Tocotronic und Realschule – Paulas Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne KW 5/2022 schreibt Paula Irmschler über Kritik an Tocotronic, Taylor Swift, Rihanna, Spotify und „How I Met Your Father“. This is fine by me, Billy!
Direkt zum Anfang, damit das abgehakt ist: MEINE MEINUNG ZU TOCOTRONIC.
In einer Zeit, in der ein großer Wettbewerb herrscht, wer die Welt in den schwärzesten Farben malen kann, in der jeder ganz besonders special schlecht drauf sein will, in der wir von allem unbetroffene Twitterjungs zu Stimmen der Generation machen und vermeintlich oder echte progressive Leute ihre Zeit vor allem damit vertun, sich gegenseitig klarzumachen wieso das mit dem besseren Leben jetzt doch wieder nichts werden kann, falle ich seufzend darnieder, wenn ich ein vollkommen unzynisches, tröstendes und kämpferisches Lied wie „Nie wieder Krieg“ höre. Mich beruhigt es, dass es Leute noch ernst meinen, dass noch Berührte da draußen rumlaufen, die sich nicht komplett unter einem Berg von Ironie nur noch mit sich selbst beschäftigen, sondern noch an DIE GROSSE IDEE von Solidarität glauben. Und was die Kritiker betrifft: Sie halten das halt nicht aus.
Die Kritik an Tocotronic erinnert mich an die Kritik, die ich aus Schulzeiten kenne und sie ist vor allem innermännlich, und zwar ging und geht es da immer gern gegen „die Luschen“. Es sind die Schlurfenden, die Weichen, die Heulenden, die Labernden, die Liebenden, die Untrainierten, die Weiblichen. Vorgeschoben wird neuerdings gern, dass Tocotronic zu akademisch seien und dann wird stattdessen eine krasse Punkband empfohlen, weil bei denen noch wirklich gesoffen, verdroschen und getatscht wurde. Deswegen spalten sich auch dieser Tage wieder die Linksmänner wegen Tocotronic, weil: Hatten wir uns nicht auf abgeklärt und zynisch geeinigt??? Die Kritik „zu akademisch“ kommt natürlich nur von Akademikern – diese linke Klasseneinteilung von akademisch-nichtakademisch scheint mir auch was sehr Westdeutsches zu sein und nicht wirklich aufzugehen, aber das führt jetzt zu weit – selbst und jetzt mal ganz ehrlich: So schwer sind die Texte von Tocotronic wirklich nicht zu verstehen. Also mich haben sie schon in der Realschule sehr berührt. Und jetzt wo ich einen Doktor habe, kann ich nur sagen: Danke, Tocotronic – und bleibt bitte luschig.
Auch sehr schön:
Hund der Woche: Damon Albarn
Es geht weiter mit den coolen Kerlen. Damon Albarn hat in einem Interview beiläufig behauptet, Taylor Swift schreibe nicht ihre eigenen Texte. Auch an Taylor Swift scheiden sich die Geister. Jahrelang wurde sie auf übergriffige Weise in Interviews nach ihrem Liebes- und Sexleben befragt, es wurde spekuliert und behauptet. Und wenn sie selbst, in künstlerischer Form und natürlich ohne Namen zu nennen, davon erzählt, kriegt sie zu hören, dass sie ihr Privatleben ausbreiten würde. Und on top jetzt der gute alte Trick: Sie schreibt ihre Songs nicht selbst. Dass das nicht stimmt, konnte natürlich schnell widerlegt werden, aber es zeigt mal wieder dieses schockierende Selbstbewusstsein vieler Typen: Ich kenne etwas nicht, also gibt es das auch nicht, und trotzdem kann ich drüber reden.
