ME-Liste

Das sind die 100 besten Songs aller Zeiten


Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf den ersten Platz geschafft!

87. My Bloody Valentine – „Only Shallow“

Für My Bloody Valentine der Sündenfall, denn mit der Arbeit an „Only Shallow“ begann der Wahnsinn, der letztlich in LOVELESS mündete. Kevin Shields’ Tremolo-Gitarre ist stilprägend und unerreicht, die Vocals scheinen aus dem Nichts zu kommen – und so war das auch: Shields und Bilinda Butcher versteckten sich bei den Aufnahmen hinter dicken Vorhängen und tauchten so sehr in ihre Welt ein, dass sie nicht mehr mit den Tontechnikern sprachen. Ein komplizierter Prozess, eine geniale Aufnahme.

86. Blur – „Out Of Time“

Ein bescheiden wirkender Song, den man auf den ersten Blick fast übersieht. Mit der Zeit wächst er jedoch mehr ans Herz als jeder andere Blur-Song. Damon Albarns leicht brüchige Stimme eröffnet, unterstützt von Xylofon und einer reduzierten nahöstlichen Instrumentierung, Räume, eine flirrende Atmosphäre macht sich breit. Dann ein zartes Gitarrensolo, von dem man sich regelrecht an die Hand genommen fühlt. Das Stück war die erste Veröffentlichung nach dem suchtbedingten Ausstieg von Gitarrist Graham Coxon.

85. Lou Reed – „Walk On The Wild Side“

Die fünf kurzen, spärlich instrumentierten Strophen behandelten nur vordergründig das Thema Prostitution (der „walk on the wild side“). Vielmehr ging es in Lou Reeds leiser Erzählung um das verlorene Glück identitätssuchender Großstädter. Eine Ballade über jene Außenseiter und Exzentriker, die das New York der frühen 70er nur so ausspuckte. In unserer Liste landet diese Single-A-Seite übrigens hinter ihrer B-Seite „Perfect Day“.

84. The Beatles – „Penny Lane“

Längst ist die Penny Lane das Ziel von Bustouren auf den Spuren der Beatles in Liverpool, und auch wenn Orte wie der „shelter in the middle of the roundabout“ abgerissen sein werden – in diesem Kleinod von einem Song wird er ewig stehen. Sonnige Kindheitserinnerungen an das alte England, gegossen in das pophistorisch wohl einzigartige Piccolotrompetensolo, das sich erfolgreich gegen satte Bläsersätze durchsetzt. Ja, auch die Erfindung dessen, was heute „Hypnagogic Pop“ genannt wird, geht auf das Konto der Beatles.

83. Simon & Garfunkel – „America“

Der romantischste Protestsong aller Zeiten? Nichts hat unsere Vorstellung des echten Amerikas, unsere diffuse Sehnsucht nach den vermeintlich unendlichen Weiten des Dazwischen so geprägt wie diese Geschichte der beiden Verliebten, die per Anhalter und Bus das Wesen eines unergründlichen Landes zu ergründen suchen. Es macht einem Angst, dieses große Amerika, aber der Hauch von Orgel und Saxofon holt einen immer wieder zurück in diesen großen, warmen, letztlich doch hoffnungsvollen Song.

82. The Church – „Under The Milky Way“

Sie sind der ewige Geheimtipp: eine Band aus Sydney, die ihre Weggefährten von INXS bis Midnight Oil ebenso überlebt hat wie eine kurze Erfolgsphase Ende der Achtziger. Und das mit einem Song, der sich als Hommage an den „Melkweg“-Club in Amsterdam versteht, mit einem gefakten Dudelsacksolo glänzt und echte Ohrwurmqualitäten besitzt. Eben mystisch, sphärisch und geradezu suchterzeugend. Sprich: der perfekte Popsong, der es auch auf den Score zu „Donnie Darko“ (2001) und „Miami Vice“ (1989) geschafft hat.

