Ultravox – Midlife Crisis einer Band
Bei Ultravox sind noch nicht alle Wunden vernarbt. In dem Interview, das sie dem ME nach Fertigstellung ihrer neuen LP gaben, klang es empfindlich durch: Midge Ure weiß wohl immer noch nicht, ob die kritischen Geister ihn endlich für voll nehmen, und Warren Cann leidet darunter, daß man die Band ja schon immer falsch verstanden hat...
Die Begegnung mit Ultravox liegt inzwischen schon ein paar Wochen zurück. Drei Monate hatten sie in Conny Planks Studio an ihrer neuen LP RAGEING EDEN gearbeitet. Die ländliche Oase der modernen Musik drohte in dieser Zeit fast aus den Nähten zu platzen, soviel Technik hatten sie mitgebracht; für jede Nuance den richtigen Synthesizer sozusagen. Und in diesem Schlaraffenland hatten sie sich ausgiebig von der Intuition treiben lassen. Das Angenehme an Connys Studio ist eben, daß man dort den Gebührenzähler nie so laut ticken hört und nur an die hohen Kosten denken muß, wenn jemand unsensibel danach fragt. „It wasn’t painful but payful“ kontert Chris Cross später nochmal, als ich mich dafür interessiere, ob es nicht manchmal eben doch painful werden kann, wenn man in einem gemieteten Studio hinter irgendeiner Eingebung herlaufen muß. „Das ist nicht so wild,“ meint der beste Popsänger von der britischen Insel, Midge Ure, „wenn bei mir ein, zwei Tage mal nichts läuft, kann es durchaus sein, daß Billy Currie gerade produktiv ist. Wir sind ja schließlich vier kreative Leute.“
Diese vier kreativen Leute erlebe ich am letzten Tag im Studio. Ihr Produzent Conny Plank wirkt restlos ausgepowert, Keyboardkünstler Billy Currie bleibt die meiste Zeit bei ihm, denn die letzte Mischung ist noch nicht fertig, die Flüge zurück nach London sind für den nächsten Tag gebucht. In den Räumlichkeiten herrscht schöpferisches Chaos, aber von Stress und genervter Hektik keine Spur. Bemerkenswert.
Midge Ure bleibt zunächst noch distanziert – schließlich gewinnt man das Vertrauen eines Schotten nicht, indem man ihn einmal freundlich anlächelt. Außerdem muß er ja erst herausfinden, ob ich zu denen gehöre, die es für den Untergang des Abendlandes halten, wenn jemand wie er über Slik, Rich Kids, Thin Lizzy und Visage schließlich bei Ultravox hineinrutscht. Das Trauma seiner belächelten Slik-Vergangenheit sorgt darum auch, was meine Einordnung des VIENNA-Albums unter „Pop“ betrifft, zunächst für Verunsicherung. Das legt sich erst, nachdem Chris Cross dazustößt und absolut keinen Sinn für den Ernst der Situation an den Tag legt. Nur Warren Cann, der sich in seiner netten und ruhigen Art so viel Mühe gibt, mir das Unternehmen Ultravox von der richtigen Seite zu beleuchten, hält dann wieder jede Frage, die ich stelle, jeden Aspekt, den ich diskutieren will, für persönliche Kritik. Billy hält sich da raus, denn der muß ja schließlich Conny beim Mischen helfen…
„Für mich besteht Ultravox-Musik nicht nur aus simplen Popsongs, ich sehe in jedem Titel durchaus mehr,“ erklärt Midge. „Für mich steckt eine Menge in der Kombination aus Melodie und Atmoshäre. Die Melodien sind catchy,ich mag sie.“
Das neue Album (s. Longplayers) entstand wieder bei Conny Plank, weil die Band sich hier zuhause fühlt. Und „weil Conny sein Studio wie ein Instrument spielt“.
Aber ihr habt ja reichlich viel Equipment dabei.
