Aus dem Archiv: Tina Turner im Interview – „Ich möchte mich tollkühn ins Abenteuer stürzen“
Im Alter von 83 Jahren ist Tina Turner verstorben. Wir vermissen sie schon jetzt. Ein Archiv-Rückblick.
Tina Turner ist im Alter von 83 Jahren gestorben. Das teilte ein Sprecher der Rocksängerin in einem Statement mit, das britische Medien verbreiteten. Sie sei „friedlich und nach langer Krankheit in ihrem Haus bei Zürich gestorben“.
Wir vermissen die Soul-Legende schon jetzt. Um uns an Turner zu erinnern, haben wir ein ME-Interview aus dem Jahr 1993 mit ihr aus unserem Archiv hervorgeholt.
ME: Vorletztes Jahr hast du noch behauptet, du würdest Rock ’n‘ Roll endgültig an den Nagel hängen. Jetzt bist du prompt wieder da: Platte, Film, Konzerte. Warum das?
TINA TURNER: Jetzt mach mal halblang. Seit drei Jahren versuche ich, ein bißchen kürzer zu treten, aber bis jetzt ist mir das nie gelungen. Ich habe damals nur beschlossen, mit dem ständigen Touren aufzuhören, und selbst das war nicht gerade einfach, weil es anscheinend eine Menge Leute gibt, die glauben, ich wäre mit einem Mikrofon in der Hand zur Welt gekommen.
Versteh‘ mich nicht falsch: Ich liebe Konzerte, ich liebe das Publikum — schließlich habe ich auf den beiden letzten Europa-Tourneen vor drei Millionen Leuten gesungen. Aber es ist nun mal eine Tortur, jeden Abend auf die Bühne klettern und deinem armen Körper sagen zu müssen: ,Hör zu, es tut mir leid, aber in den nächsten 90 Minuten ist Maloche angesagt.´
Ich habe nie behauptet, daß ich nie wieder live singen werde, aber mit diesem endlosen ,Rein ins Hotel, raus aus dem Hotel‘ muss es ein Ende haben. Du hast ja keine Ahnung, wie fertig ich jedes Mal vor einer Tour war. Ich brach schon in Tränen aus, wenn Roger, mein Manager, nur anfing, davon zu reden.
Nein, die Show selbst habe ich immer geliebt, es ist das Herumfahren und Herumhängen, auf das ich für den Rest meines Lebens verzichten kann.
ME: Nun gibt es, abgesehen von sechs Open-Airs in Europa, in den USA doch wieder eine komplette Tournee – allen guten Vorsätzen zum Trotz. Man munkelt, es sei dein doch recht aufwendiger Lebensstil, der diese Maßnahme notwendig gemacht habe …
TURNER: Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß eine Schauspielerin mehr Stil und Klasse hat als eine Rock ’n‘ Roll-Sängerin. Aber als Sängerin verdiene ich nun mal mehr Geld. Ich bin kein Dummkopf!
Ich weiß aber auch, daß man als ältere Frau im Rock ’n‘ Roll nichts verloren hat. Als Mann geht das vielleicht ja noch, als Frau aber nicht. Deswegen möchte ich nach wie vor meine Filmkarriere forcieren. „Mad Max“ hat Spaß gemacht, und der Auftritt als Acid Queen in „Tommy“ war auch ganz lustig — obwohl Ken Russell daraus einen üblen Trip gemacht hat.
Jetzt möchte ich in die Action-Abteilung. Ich seh’s dir an, du denkst an etwas ganz anderes – nein, nicht die Art von Action! Ich würde gerne so etwas wie einen weiblichen „Indiana Jones“ spielen. Ich möchte mich tollkühn ins Abenteuer stürzen, wie eine weibliche Antwort auf Errol Flynn.
Aber – und das ist ein großes Aber – Hollywood hat davon noch immer nichts mitbekommen. Ich bekomme zwar ständig Drehbücher, aber alles, was ich darin zu spielen habe, sind Nutten! Darauf habe ich keine Lust. Erstens ist es ziemlich unwürdig, auf dem Rücksitz eines Chewy mit dem Hintern zu wackeln, und zweitens hat es mit mir partout nichts zu tun.
Eine Menge Leute haben aus meiner Bühnenshow völlig falsche Schlüsse gezogen. Die Männer sehen mich da oben herumstolzieren, im superkurzen Minirock und mit Netzstrümpfen, und daraus folgern sie dann messerscharf — oder zumindest einige von ihnen — daß ich für jeden zu haben sei. Bin ich aber nicht, bin ich nie gewesen. Sicher. Rock ’n‘ Roll hat viel mit Sex zu tun, und mir wäre nie in den Sinn gekommen, wie eine Nonne zu singen, aber vulgär war ich auch nie. Und das können nicht alle Damen in meinem Gewerbe von sich behaupten du weißt schon, wen ich meine …
ME: Madonna und Cher, oder?
