coming / but I know a change is gonna come.“

48. Radiohead – „Idioteque“

Als Radiohead herabgestiegen kamen vom Gipfel des majestätischen OK Computer, da waren sie seltsam verändert. Statisch aufgeladen bis in die Haarspitzen und mit einem elektronischen Elmsfeuer um die Häupter. Es schmatzt und schlürft und zwitschert und knüppelt. Jonny Greenwood hörte abseitige Elektronik aus den 70er-Jahren und fand bei einem Klangprofesser diese kleine rhythmische Skupltur, bei Paul Lansky die verwunschenen und verwischten Klangfarben von „Mild und leise“, die Lansky wiederum bei Richard Wagner geborgt hat. Im Grunde hören wir die Verfremdung eines bereits 1973 verfremdeten Akkords aus dem Finale von „Tristan und Isolde“, 1865. Dazu beschwört Thom Yorke in apokalyptischen Metaphern die Endzeit. Die Wiedergeburt des Rock aus dem Geist der Elektronik.

47. Sparks – „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“

Es fällt leicht, den Song als Karikatur zu begreifen: Der Titel nimmt das große Western-Klischee auf; Sänger Russell Mael verhebt sich mehr als einmal im hohen Register,  wobei er überhaupt nur dort oben hinmuss, weil sein Bruder Ron das Stück in A-Dur schrieb, der, so Russell, „einzigen Tonart, die Ron damals spielen konnte“. Trotzdem ist „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“ kein Klamauk, sondern die schmissigste Glam-Single überhaupt, ein Stampfer mit Achterbahnmelodie, der einem immer genau dann in den Sinn kommt, wenn man sich verzweifelt fragt, warum so viele Pophits wie klinisch tot daherkommen.

46. The Ronettes – „Be My Baby“

Wenn zu jener Zeit ein Lied den Beweis für das Genie Phil Spectors antreten musste, dann wohl „Be My Baby“. Der Produzent dachte die Idee vom technischen Prozess der Musikaufnahme weiter, indem er das Studio in ein eigenes Instrument umwandelte. Sein Wall Of Sound bestand für den Liebesappell „Be My Baby“ aus einer dicken Schicht Schlagzeug, viel Blechbläsern, einer Handvoll Gitarren, Orgeln und jeder Menge Percussions. Spector hatte mit seinen Overdubs eine Klangwelle angeschoben, die Anfang der 60er-Jahre förmlich aus den Lautsprechern amerikanischer Radios schwappte. Als er das Lied zum ersten Mal hörte, soll Brian Wilson an den Straßenrand rechts rangefahren sein, weil ihn der Song aus dem Autoradio schlicht umgehauen hatte: „The greatest pop record ever made – no arguments here.“ Abgemacht.

45. Eagles – „Hotel California“

Viel zu lang für eine Single, viel zu komplex, viel zu elaboriert für seine Macher. „Hotel California“ war um 1976/77 ein letztes Aufbäumen eines Mainstream-Rock, der von einem Zeitenwechsel bedroht war. Der wortgewaltige und metaphorische Text gibt bis heute Anlass für Spekulationen. Wird hier ein satanistischer Ritus beschrieben, das Innere einer Nervenheilanstalt oder doch „nur“ der kalifornische Traum besungen, der durch Drogen- und Egoprobleme zu einem Albtraum wurde? „Hotel California“ ist und bleibt ein Rätsel von einem großartigen Song.

44. Bruce Springsteen – „Thunder Road“

Die Geburtsstunde von „Thunder Road“ schlägt irgendwann 1974. Da heißt der Song noch „Wings For Wheels“ und das Mädchen noch nicht Mary. Erst im August 1975 erstrahlt er in seiner ganzen atemberaubenden Grandezza: als Auftakt des epochalen Albums BORN TO RUN. Um die Magie der Nacht geht es, um Verlierer und um Mary, die keine Schönheit ist, aber schwer in Ordnung, und die zur Musik von Roy Orbison tanzt. Um die Freiheit, um den Wind im Haar und um das Gefühl, dieses eine Mal – vielleicht – zu gewinnen. Egal, wie oft man „Thunder Road“ gehört hat in all den Jahren, egal auch, ob als Piano-Ballade oder im Cinemascope-Sound der E Street Band: Es berührt einen stets aufs Neue tief im Innersten – dort, wo die Sehnsucht sitzt.