„Zu viel, ja.“
Braucht ihr das wirklich?
„Ja, schon, wir sind so einfach für jede Situation ausgerüstet. Wir brauchen eben einen bestimmten Synthesizer, um einen bestimmten Ton zu erzielen. Wenn das Gerät dann nicht da ist, ist die Idee verschenkt. Wir wußten ja, daß wir ein paar Monate hier sein würden, darum war es schon besser, alles mitzubringen.“
Ja, aber so fängt es doch wieder an.
„Was?“
Als Yes und ELP mit ihrer Materialschlacht auf dem Höhepunkt angelangt waren, kamen neue Bands und reduzierten alles auf das Wesentliche, das Minimum. Jetzt aber wird das Equipment überall schon wieder umfangreicher.
„Sicher, aber das liegt daran, daß die Musik auch wieder besser wird. Als die Bands nur ’ne Gitarre und ’nen Amplitier hatten, war die Musik ja auch fürchterlich. Die Einstellung der Musiker war gut,’auch ihre Energie. Aber ihre spielerischen Fähigkeiten waren unter aller Kritik. Ich persönlich hasse Bands wie Genesis oder Yes undwilidamit auch nichts zu tun haben. Eher würde ich mich erschießen als so zu arbeiten. Aber wir brauchen das Equipment, um einen Livesound zu bekommen. Alles, was du damals im Eainbow auf der Bühne gesehen hast, steht hier.“
Die Grundidee zu dem neuen Album unterscheidet sich recht extrem von VIENNA. Die Band war damals mit fast fertigem Material ins Studio gegangen und hatte die Aufnahmen in drei Wochen durchgezogen. Inzwischen finden sie es selbst etwas zu steril, zu statisch. Die Struktur der neuen Titel wirkt dagegen elastischer, aber damit wurden die Songs auch länger und komplexer.
„Chris: “ Wir haben uns vorgenommen, jedes Album unter anderen Voraussetzungen einzuspielen. Diesmal haben wir zwei Wochen vorher ein wenig geübt, ein paar Themen ausgearbeitet und einige Ideen auf Kassette festgehalten. Aber dann haben wir sie doch lieber vergessen und etwas anderes gemacht.“
Meint ihr wirtlich, daß ihr die Materialschlacht unter Kontrolle halten könnt?
„Ja natürlich“ (beide gleichzeitig). “ Wir sind uns dessen sehr wohl bewußt, denn mehr Instrumentarium könnten wir auf der Bühne gar nicht bewältigen.“
„Da könntet ihr ja leicht auf Bänder umsteigen“, lästere ich, aber:
„Nein!! Deshalb haben wir doch das ganze Zeug hier! Es ist für Human League oder Orchestral Maneuvres leicht, auf der Bühne Bänder einzusetzen. Aber wir werden auf der Bühne nie und nimmer Tapesbenutzen.“
Chris: „Das Problem taucht immer wieder auf. Du machst etwas, aber es klingt einfach noch nicht richtig“
Und dann muß eben noch ein anderer Synthie her, klar!
Warren: Jedesmal wenn wir ein neues Album machten, haben wir versucht, eine gewisse Kontinuität einzuhalten. Du kannst den Leuten nicht immer nur Platten vorsetzen, die sich eine wie die andere anhören. Ich finde es fair, wenn jemand sagt, dies hier gefällt mir nicht beson ders, aber es interessiert mich schon, was danach kommt.“
Warren scheint derjenige innerhalb der Band zu sein, der am stärksten unter dem Imageverlust zu leiden hat, den Ultravox, nach dem Weggang von John Foxx erstmal hinnehmen mußten. Er sträubt sich am empfindlichsten dagegen, einer unflexiblen Gefolgschaft gefällig zu sein. „Viele Bands erstarren in einer Formel und haben Angst davor, mal etwas anderes zu machen,“ meint auch Chris. Siehe Kraftwerk, fällt mir ein.