TURNER: Ich will keine Namen nennen. Ich sage nur, daß ich jedenfalls keine Tätowierung am Hintern brauche und mich auch nicht mit irgendwelchem Operationsbesteck behängen muss. damit das Publikum auf seine Kosten kommt.
ME: Ok, kommen wir auf diese falschen Vorstellungen zurück …
TURNER: Naja, meine Konzerte haben diesen Hollywood-Typen wohl den Eindruck vermittelt, ich wäre ein Flittchen. Nicht allen naturlich, nicht einmal der Mehrheit, aber eben denen, die mir diese Drehbücher schicken. Wie gesagt, ich bin verdammt stolz darauf, daß ich dieses Herumgewälze auf der Bühne nie nötig gehabt habe. Ich finde, man kann viel mehr Erotik verbreiten, wenn man nicht alles zeigt. Kein Mädel, das in diesem Business anfängt, sollte glauben, daß sie auf der Bühne alle nur denkbaren männlichen Phantasien über die Rampe bringen muß. Das ist nicht Rock ’n‘ Roll, das ist einfach ordinär. Und ich, Schätzchen, war nie ordinär!
ME: In der Verfilmung deines Lebens, die nun in Kürze unter dem Titel „What’s Love Gotta Do With It“ in die Kinos kommt, spielst du selbst nicht mit. Warum eigentlich nicht?
TURNER: Wen könnte ich schon spielen? Mich selbst? Warum? Ich kenne die Rolle, ich habe sie gelebt, und das war oft schon furchtbar genug. Nach jedem Streit mit Ike litt ich, weinte, innerlich und äußerlich verletzt. Diese Streits noch einmal zu nachzuspielen wäre zu viel für mich, ich würde nach jeder Szene in Tränen ausbrechen. Schließlich wäre es ja nicht nur Schauspielerei, ich wüsste ja, daß es diese Schläge tatsächlich gab, daß ich es war, der sie abbekommen hat. Nein, niemals, ich bin so glücklich, daß ich das alles heil durchgestanden und mich wieder aufgerappelt habe.
ME: Wem würdest du in deinem Wunschfilm den männlichen Part geben?
TURNER: Jemandem mit Format.
ME: Du hast vor der Kamera bereits mit Mel Gibson, Mick Jagger und David Bowie gearbeitet. Fallen die in diese Kategorie?
TURNER: Mel ist ein absoluter Profi, ich wurde jederzeit wieder mit ihm arbeiten. Mick? Mit Mick kann man viel Spaß haben, aber du weißt nie, ob er dir nicht in der nächsten Szene den Rock vom Leib reißt – so wie er es bei Live Aid gemacht hat. Ich denke, wir kommen auf der Bühne gut miteinander zurecht, weil wir beide wissen, daß Körpersprache keine schlechte Sprache ist. Damals, als es Ike und Tina Turner noch gab, stand er oft in den Kulissen, bevor die Stones an der Reihe waren, und schaute mir beim Tanzen zu. Man konnte sehen, wie er alles registrierte, sich jede Bewegung einprägte, um die kleinen Mädchen danach mit einem Hüftzucken á la Tina Turner verrückt machen zu können.
Mick ist schon irre. Allein wie er sich bewegt … Er könnte eine der zehn erotischsten Frauen unseres Planeten sein — nur ist er leider mit den falschen Teilen geboren worden.
ME: Wird dein Mann, Erwin Bach, bei solchen Lobeshymnen nicht eifersüchtig?
TURNER: Eifersüchtig auf was? Es gibt nichts, auf das er eifersüchtig sein müsste. Das Schöne an Erwin ist, daß er der erste wirklich erwachsene Mann ist, dem ich in meinem Leben begegnet bin. Die meisten Männer benehmen sich wie Fünfjährige, vor allem dann, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht — dann ziehen sie mit Getöse ab und schmollen. Oft ist das ganz rührend, aber auf die Dauer kann es einem auf die Nerven gehen. Ihr Männer habt keine Ahnung, wie viel attraktiver ihr sein könntet, wenn ihr nur ein bisschen erwachsen werden würdet.