43. David Bowie – „Life On Mars?“

Viel Weiß, die Haare rot, der Lidschatten blau – im Mick-Rock-Video von 1973 trägt Bowie das Make-up des androgynen „Starman“. „Life On Mars?“ ist so etwas wie das Prequel zur Glamrock-Oper ZIGGY STARDUST (1972), ein von surrealen Motiven durchwirktes Piano-Drama, das sich um Kino, Pop und Eskapismus dreht. Mitsinghymne und quecksilbrige Kunstmusik im selben Moment. Selten drang Bowies Cockney-Stimme intensiver in einen Song ein, nie hat Gitarrist Mick Ronson ein schöneres Streicher-arrangement geschrieben. Anfang und Ende des Videos bleiben weiß, Bilder vom Rauschen der Träume.

42. Television – „Marquee Moon“

Television sind Post-Punk, noch bevor es Punk gibt. Dem Hey-ho-let’s-go-Ethos der Ramones setzt die Gruppe von Tom Verlaine eine Verspieltheit und Experimentierlust entgegen, als hätte sich Albert Ayler heimlich ins CBGB’s geschlichen. Kein Song umreißt die Philosophie von Television besser als „Marquee Moon“, ihr pièce de résistance zwischen Pop und Artrock, das sich von 1974 an ständig weiterentwickelt und mit seinen wie Blumen des Bösen wild wuchernden Gitarrenarabesken und -soli immer länger wird. Auf dem Album ist er 9 Minuten 58 – und wird ausgeblendet! Seither wird er im Kopf anderer Musiker weitergespielt und erblüht in immer neuen Farben.

41. Curtis Mayfield – „Move On Up“

Auf der Verpackung: ein cooler Typ im gelben Anzug. In der Verpackung: acht Songs, mit denen Curtis Mayfield die kämpferische Stimmung Afroamerikas zu Beginn der 70er-Jahre widerspiegelt. Darunter: „Move On Up“, diese mit enormer Lässigkeit vorwärtsdrängende, funky Neunminuten-Abfahrt mit schneidigen Bläsern, pulsierender Percussion, Proto-Disco-Streichern und Mayfields unverkennbarem Falsettgesang. Die Botschaft: Arsch hoch und bloß nicht unterkriegen lassen, auch wenn’s ein langer Weg wird. Gegen Ende hin rein instrumental und zunehmend tranceartig.

40. Sex Pistols – „God Save The Queen“

„God save the queen, her fascist regime“, giftet Johnny Rotten, und die Band gibt ein „No future“ drauf – Stoff für den Eins-a-Skandal zum Silberjubiläum der Queen 1977. Die Royalisten durften sich reflexartig empören, die jungen Punks hatten ihr Fanal, die Welt jubelte dem radikal genesenen Rock-&-Roll-Empire zu. In dieser Hymne treffen sich die Wucht der besten Rock-Jahre und das Giften und Geifern derjenigen, die diesen längst selbstsüchtigen Rock vom Thron stürzen wollten. Wer hätte den Pistols da besser zur Hilfe kommen können als die Queen? Ein Husarenstreich der jüngeren Pop-Propaganda.

39. Blumfeld – „Verstärker“

In den frühen 90er-Jahren war Jochen Distelmeyer sicher der beste Texter der Republik. „Verstärker“ ist ein Wortmons­ter, das aus der inneren Gedankenmühle berichtet, das vehement Liebe dekliniert und dabei die Formen des Popsongs weit hinter sich lässt. Hamburger Schule? Unsinn, Universität für jegliche Fachrichtungen mit Proseminar für klug gesetzte Querverweise und dem besten Feedback der europäischen Popmusik. Heute noch Bombe, wobei die Albumversion von 1994 in Inhalt wie Form mehr Dringlichkeit besitzt als die ursprüngliche Single.

38. Link Wray & His Ray Men – „Rumble“

Da hatte Link Wray (1929–2005) bereits 1958 angelegt, was ins Standardrepertoire von Generationen von Rockmusikern einziehen würde: verzerrte Gitarren und Feedback. Das Instrumental „Rumble“ war auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Das quälend langsame Tempo stand im krassen Gegensatz zu seiner Herkunft aus Rockabilly, R’n’B und Rock & Roll. Den charakteristischen Sound erzielte Wray, indem er Löcher in die Lautsprecher der Gitarrenverstärker bohrte. Auch wenn der Künstler das nicht beabsichtigt hat: „Rumble“ gilt als Geburtsstunde des „Power Chord“, der bis heute in Rock und Metal bis zum Exzess gespielt wird.

