Kolumne

Paulas Popwoche: Regretting wie wir uns das alles so eingerichtet haben

Paula Irmschler fragt, ob wir es nun eigentlich dabei belassen wollen, dass es allen so beschissen geht?


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Irgendwas ist im Gange … Popfeminismusmäßig. Ein paar Sachen sind passiert, Aussagen wurden getroffen, Shitstorms wurden ausgelöst, Debatten halbwegs geführt, es braut sich was zusammen … Und ich versuche hier an meiner Faden-zusammenführ-Wand die Fäden zusammenzuführen.

Zum einen gab es eine Debatte um Ikkimel, weil sie als junge normschöne Sängerin nicht so viel auf dem Boden rumrobbt, sondern ein anderes Porno-Genre bedient, nämlich das wo man Männer in Käfige einsperrt, ihnen eine Hundemaske aufsetzt und dann halt daneben rumwackelt. Bürgis sehen eine Verrohung der Sitten, Männer, die sich lieber andere Porno-Genres angucken, schäumen vor Wut, Liberalfeministinnen jazzen das ganze zur Aneignung von Sexualität hoch – naja. Es ist vielleicht auf allen Seiten ein bisschen zu egal, um mehr zu bedeuten, als bisschen Berghain in der Dorfdisko. Ihre Fans nennen sie dafür Mutter und ich bin zumindest froh, wie niedrigschwellig wir das Thema Mutterschaft wohl mittlerweile angehen.

Bin endlich in dem Alter, wo ich merke, dass sich das alles im Pop immer wiederholt, aber immer braver, unambitionierter, sich immer langweiliger in kapitalistische Verwertungslogiken einschmiegt. Wir kommen da schließlich von Madonna, Janet Jackson

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Lil’ Kim, Lady Bitch Ray

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Xtina, Meghan Thee Stallion, Kim Petras

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… Slut Pop lebt! Hat aber schon mal mehr Spaß gemacht.

Die nächste Person, die polarisierte (manche sagten: ‚Ja, es stimmt, was sie sagt!‘, andere: ‚Spinnt die??‘) war Chappell Roan.

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Eigentlich auch kein Hot Take, aber wenn wir alle chronisch online sind, wird sich immer jemand zum Aufregen finden und dann multipliziert. Manche sind ja nun eben auch zum ersten Mal dabei. Also, die Debatte um regretting motherhood gibt es zwar schon eine ganze Weile und dass Elternschaft anstrengend ist, kann ich persönlich auch so langsam schon nicht mehr hören. Nicht weil es mir egal ist, wie es meinen Freund*innen und alle die darunter leiden, geht, sondern weil ich mich so langsam frage, ob wir es nun eigentlich dabei belassen wollen, dass es allen so beschissen geht (kleine Frage, die ich Chappell gern gefragt hätte, ist, ob sie denn Leute in ihrem Alter OHNE Kinder kennt, die nicht total fertig sind …). Oder ob wir uns mal fragen wollen, wie wir das alles besser einrichten für Eltern und Kinder und alle, die zu einer Familie gehören wollen. Ob wir mal über dieses „Kinder sind ein Segen“ versus „Kinder sind eine Falle“ hinausgehen und uns mal angucken wollen, was das verdammte Problem ist. Nämlich dass es immer zu wenige Menschen sind, die sich um Kindererziehung und Miteinanderleben kümmern müssen, die zu wenig Zeit, zu wenig Raum und zu wenig Ressourcen haben. Was wir uns in unseren WGs nachts um drei zusäuselten, nämlich, dass wir uns gern zu fünfzehnt in einem großen, für alle offenen Haus gemeinsam um ein paar Kinder kümmern, hätte nie nur Säuselei sein müssen. Aber in this economy? Natürlich nicht! Deswegen müssen wir diese bekämpfen und im Zuge dessen unbedingt verständnisvoller miteinander und hilfsbereiter sein. Vielleicht können die Eltern, die finden, dass Chappell und alle, die sich beschweren, übertreiben, sich deren Lebensumstände mal genauer angucken und Unterstützung anbieten … Vielleicht glaube ich aber auch noch an Einhörner (tue ich).

Angucktipp dazu: „WITCHES“ von Elizabeth Sankey. Es geht um die Darstellung von „verrückten“ Frauen im Kino, in der Popkultur und in der Geschichte, mit besonderem Fokus auf Mutterschaft.

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Auch hier geht es viel zu wenig um Klasse und strukturelle Zurichtungen, sondern mehr um Sichtbarkeit, Therapie, Selbsthilfe und sowas, aber wir kommen da noch hin. Wenn wir alle zu Witches werden, weil wir wütend genug sind.

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Danke, Yaenniver!

Zu wenig Wut gibt es auch hier endlich nicht mehr: In der neuen und letzten Staffel „The Handmaid’s Tale“ soll endgültig zurückgeschlagen und die dystopische Hölle Gilead zerstört werden.

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Auch hier, in Gestalt von Serena und Genossen, glauben welche, dass man das beschissene menschenverachtende System verbessern, aufhübschen, reformieren könnte. Zum Glück glauben das aber andere nicht. Woran sie stattdessen glauben, weiß man allerdings nicht (Mutterschaft ist aber auch hier wieder ein großes Thema, die Mutterliebe ein großer Motor zur Einrichtung beziehungsweise Umsturz des Systems).

Die Serie wird ja seit Jahren immer wieder herangezogen, um zu erklären, was in Sachen Geschlechtergerechtigkeit in den USA gerade abgeht oder eben nicht abgeht. Zum Beispiel kann man sich fragen, wieso die Frauen in der Serie (vor Gilead) als auch im echten Leben nicht radikaler für ihre Rechte kämpfen. Weil die Vorstellung der Alternative fehlt? Weil sie zu müde sind? Weil sie die Zeichen nicht erkennen wollen? Weil sie zu wenig Unterstützung bekommen? Alles so Fragen, die man sich beim Zuschauen der Serie und der US-Politik so stellen kann.

Ein Lichtblick ist vielleicht, dass sich viele von der Sinnhaftigkeit von dem System schmeichelndem, liberalen Feminismus nicht mehr überzeugen lassen. Der super diverse, aber halt prokapitalistische Frauenmarsch ins All mit einer Rakete von Jeff Bezos, an Bord Katy Perry, Lauren Sánchez (Bezos’ Partnerin), Moderatorin Gayle King, die Wissenschaftlerinnen Aisha Bowe und Amanda Nguyen und Unternehmerin Kerianne Flynn, konnte die wenigsten girlpowermäßig überzeugen. Einfach weil die meisten Frauen arm sind und nichts mit denen da oben zu tun haben. Der Frauenzusammenhalt NO MATTER WHAT, der auch in „Handmaid’s Tale“ immer mal wieder angedeutet wurde, bekommt wieder Risse, es sind eben nicht alle auf der gleichen Seite. Zumindest tragen aber wohl alle bald Birkin Bags, hab ich gehört.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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