Erwin ist der netteste Mann, den ich kenne. Er versteht, dass man gerne Blumen bekommt, dass es schön ist, wenn einem jemand die Tür aufhält und kleine Geschenke macht. Erwin weiß, daß eine Frau gern wie eine Dame behandelt werden möchte – also tut er es. Die meisten Männer tun es nicht.
Die meisten Männer wollen eine Frau nur besitzen. Sie wollen, daß wir nach ihrer Pfeife tanzen. Tja, da muss ich dich enttäuschen, Süßer, denn privat bin ich kein „Private Dancer“. Ich singe nur davon. Das Männlichste, was ein Mann tun kann, ist nett zu sein. Es gibt nichts, was Frauen mehr antörnt. Hort zu, Jungs, wenn ihr das Geheimnis ewigen Sex-Appeals wissen wollt — das ist es! Vergesst all die schnellen Autos und engen Hosen! Wenn ihr das Herz einer Frau gewinnen wollt, seid einfach nett.
ME: Wie nett sollten wir denn sein?
TURNER: Nun, ihr könntet etwa damit anfangen, uns nicht mehr ständig anzuschreien. Ist dir das schon mal aufgefallen? Ihr plärrt auf uns ein, als ob wir eine Art Haustier wären. Das ist sehr unangenehm und erotisch nicht gerade stimulierend.
ME: Du lebst jetzt seit sechs Jahren mit Erwin Bach zusammen, was wohl ein kleiner Rekord für dich ist. Warum funktioniert diese Beziehung im Gegensatz zu früheren?
TURNER: Bei anderen Männern hatte ich immer ein bisschen das Gefühl, dass meine einzige Aufgabe darin bestand, sie gut aussehen zu lassen. Etwas Nettes am Arm, so wie ein Schmuckstück, nur dass ich leider sprechen konnte – wenn man mit mir redete. Heute ist das anders. Ich habe Erfolg, und deshalb hängt mein Selbstvertrauen heute nicht mehr davon ab, was ein Mann von mir denkt. Nein danke! Ich kann mir meinen Champagner selbst kaufen.
Mit Erwin bin ich ganz entspannt, weil ich reich und erfolgreich und damit selbstbewußt genug bin, um einfach ich selbst zu sein. Und ich weiß, daß er genau das will, deshalb funktioniert es. Ich bin kein Schrittmacher für sein Ego, kein hübsches Anhängsel. Irgendwie scheinen die Leute immer wieder darauf hinweisen zu müssen, daß Erwin um einiges jünger ist als ich, aber sein Alter hat nichts zu bedeuten, weil er eben viel erwachsener ist als der Rest von euch Fünfjährigen.
ME: Du hast die vergangenen fünf Jahre hauptsächlich in Europa verbracht. Siehst du dich überhaupt noch als Amerikanerin?
TURNER: Ich lebe die meiste Zeit in Deutschland und Frankreich. Ich liebe Paris – nicht zuletzt, weil es dort das beste Eis der Welt gibt – und ich mag diese lässige Lebensauffassung der Europäer. In den Staaten schwirren die Leute immer nur hektisch herum, und wenn du jemandem im Weg stehst, dann trampelt er dich eben nieder.
In Europa scheinen es mir die Leute wirklich zu gönnen, dass es mir gut geht, während sie in Amerika, oder jedenfalls in Los Angeles, wohl eher denken: Gut, sie hat’s geschafft, was springt jetzt für mich dabei heraus? Deshalb mag ich auch nicht mehr in Los Angeles wohnen – man würde mich nur zu einem Haufen Parties einladen, und zwar einzig und allen deswegen, weil ich Tina Turner bin. Hier interessieren sie sich offensichtlich mehr dafür, wer Tina Turner eigentlich ist. Was denkt sie? In L.A. wären viele Leute vermutlich entsetzt, dass Tina Turner überhaupt denkt. Du hast zu singen, Weib, das Denken kannst du anderen überlassen …
ME: Was gefällt dir noch an Europa?
TURNER: Die Modegeschäfte. Ich gebe eine Menge Geld für Kleider aus. Ich mag den Wein. Ach, es gibt viele Sachen … Ich mag die Journalisten …
ME: Wie bitte?
TURNER: Sorry, das war nur ein Witz – aber ich mag es, wie ihr dabei rot werdet!
ME: Hat dir die Beschäftigung mit deiner filmischen Biografie dabei geholfen, die dunklen Kapitel deiner Vergangenheit zu verarbeiten?