,Oh Scheiße! Die arbeiten jahrelang nach ihrem erstarrten Prinzip und inzwischen gibt es einen Haufen neuer Bands, die mit weniger Aufwand einen viel größeren Effekt erzielen – aber die neue LP wird bestimmt ein Bestseller!“
Chris und Midge sind derweil im Stadium, sich mit gelegentlichem Gewieher abzureagieren, doch Warren bleibt gewissenhaft bei der Sache: „Unsere Stücke
waren früher kurz ,es gab keine Soli. Wir haben daraus gelernt und uns nun entschieden, auf anderem Gebiet weiterzumachen. Die Titel werden länger, wir experimentieren mehr. Als vor kurzer Zeit die Single wieder in Mode kam, waren wir schon längst weiter. Dann hieß es, Ultravox habe ja keine Ahnung, wie man gute Drei-Akkord-Singles macht. Mich persönlich hat das ziemlich geärgert und ich habe im Stillen gefragt: wir haben das schon vor drei Jahren gemacht, aber wo wart ihr damals?“
Mit der überaus erfolgreichen Single „Vienna“ haben Ultravox ihrer Schallplattenfirma jedenfalls bewiesen, daß mittlerweile auch wieder Titel von sechs Minuten Länge im Radio und in den Charts gute Chancen haben. Die Bedürfnisse des Publikus ändern sich.
Warren: „Manche Leute haben eben ein Gespür dafür, was im Moment angebracht ist, darum haben wir auch so lange durchgehalten. Das ist zugegeben nicht gerade ein bescheidenes Statement. Aber viele bleiben einfach stehen, wenn sie einmal auf eine Sache abgefahren sind. Deswegen gibt es ja auch so viele 35jährige Teddyboys und in zehn Jahren haben wir mit Sicherheit 30jährige Punks. Weil die nichts anderes mehr an sich heranlassen.“
Midge: „Wir wollen uns nicht festlegen lassen. Vielleicht sind wir in sechs Monaten auf dem Trip, nur Singles machen zu wollen. Übrigens werden wir unsere nächsten Alben mit Sicherheit nicht mehr so produzieren, wie wir es hier getan haben.“
Im Grunde argem sie sich nicht über die untreuen Fans aus den ersten Tagen. Denn jetzt haben sie ganz andere Käufermassen hinter sich. Und wenn Warren Cann sauer den Tisch verläßt, wenn ich behaupte, daß die ungeliebten Medien im Falle Ultravox früher wohl nicht ganz zu unrecht von „New Wave“ und „Avantgarde“ sprachen, dann heißt der eigentliche Stachel wohl noch immer John Foxx. Er hat nach ihrer Meinung Lorbeeren mitgenommen oder mitbekommen, die ihm nicht unbedingt allein gebührten. Der Haß auf die Medien rührt daher, daß man dort in Foxx das kreative Superhirn sah.
Midge: „Als ich die Jungs zum erstenmal traf, hatte ich noch gar nicht die Absicht da einzusteigen – ich war ja noch mit Visage beschäftigt, da konnte ich überhaupt nicht fassen, wie gut die waren. Als ich sah, wie die zusammenspielten, da war mir klar: das ist Ultravox! All ihre Ideen – das ist Ultravox. John hat die melodics gemacht. Man hat das immer falsch ins Bild gerückt, das war schwer für die Band. Seitdem John und Robin Simon ausgestiegen sind, hatten wir keine Interviews mehr gegeben. Jetzt wollten wir einen Artikel, um dies klarzustellen.“
Ich habe es hiermit nach besten Wissen und Gewissen weitervermittelt. Behaupte darüberhinaus aber noch, daß Ultravox einfach in der typischen Midlife Crisis all jener Bands stecken, die sich irgendwann entschließen, von kühner Song-Architektur auf „richtige“ Musik umzusteigen.