VORFREUDE VS. VOR-LEID


Die Frage ist ja auch, wie weit man in die Zukunft schauen möchte. Oder kann. Weshalb zum Beispiel muss ich mir heute schon ein Ticket für ein Konzert kaufen, das erst in vier Monaten stattfinden wird? Will mich gar nicht darüber beklagen, dass das moderne Vorverkaufswesen darauf hinausläuft, dass Tourveranstalter mein Geld einsammeln, mit dem sie dann monatelang tun und lassen können, was sie wollen, bevor ich den Gegenwert kriege. Frag mich eher: Werde ich mich in vier Monaten daran erinnern, dass ich eine Konzertkarte besitze, die ich vier Monate zuvor gekauft habe, um überhaupt eine zu bekommen, bevor nämlich Leute wie ich dafür gesorgt haben werden, dass eben dieses Konzert, an dessen Stattfinden ich mich im Zweifel in vier Monaten nicht mehr erinnern werde, schon vier Monate vorher ausverkauft gewesen sein wird, im Zweifel? Oopsie, kompliziert? Jedenfalls: Die übliche Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer, dass auf einen Bezahlvorgang eine unmittelbare Lieferung folgt und damit für den Käufer eine Genussbefriedigung, wird so aufgekündigt. Man hält mir etwas vor die Nase, ich kaufe es brav, kriege es aber erst viel später – und vergesse womöglich die Existenz des gekauften Produktes. So ähnlich ist es mit Vorabsingles im iTunes-Store: Da steht schon die komplette Titelliste eines Albums, ich kann aber nur ein Lied kaufen, denn das Album erscheint erst in zwei Monaten. Warum bloß, denn wenn alle Titel schon feststehen, existieren die dazugehörigen Lieder doch auch schon alle. Man gibt sie mir aber nicht. Man verschiebt meine Genussbefriedigung immer weiter, hinein in eine Zukunft, in die ich weder schauen möchte noch kann. Kein Mensch kann sich zwei Monate lang auf das neue Phoenix-Album freuen und vier Monate lang auf ein Portishead-Konzert. But that’s entertainment, vielleicht sollte ich mir einfach einen Terminkalender besorgen, in den ich meine Sehnsüchte eintragen kann, fein säuberlich.