TURNER: Das werde ich niemals können. Ich werde nie vergessen, wie es ist, geschlagen zu werden, bis du bewusstlos am Boden liegst. Ich werde niemals diese Kämpfe mit Ike vergessen und wie ich manchmal nicht auf die Bühne gehen konnte, weil mein Gesicht durch die Schläge so entstellt war. Ich werde niemals vergessen, wie schlecht es mir später ging, wie sehr ich versuchte, wieder nach oben zu kommen – so sehr, daß ich mich sogar dazu herabließ, vor irgendwelchen Geschäftsleuten in Las Vegas Varieté-Liedchen zu singen.
Ich kann nicht vergessen, wie ich Ike verließ und er mich mit einer ganzen Schar von Bodyguards verfolgte. Ich flüchtete in eine Kirche, und weil ich wusste, dass er versuchen würde, mich zurückzuholen, nahm ich eine Pistole mit. Die Leute in der Kirche waren entsetzt, daß ich mit einer Waffe an diesen heiligen Ort kam, aber mir war das egal. Ich wusste, wenn er versuchen würde, mich zur Rückkehr zu zwingen, würde ich ihm eine Kugel verpassen.
Glücklicherweise kam ich zur Besinnung, bevor Ike mit seinen Gorillas aufkreuzte. Ich versuchte, mich mit buddhistischen Gesängen zu beruhigen, und dabei wurde mir klar, dass es sinnlos ist, Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Als Ikes Armee anrückte, drehte ich einfach die Sprinkler-Anlage auf. Damit jagte ich sie in die Flucht, denn wenn es etwas gibt, was Schwarze Männer hassen, dann ist es Wasser auf ihren teuren Anzügen.
Siehst du, ich habe nichts vergessen, obwohl ich es gerne könnte. Ich würde mir gerne einreden, daß ich nie so lange in mein Kissen geheult habe, dass ich es hinterher hätte auswringen können. Ich würde gerne so tun, als wäre ich nicht mitunter mit dem Wunsch aufgewacht, tot zu sein, weil ich das Gefühl hatte, es gibt niemanden auf der ganzen weiten Welt, der mich liebt.
ME: Wann hattest du dieses Gefühl?
TURNER: Den größten Teil meines Lebens, vermutlich. Jedenfalls weiß ich genau, dass mir meine Eltern so etwas nie gesagt haben. Sie lehnten mich ab. Ich war nicht geplant, und zu einer anderen Zeit hätten sie mich wohl abgetrieben. Als ich klein war, wusste ich nicht, dass mein Vater nicht mein wirklicher Vater war. Später, als sie mich bei meinen Großeltern abgeladen hatten, lief ich jeden Morgen zum Briefkasten, um nachzusehen, ob mir meine Mama einen Brief geschrieben hatte. Das war alles, was ich wollte, nur einen Brief oder eine Postkarte, ein Zeichen, daß sie an mich dachte und vielleicht eines Tages nach Hause kommen würde. Ich betete für einen Brief. Aber es ist nie einer gekommen, Ich darf immer noch nicht zu lange darüber nachdenken, weil ich sonst weinen muss. Entschuldige, jetzt bin ein bisschen außer Fassung geraten … Aber das würde doch jedem so gehen, oder? Würde es nicht jeden traurig machen, wenn er so sehr geliebt werden möchte, wenn er sich so sehr nach einem Lächeln oder einem Kuss sehnt, und ihn nie bekommt?
ME: Im Show-Business gibt es viele, die ihre Verzweiflung mit Alkohol oder Drogen zu verdrängen versuchen. Du hast so viel mitgemacht, ohne je zu diesen Mitteln zu greifen?
TURNER: Es gab zu viele abschreckende Beispiele. Schon als ich drei war, habe ich meinen Großvater im Suff umfallen sehen. Er sollte auf mich aufpassen, aber die Flasche war ihm wichtiger, und zum Schluß kippte er einfach um. Das trug nicht gerade dazu bei, in mir große Gelüste nach Alkohol zu wecken. Außerdem gingen die Schwarzen in unserer Gegend Samstagabends immer in die Kneipe, und dort konnte man sehr schön beobachten, was die Leute im Suff so alles machen. Ich sah zu, wie die Frauen – alle in ihren besten Kleidern – lachten und kicherten und schließlich zu irgendeinem Auto wankten. Und dann beschlugen die Fenster, und man hörte sie leise stöhnen und grunzen. Ich dachte damals, sie würden gefoltert. Auch das war nicht gerade angetan, mich von den Vorzügen des Alkohol zu überzeugen.
ME: Und Drogen?
