Interview

Blond im Interview: „Wir haben uns todesweggekichert“


Blond nennt die eigenen Fans „Blondinators“ und setzt mit seinem Album PERLEN auf hymnischen Pop zum Tanzen, Schmusen und Macker vertreiben. Wir trafen sie zum Gespräch.

Rhythmisches Klatschen setzt ein, die Band auf der Bühne hält Papptafeln hoch, darauf stehen ein paar Zeilen Text. Nötig wäre eine solche Hilfestellung nicht mehr, alle im Publikum haben längst schon mitgekriegt, was jetzt hier passiert, Euphorie, der Gesang der Besucher:innen schwillt an: „Es ist schön, es ist toll, Blondinator zu sein / Die Herzen lachen und die Sorgen werden klein!“

Diese Mitmachminiatur haben Blond ihren Fans geschenkt und ihnen dabei gleich auch noch den Namen Blondinators verpasst. Auf Konzerten wird das Stück am Schluss allerdings dermaßen enthusiastisch von den Leuten performt und abgefeiert, dass es auch schon wieder als Geschenk an die Band selbst funktioniert. Geben und Nehmen in Pop. Andere Acts teilen einfach die Songs ihrer abendlichen Setlist mit einem (oder gar zwei) Strichen ab. Oberhalb des Strichs das reguläre Programm darunter die Zugaben. Das Drehbuch zu einem gelernten, aber oft wenig beseelten Ritual. Macht man halt so, als Band wie als Publikum.

Lotta Kummer, Nina Kummer und Johann Bonitz von Blond haben allerdings wenig Lust auf solche Hüllen und beweisen ihren Anhänger:innen, dass man Konzerterlebnisse viel mehr customizen sollte. Persönlicher, inszenierter, lebendiger. Der Gesang in der Halle schwillt immer noch weiter an: „ES IST SCHÖN!!! ES IST TOLL!!! BLONDINATOR …“

Es sind die mittleren Nullerjahre. Die Schwestern Lotta und Nina sind am Wochenende auf einem Hof. Ihre Eltern haben dort Freunde. Dabei ist auch Johann, der, weil auch seine Eltern mit den Kummers bekannt sind, gefühlt schon immer irgendwie dazugehört. Eine Art zusätzliches Geschwisterkind mit Wohnsitz ein paar Straßen weiter. An diesem Tag entdecken er und die Kummer-Schwestern die Kirschbäume auf dem Hof für sich. In einen steigen sie hinein und wurden erst mal nicht mehr gesehen.

„Wir saßen dort einfach stundenlang drinnen und hörten Aggro Berlin und Die Sekte – und wir haben uns todesweggekichert, wenn wieder ein schmutziges Wort kam. Wenn man die Acts kennt, weiß man natürlich, das ging Schlag auf Schlag. Tja, das ist das Fundament der Band Blond.“ Nina Kummer lacht. Denn die enorme Fallhöhe dieses Gründungsmythos wird nicht von den Ausmaßen des Kirschbaums, sondern von den sexistischen Berliner Rappern bestimmt, deren misogynes Werk dem emanzipierten „Las Vegas Glamour“ (Blond-Selbstbeschreibung) kilometerweit entgegensteht.

Doch die erste Prägung kann man sich selten aussuchen, man tut nur gut daran, sie im Zuge der eigenen Bewusstwerdung kritisch zu hinterfragen. Dass das bei den drei kletternden Kids noch passieren wird, liegt auf der Hand – im Kirschbaum selbst liegt dort allerdings erst mal nur der tragbare MP3-Player von Johann.

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Ein bisschen später in den Nullern ist allerdings klar, dass selbst grelle Mackerimperien wie Aggro Berlin Möglichkeiten jenseits von peitschenden Penissen aufzeigen können – und zwar ganz einfach durch Repräsentation. Denn auf dem Label veröffentlichte auch die Rapperin Kitty Kat, Nina erinnert sich mit ihr an ein Identifikationsangebot, das sie von den ganzen Dudes nicht kannte, Jonas Brothers und Tokio Hotel eingeschlossen, denn Provo-Rap hatte sich nicht als Kernthema der Chemnitzer Clique rausgeschält.

Richtig ernst wurde es für Nina dann mit LaFee („Heul doch“), die Begeisterung für jene findet sich auch wieder in einem Song auf der neuen Platte, heißt „Durch die Nacht“. Er erzählt davon, wie viel Selbstermächtigung damit einhergeht, andere Frauen im Rampenlicht zu sehen, sich nicht nur von Männern als Fan, Love-Interest oder Schlampe adressiert zu erleben. Allerdings meint Nina im Gespräch, ihr Crush auf LaFee sei „auserzählt“. Er hat sogar seinen Weg in die Anthologie „These Girls, too“ aus dem Ventil-Verlag gefunden.

