Enjoy the Silence: 9 Fakten über die Stille in der Musik
Musik lebt nicht bloß von Crescendo und Überalarm, sondern auch vom Gegenteil. Eine Betrachtung kreativer Auslassungen.
1.
Es ist sicher eine der eindrucksvollsten Inszenierungen von Stille innerhalb populärer Musik: John Cages Komposition „4‘33“ aus dem Jahr 1952. Dieses Stück verlangt von Interpret:innen, ihre Instrumente vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden ruhen zu lassen. Die Faszination dabei: Die Stille kann nie universell sein, das Stück lenkt die Zuhörenden viel eher auf Umgebungsgeräusche und hinterfragt die tradierte Vorstellung von Musik.
2.
Noch einen Schritt weiter in die Kunst? Okay! Denn auch der performative „Piano Drop“ von Yoko Ono spielt auf einer Schnittstelle von Musik und Kunst mit der Stille. Im Jahr 2000 wiederholte der Musiker Beck die Kunstaktion der Japanerin und stieß ein Klavier von den Burgzinnen des nordrheinwestfälischen Schlosses Moyland. Es geht hierbei nicht bloß um den explosiven Sound des Aufpralls – ohne die atemlose Stille während des Falls wäre dieser Fluxus-Moment einfach bloß Lärm. Erst der tonlose Flug lädt das arty Demolition-Derby in Sekundenschnelle auf.
3.
Erinnert sich jemand noch an die Innovationskraft von CDs in den Neunzigern? Der digitale Klang veränderte alles, aber die neuen technischen Möglichkeiten ließen die Acts auch die Kraft der Stille entdecken. Und zwar in dem Phänomen der Hidden Tracks. Scheinbar war die CD am Ende angelangt, doch sie lief weiter, hatten findige Geister doch Leertracks oder Ähnliches eingefügt und plötzlich erklingt nach minutenlanger Stille noch ein „versteckter“ Song. Wer wegen so einem nicht schon mal vor Schreck aus dem Sessel gefallen ist, hat die Neunziger und Zweitausender wirklich verpasst.
4.
Ein bisschen ein Widerspruch in sich: Über die Stille wird in Stücken gern gesungen, natürlich ohne dass sie dabei Einzug halten kann. Von No Doubts „Don’t Speak“ über Kelly Osbournes „Shut Up“ und Björks „It’s Oh So Quiet“ landet man am Ende aber immer in dem ruhigen, wenn auch keineswegs stillen Hafen von Art Garfunkels „The Sound Of Silence“.
5.
Eine Erwähnung wert ist auch das Stück der Band EA80 „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, das die Kurzgeschichte von Heinrich Böll auf kaum mehr denn zwei Minuten verdichtet. Die Story über zusammengeschnittene Pausen von Radiointerviews ließ unlängst Gwen Dolyn (von den Tränen) wiederaufleben in einer Elektropop-Coverversion von „Dr. Murkes“.
6.
Aber auch die Stille selbst trägt viel zur Musik bei. Kurze Pausen sind die heimlichen Stars auf so manchem Hit. Wie zum Beispiel bei James Blakes „Limit To Your Love“, dessen Spannung sich gerade durch die Auslassungen nährt. Der Beat als Herzschlag und wenn er aussetzt, bleibt Stille, in der man den Atem anhält, bis der nächste Schlag den Track wieder erlöst.
7.
Die Kunstpause, also der kleine Moment der Stille, wird im Rock gern für die Steigerung der Dynamik verwendet. Sehr prägnant sicher bei dem Stop and Go auf „Waiting Room“ – dem bekanntesten Stück der legendären Washingtoner Post-Hardcore-Band Fugazi.
8.
Anderes Genre: The Strokes mit „Hard To Explain“, die zweieinhalb Sekunden Stille brechen in der Mitte des Stücks völlig überraschend herein – und fungieren tonlos als Hallo-Wach-Moment. „Ist der Strom weg?“, fragt man sich, dann geht’s aber schon genauso unvermittelt wieder weiter.
9.
Auch Billie Eilish hat die dosierte Stille zu einer Meisterschaft getrieben. Perfektes Beispiel dafür ihr Song „When The Party’s Over“, dessen Clip auf YouTube mittlerweile an einer Milliarde Aufrufen kratzt.
Immer wieder scheint das Stück ab- oder einzubrechen, Stimme und Musik verhallen, Stille macht sich breit, um dann doch noch mal gebrochen zu werden. Enjoy the silence.