81. The Velvet Underground – „Pale Blue Eyes“

Auf dem dritten Velvet-Underground-Album klingt Lou Reeds Stimme entrückter, aber auch verletzlicher (oder verletzter) als je zuvor. Seine Liebe für 50s-Rock-&-Roll lebte er offen in süßlichen Avant-Gospeln wie „Jesus“ oder diesem aus. Das Zwei-Akkord-Pattern, das laute Tamburin, die schwirrende Orgel und die fragilen, eleganten Gitarren von Reed und Sterling Morrison wurden Blaupause für große Teile von Jason Pierce’ Œuvre (Spacemen 3, Spiritualized) und eines der wunderlichsten, gespenstischsten Liebeslieder aller Zeiten. „Sometimes I feel so happy, sometimes I feel so sad, but mostly you just make me mad.“

80. Fehlfarben – „Paul ist tot“

Mit dem letzten Track auf ihrem ersten Album Monarchie und Alltag setzen Fehlfarben das Regelwerk des Punk endgültig außer Gefecht. Die Uhr tickt, während das Klagelied „Paul ist tot“ angestimmt wird, acht Minuten lang, nach denen die deutsche Popmusik eine andere sein wird. Schwermut gibt den Takt an, unheilvolle Synthesizerformationen umhüllen den Gesang von Peter Hein, der so direkt nie wieder formuliert, was eine ganze Generation fühlen mag: „Was ich haben will, das kriege ich nicht / Und was ich haben kann, das gefällt mir nicht.“

79. Neil Young – „Heart Of Gold“

Bob Dylan hat einmal gesagt, dass er „Heart Of Gold“ hasste. Damit war er sich einig mit allen Neil-Young-Fans damals, die ihren Helden plötzlich mit dem Mainstream teilen mussten. Tatsächlich aber war bloß passiert, was überfällig war: Der schon immer zum gepflegten Schmalz neigende Young hatte noch einmal tiefer in die Kitschkiste gegriffen – und war auf Gold gestoßen. Wie großartig der Song in seiner ganzen Simplizität ist, bewiesen 1978 Boney M., indem sie ihn nicht kaputtkriegen konnten.

78. Leonard Cohen – „Famous Blue Raincoat“

80 Verse soll Leonard Cohen, von Haus aus Poet, hierfür geschrieben haben, verfasst übrigens in einem schon in der Antike seltenen Versfuß namens Amphibrachys, der Cohens elegantem Sprechgesang sehr entgegenkam. Der Erzähler lebt in New York, wo es kalt ist, „but I like where I’m living“, während die Frau, die er ansingt, sich „a little house in the desert“ gebaut hat. Distanz wird fühlbar, räumlich wie zeitlich. Ihr berühmter blauer Regenmantel, er ist längst an der Schulter gerissen …

77. Prefab Sprout – „Bonny“

Paddy McAloons großes Talent ist es, mit seinen Songs Stimmungen auszudrücken, für die es keine ganzen Sätze gibt. Auch „Bonny“ ist keine Erzählung, sondern lebt von Fragmenten. Der Protagonist vermisst diesen Bonny, obwohl es Streit gab: „Shaded feelings, don’t believe you“. Nun ist er nicht mehr da, und das Einzige, was noch bleibt, sind die Blumen zur Beerdigung. Das Wunderbare: Man weiß bis zuletzt nicht, ob einen der Song munter oder traurig macht. Genial ist auch die Produktion von Thomas Dolby, Mitte der 80er-Jahre ein Genie in der Disziplin, Weißbroten eine Art synthetischen Funk beizubringen, ohne deren Gespür für Popmelodien zu verwässern.

76. The Kingsmen – „Louie Louie“

A-Dur, D-Dur und E-Moll – das können sich auch Nicht-Gitarristen an einem Nachmittag draufschaffen, sofern ihre Finger vollzählig sind. Was den Erfolg dieses Drei-Akkord-Wunders erklärt, das seit den 60er-Jahren zu den Standards zahlloser Amateurkapellen gehört. Der Song wurde 1955 geschrieben, es kursierten allerlei Rock- und Latin-Pop-Versionen, aber die herrlich holprige und vernuschelte Aufnahme der Kingsmen aus Portland/Oregon machte das Rennen und markiert die Geburtsstunde des Garagenrock.