Dabei könnte man es auch wie Elvis Costello machen. Nachdem Leute der fantastischen Olivia Rodrigo immer wieder unterstellten, nichts selbst gemacht und alles nur geklaut zu haben, mischte der sich ein und sagte:
Oh Gott, wie lieb kann man sein? Vielleicht das mal als Haltung/Leitspruch installieren, Jungs: „This is fine by me, Billy.“
News der Woche bezüglich Sex
Rihanna und A$AP Rocky haben gefickt! Jetzt ist Rihanna schwanger, die Fotos haben alle gesehen, erschreckend viele weirde Typen sind online ausgetitscht, weil die Sängerin damit jetzt „besetzt“ ist und man durfte feststellen, dass es als reiche Person völlig okay ist, zu lange Jeanshosen zu tragen, die im Dreck schlürfen (Liebe Grüße an meine Mutti an der Stelle!). Also, es gibt nichts weiter zum Thema zu sagen, außer: alles Gute an alle. Mir wurde dann jedoch noch das hier irgendwo in die Timeline gespült und ich bin fast vom Bett geflogen vor Lachen:
Meine Recherchen ergaben, es ist ein Artikel vom NME.
Muss schon wieder lachen.
Album der Woche: Christin Nichols – „I’m Fine“
Omg, omg, omg: Es gibt einen Neuzugang für meine Liste von tollen Liedern, die warumauchimmer „Malibu“ heißen! Hier hatte ich sie schon mal aufgezählt. Es ist von Christin Nichols‘ neuem Album I’M FINE und einfach oberaffengeil:
Nach „Today I Choose Violence“, der Hymne über dummes männliches Gelaber, die letzten Sommer erschien, hab ich mich sehr auf das Album gefreut und WURDE NICHT ENTTÄUSCHT. Hier hat Thomas Winkler I’M FINE schon treffend besprochen und ich freu mich jetzt umso mehr auf Konzerte, Konzerte, Konzerte.
Kampf um die Streamingplattformen der Woche
Dass Neil Young von Spotify weggemacht hat, weil der erfolgreichste Podcaster Joe Rogan rechten Leuten, die Lügen übers Impfen verbreiten, dort immer wieder eine Plattform gibt, haben alle mitbekommen, ich finde das lieb und cool, aber es war mir, sagen wir es so, „nicht so wichtig“. Kurz danach folgte jedoch aus Solidarität auch noch Joni Mitchell und jetzt bekomme ich doch ein Problemchen, weil Joni Mitchell BRAUCHE ich halt. Deswegen bin ich kurzfristig zu Tidal rüber, angeblich bekommen die Künstler*innen da auch mehr, also bitte Joni, gönne dir. Gestern kurz vorm Pennen kam dann noch diese Meldung rein:
„Crosby, Stills & Nash want their music removed from Spotify in support of Neil Young“
Okaye Boomer. Es wird nicht so viel bringen, aber zumindest führen wir die Debatte über Verantwortlichkeit, Meinungsfreiheit und den Umgang mit Riesenkonzernen. James Blunt hat jedenfalls mal wieder gewonnen:
Erinnerte mich an seinen ebenfalls guten Witz von vor fünf Jahren:
Serie der Woche: „How I Met Your Father“
Es sind erst ein paar Folgen veröffentlicht worden, deswegen ist „How I Met Your Father“ nur meine Serie der Woche, weil ich nicht fassen kann, dass es sie überhaupt gibt. Schon als „How I Met Your Mother“ noch lief (es war damals meine absolute Lieblingsserie, ja ich weiß, problematisch, problematisch) gab es Pläne für einen Vater-Ableger. Das wurde aber mehrmals verworfen, so dass ich gar nicht mehr daran geglaubt habe, dass es jemals noch was wird, aber jetzt, tatsächlich: „How I Met Your Father“ mit Hilary Duff als Datende und – wow – Kim Catrall als ihre Zukunftsversion, die ihrem Sohn die Geschichte der großen Liebe erzählt. Und, was soll ich sagen? Es ist genau so gut und schlecht wie damals. Der Humor ist der gleiche, die Farbgebung, die Konstellationen… Arbeit hat nicht so viel Raum im Alltag der Protagonist*innen, Pleitesein ist irgendwie quirky, Sex ist normal komisch und so weiter, das könnte also hinhauen. Als ich im Abspann der ersten Folge jedoch lesen musste: „In loving memory of Bob Saget“, der der Sprecher in „How I Met Your Mother“ war (und in „Full House“ den Daddy gespielt hat und somit irgendwie auch MEIN DADDY in dieser Zeit war), wusste ich: Nope, I’m not ready. Ich kann noch mal zehn Jahre warten.
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