TURNER: Das kam später, als ich schon im Showbusiness war. Es fing mit Kokain an. Ich saß im Büro einer Plattenfirma, und ein Typ, den wir kannten, tauchte auf einmal mit einem Haufen Koks auf. Er kam sich ungeheuer toll damit vor – weil es genau das ist, was diese Droge mit dir macht: Du benimmst dich wie ein Vollidiot, der nur davon labert, wieviel Geld er hat. Na ja, er legte mir ein paar Lines vor und dann bot er diesem netten Mädchen etwas an, das dort als Sekretärin arbeitete. Vermutlich dachte sie, das wäre eben Rock ’n‘ Roll und jetzt könnte sie auch mal dabei sein.
Innerhalb von Sekunden verwandelte sie sich in eine hirnlose Quasseltüte, die in Lichtgeschwindigkeit nur Blödsinn von sich gab, und ich dachte: Die Droge hat aus diesem süßen kleinen Ding ein Monster gemacht.
Danach wollte ich natürlich auf keinen Fall etwas davon nehmen, aber sie ließen nicht locker, lagen mir in den Ohren, wie toll ich mich fühlen würde und was für einen Kick das gäbe. Schließlich wurde ich so sauer, daß ich die 100-Dollar-Note nahm, mich herunterbeugte und einfach blies! Ich pustete es weg, es tanzte wie Staub in der Luft, und die beiden machten sich völlig lächerlich mit ihren Versuchen, das Zeug wieder aufzufangen. Ich sage dir, es gibt nichts Unattraktiveres als einen erwachsenen Mann, der versucht, Kokain aus einem Langflor-Teppichboden zu schnupfen!
Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben Drogen genommen, aber das war noch schlimmer – obwohl es nur ein Joint war. Meine Background-Sängerinnen hatten sich ein bisschen Gras verschafft und überredeten mich zu ein paar Zügen. Zuerst passierte gar nichts, aber dann, nach ein paar Minuten, bekam ich wahnsinnigen Hunger. Ich mußte einfach etwas essen. Wir nahmen uns also ein Taxi und fuhren zu einem Restaurant. Ich möchte nicht wissen, was die Kellner dachten, als wir unter schallendem Gelächter hereinpurzelten und anfingen, die Speisekarte rauf und runter zu bestellen.
Zuerst verschlang ich alles, was schon auf dem Tisch stand, Brötchen, Salzstangen, einfach alles, und nachdem wir die erste Ladung verputzt hatten, bestellten wir das gleiche nochmal. Ich fand alles ungeheuer lustig, bis ich wieder in meinem Hotelzimmer war. Dort ging es dann richtig los. Der Raum fing plötzlich an. sich um mich zu drehen, und ich dachte, wenn du dich nicht sofort hinlegst, kotzt du dir die Lungen aus dem Leib. Ich krabbelte ins Bett, aber das war auch keine so gute Idee, denn jetzt hatte ich das Gefühl, ich hätte meinen Körper verlassen, ich wäre gestorben und würde körperlos durch den Raum schweben. Ich dachte wirklich, ich wäre über den Jordan gegangen und würde im nächsten Augenblick Petrus an der Himmelstüre begrüßen.
ME: Du scheinst dich ganz gut davon erholt zu haben … Was wird dir die Zukunft bringen, was meinst du?
TURNER: Einfach Glück, hoffe ich. Es muß Glück sein, denn in meinem Leben hat es so viel Schmerz gegeben, daß ich mir nicht vorstellen kann, noch einmal so zu leiden. Ich habe mehr geweint als andere Leute in fünf Leben.
Wie gesagt, ich möchte weiterhin Platten machen, und ich möchte unbedingt zum Film – und ich weiß, daß das klappen wird, egal, wie lange es dauert. Ich kann stur sein, das habe ich lernen müssen, und ich bin wild entschlossen, als Schauspielerin etwas zu werden. Vor Kurzem habe ich mal im Scherz zu jemandem gesagt, dass ich wahrscheinlich erst eine gute Rolle bekomme, wenn ich alt und grau bin und am Stock gehe, aber ehrlich gesagt, das würde mir auch nichts ausmachen. Wenn es solange dauern sollte, dann werde ich eben warten.
Ich habe lange gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Ich kenne eine Menge Leute, die über Nacht berühmt wurden und kaum älter als Teenager waren. Ich habe dazu 30 Jahre gebraucht, 30 Jahre harter Arbeit – auf ein bisschen mehr Arbeit kommt es da nicht an. Hollywood-Stars denken in meinem Alter oft schon ans Aufhören, aber ich nicht. Ich habe nicht vor, in der Sonne zu sitzen und meinen Lebensabend zu genießen. Ich werde noch arbeiten, wenn ich 90 bin. Ich werde auch dann noch singen. Und das meine ich ernst.