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Wir empfehlen: Austro-Wunderknabe Oskar Haag


Dem Pop-Entwurf von Oskar Haag wohnt eine arglose Schönheit inne. Wir nähern uns dem Phänomen.

Es ist der 25. Juli 2021 und in der altehrwürdigen Wiener Karlskirche geht gerade das „Popfest“ zu Ende. Für Oskar Haag ist es hingegen ein Anfang. Seine Fingernägel sind schwarz lackiert, Rouge umrandet die Augen. Er trägt die Locken und auch die Gesichtszüge eines Engels. Fünfzehn Jahre ist er auf dieser Welt, da nimmt er eine Akustikgitarre in die Hände und beginnt zu singen: „Stop. Stop for a minute and check. Are you still living or do you even breathe?“

Es sind die ersten Zeilen eines Juwels von einem Popsong, der bis an die zweiundsiebzig Meter hohe Kuppel schallt. „Stargazing“ gehört zu den wenigen Liedern, die an keine Mode oder Klientel gebunden sind. Es ist universell, für alle Menschen gleichermaßen zugänglich. Das erkennt auch die Zuhörerschaft in dem aus allen Nähten platzenden Gotteshaus, sie würdigt den Auftritt mit stehenden Ovationen und offenen Mündern. In der Alpenrepublik ist man sich von nun an einer Sache sicher, ORF und FM4 schreien es hinaus: Dieses – sein allererstes – Konzert ist der Beginn einer großen Karriere.

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Das Fundament dafür wurde weitaus früher gelegt, und zwar in Haags Klagenfurter Elternhaus. Die Mutter ist Kostümbildnerin, sein Vater Sänger der Band Naked Lunch. Als ihr Sohn drei Jahre alt ist, schenken sie ihm ein Schlagzeug, welches er infolge rabiater Bespielung binnen weniger Tage zerstört. Zur gleichen Zeit greift so etwas wie eine musikalische Frühsozialisation, durch die Familienwohnung tönen die Beatles, Neil Young und bergeweise Indie-Platten.

Hat er alles oder nichts gesehen?

Ein gutes Jahrzehnt später. Während das Corona-Virus die Welt gefriert, schreibt Haag in seinem Schlafzimmer erste Stücke nach britischer Machart – simpel, aber dezidiert. Ihre Skizzen lädt er zunächst auf SoundCloud hoch, ausproduziert erscheinen sie nun auf seinem Debütalbum TEENAGE LULLABIES. Haag hat sich für einen Singer/Songwriter-Ansatz entschieden und im selben Moment den großen Popentwurf vorgelegt. Zwangsläufig stolpert man über die Frage, woher dieser Knabe all das schöpft, von dem er da singt. Es spricht eine arglose Schönheit aus Titeln wie „Hold Me Tight“, „Black Dress“ und „Love Me For Tonight“, ihnen wohnt etwas ganz und gar Allgemeingültiges inne – wohl gerade weil sie nicht zwingend aus Erlebtem zehren. Wahrscheinlich liegt hier die Antwort verborgen: Wichtigstes Werkzeug der Kunst bleibt die Fantasie.

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Und dann im Jahr 2022, sieben Tage vor Weihnachten feiert „Wie es euch gefällt“ im legendären Wiener Burgtheater Premiere. Orlando und Rosalinde verzweifeln an der Liebe, Shakespeares Komödie nimmt ihren Lauf. Irgendwann steht da jemand mit einer Gitarre in den Händen, trägt ein lilafarbenes Rüschenkleid, die Seide weht im Wind. Eine Stimme erklingt, so als hätte ihr Träger alles und nichts gesehen: „Stop. Stop for a minute and check. Are you still living or do you even breathe?“ Noch beobachtet Oskar Haag die Sterne. Es scheint aber, als würde er sich langsam auf den Weg zu ihnen machen.

Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 04/2023. Hier bestellen.