37. Kate Bush – „Cloudbusting“

Anfang der 50er-Jahre war der österreichische Psychoanalytiker Wilhelm Reich überzeugt davon, Wettergott spielen zu können. Mithilfe seiner Erfindung, einer Maschine namens „Cloudbuster“, wollte der Esoteriker Wolken verdichten und es regnen lassen. Mit seinem Sohn Peter zog er das schwere Gerät auf einen Hügel, um dort zu experimentieren. Später erinnerte sich Peter Reich in seinen Memoiren an diese Erlebnisse – ein Buch, das Kate Bush zu „Cloudbusting“ inspirierte. Im Video zum hypnotisch-himmlischen Synthie-Pop-Marsch gibt die Sängerin den Sohn, während Donald Sutherland Wilhelm Reich spielt.

36. Bob Dylan – „Subterranean Homesick Blues“

Der elektrische Dylan, ein vergleichsweise neuer Protagonist im amerikanischen Rock, die Folk-Community war not amused. Der erfolgreiche Dylan, Nummer 39 und damit zum ersten Mal in den US-Singlecharts. Der Stream-of-Consciousness-Dylan, der von Drogen, Politik und Parkuhren berichtet, womöglich aber etwas ganz anderes meint. John Lennon war so sehr Fan, dass er befürchtete, fortan keine Songs mehr schreiben zu können. Und: Er war so sehr Fan, dass er die Nummer auf das von ihm produzierte Harry-Nilsson-Album PUSSY CATS (1974) packte.

35. Led Zeppelin – „Stairway To Heaven“

Wäre „Stairway To Heaven“ schon nach Minute 4:18 zu Ende, es wäre nur ein weiterer der vielen bezaubernden Folksongs, die Led Zeppelin uns hinterlassen haben. Geschrieben wurde das Stück je nach Legende entweder am Lagerfeuer oder am Kaminfeuer, jedenfalls an einem Feuer. Und das passt. Warme akustische Gitarren, einschmeichelnde Flötentöne und dazu Robert Plant, der, wie so oft, Rätselhaftes und Esoterisches singt. Zusammen mit dem geradezu grotesk großen Erfolg des Songs trug vor allem die Zeile „’cause you know sometimes words have two meanings“ zu Gerüchten bei, es handele sich hier um ein Werk des Satans. Mit entsprechenden Botschaften, wenn man den Song rückwärtslaufen ließe. Alles Unsinn natürlich. Im Grunde verbindet „Stairway To Heaven“ nur die folkloristische mit der rockigen Seite von Led Zeppelin. Das Ergebnis ist meilenweit von langsamen Bluesrock-Schauklern früherer Platten entfernt und eine Ballade reinsten Wassers – bis Minute 4:18. Dann setzt John Bonhams Schlagzeug wie eine viktorianische Dampfmaschine ein und musikalische Ereignisse in Gang, die auf eine stufenweise Beschleunigung hinauslaufen und im Höhepunkt münden. Herrgott. Ja, hier geht es eigentlich acht Minuten lang nur um Sex.

34. The Modern Lovers – „Roadrunner“

Ich entdeckte das Stück auf einer billigen „Punk And New Wave“-Kassette aus dem charity shop. „Roadrunner“ fühlte sich sofort an, als ob der Song seinen Weg auf dieses Tape nur für mich gefunden hätte. Jonathan Richman klang derart aufgeregt, seine Botschaft mit uns zu teilen, dass er dabei teilweise vergaß, zu singen. Es war das Werk eines von der Macht des Rock’n’Roll betrunkenen Mannes. Weil die Version auf meiner Kassette eine Liveaufnahme war, konnte ich nicht alles verstehen. Aber die Zeilen „I’m in love with Rock’n’Roll and I’ll be out all night“ sowie „Don’t feel so alone with the radio on, radio on!“ hörte ich heraus. Keine Frage, dieser Mann war der größte Dichter, dem ich je begegnet war! Ich war verliebt in „Roadrunner“, hörte es mir immer wieder an, die Hand in der Hosentasche am Walkman, den Finger auf dem Rewind-Knopf: noch mal und noch mal. Ich fühlte mich unbesiegbar. Wer heute den Text von „Roadrunner“ nicht versteht, lässt sich vom Internet erklären, dass es darin um die Fahrt auf der Route 128 durch Massachusetts geht, während das Radio läuft. Aber ich weiß es besser: Es geht um weit mehr als das. Diese ersten Zeilen, die einzigen, die verständlich waren auf meinem Tape, sind die treffendste Beschreibung jener Glücksmomente schierer Lebensfreude, die ich je gehört habe. Und deshalb ist „Roadrunner“ der beste Song von allen.