Aber die Liebe zu LaFee ist ohnehin nur ein Baustein des variablen Popentwurfs der Band Blond. Schlagzeugerin Lotta begeisterte sich beispielsweise früh für Missy Elliott, ein Grund dafür, dass sie sich in der Band nicht auf ihr Instrument beschränkt, sondern auch immer wieder am Gesang einsteigt. Und Rolemodels funktionieren natürlich geschlechterübergreifend – selbst wenn Johann für seine eigene Musikerwerdung niemand im Sinn hat, ist das Thema auch für ihn wichtig: „Es gab jetzt keinen Blinden, der für mich Vorbild gewesen wäre. Allerdings bin ich mir bewusst, dass ich selbst für andere diese Rolle erfülle, weil ich eben auf der Bühne stehe – und das bedeutet mir etwas. Also dass Leute sagen können: ‚Geil, wie du das einfach durchziehst!‘“

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Auf die Straße!

Stimmt, wenn man alles fahrlässig verkürzen wollte, wäre es möglich, diese Band nur in irgendwie krassen Überschriften zu erzählen: Blond, das ist das Trio mit dem blinden Jungen an Bass, Keyboard und so weiter! Blond, das sind doch die Schwestern von Till und Felix Kummer von Kraftklub! Ganz genau. Solche Ausrufezeichen schaffen zwar Aufmerksamkeit, bloß was für welche?

Blond haben es zum Glück geschafft, sich jenseits dessen als eine der aufregendsten deutschsprachigen Popbands zu etablieren. In dem Long-Covid-Trümmerjahr 2022 gehören ihre Konzerte zu den wenigen, die immer wieder „ausverkauft“ statt „mäßig besucht“ melden können. Ein Umstand, den sich die drei allerdings auch über fast eine Dekade erarbeitet haben. Nachhören lässt sich das sehr gut in „Da muss man dabei gewesen sein“, dem wöchentlichen Podcast von Nina und Lotta. Neben Lebenshilfe und erbaulichem Quatsch zeichnen die Schwestern hier auch immer wieder in Sonderfolgen die Geschichte ihrer Band nach. Also in welchem Club sie 2017 zum Beispiel auf dem Boden schliefen – und wie man am sinnvollsten vom Catering klaut für die WG zu Hause.

Blond mögen zwar immer wirken wie vom Himmel gefallen und werden mit dem zweiten Album PERLEN noch mal viele Erstkontakte zu ganz neuen Hörer:innen (lies: Blondinators in spe) erzeugen, stellen aber ein nachhaltig gewachsenes Gefüge mit fleißiger Historie dar. Ihr epischer Hit „Sanifair Millionär“ (fast neun Minuten lang) erzählt von einem Leben auf Achse. „Pissen für ein Snickers“ wird das Phänomen (nicht nur) unter tourenden Musiker:innen beschrieben, an Raststätten für den kostenpflichtigen Toilettengang mit Verzehrcoupons belohnt zu werden.

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Blond haben die lange Zeit unterwegs und bei all den Veranstaltungen aber stets genutzt und sich ein ausgewähltes Netzwerk geschaffen, so kann man ihnen auch schon mal bei anderen Acts als Feature-Gäste begegnet sein, zuletzt bei The Toten Crackhuren im Kofferraum. Auf Songs von Blond hört man ebenfalls oft Gäste – zum Beispiel Drangsal, Leoniden, Mia Morgan, Power Plush oder addeN. Letztere sieht sich beteiligt an einem PERLEN-Song, der bereits 2022 vorab ausgekoppelt wurde. Eine uplifting Schmähhymne gegen non-diverse Line-ups auf den großen Musikfestivals, die im eingedeutschten Weather-Girls-Refrain gipfelt: „Es regnet Männer! Halleluja, es regnet Männer!“

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Auf den Punkt und für alle

Ungeachtet solcher Zeilen und der Tatsache, dass man beim eingangs erwähnten Blondinator-Song auf der Platte vornehmlich weiblich zu lesende Stimmen hört, zelebriert die Band keinen Ausschluss-Feminismus.

„Wir wollen mit unseren Konzerten und der Band einen Ort schaffen, an dem sich alle wohl fühlen“, sagt Nina Kummer, „es geht uns nicht darum, Shows ausschließlich vor FLINTA-Personen zu spielen. Wir wollen lieber einen Rahmen setzen, in dem sich alle respektvoll begegnen. Wenn Typen cool sind, schnallen sie das auch, haben Spaß und verzichten ganz selbstverständlich darauf, ihr T-Shirt im Moshpit auszuziehen und achten überhaupt darauf, wie viel Raum sie einnehmen.“

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Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023. Hier bestellen.