Clubhilfen

Risiko-Patient Clubkultur: Über ein Überleben in der Corona-Krise


Wer träumt dieser Tage nicht vom Rausgehen? Also nicht nur zu zweit spazieren, sondern endlich wieder Freunde treffen, abklatschen, ja, ablecken und vor allem mit ihnen auch wieder auf Veranstaltungen gehen! Doch die vielen Hilferuf-Aktionen von Clubs und Konzertorten lassen langsam unruhig werden. Wird es überhaupt noch eine Club- und Gig-Kultur geben, wenn die verdammte Seuche ausgestanden ist? Linus Volkmann hat sich umgehört. Ein Lagebericht.

Überleben ohne Gäste – wie lange soll sowas für Spielstätten oder Bars gut gehen? Dass es gerade auch für unzählige weitere Branchen finster aussehen dürfte, für diese Erkenntnis muss man wirklich nicht BWL studiert haben. Hier sei der Fokus allerdings gelegt auf all die Ausgeh-Orte, die wir gerade in unseren schlecht gelüfteten Wohnungen so sehr mit Sehnsucht aufladen. Doch von Sehnsucht kann kein Laden Miete zahlen. Hier sind mal stellvertretend für so viele in Schwierigkeiten steckende Lieblingsläden (und auch Festivals) mal vier angesteuert – mit jeweils unterschiedlicher Ausrichtung. Unter den Kurzporträts findet Ihr eine Auflistung uns bekannter Hilfsfunds für Clubs aus ganz Deutschland.

ATOMINO // CHEMNITZ
File under: Der kleine selbstgeführte Indie-Hot-Spot

Das Atomino wird unter anderem geleitet von Randy Fischer und Jan Kummer. Letzterer ist Vater von den Kraftklub-Musikern Felix und Til, aber auch die Töchter Nina und Lotta spielen in einer Band. Zusammen mit Johann Bonitz sind die beiden Blond. Ihr gestreamtes Konzert aus dem leeren Atomino schaffte es unlängst bis zu einem Bericht in die „Tagesthemen“. Passt, denn es ging natürlich darum, Aufmerksamkeit für die eigene Kunst und auch den hauseigenen Club zu erzeugen. Denn seit Anfang März ist alles auf Eis gelegt. Jede Woche fallen somit vier Termine aus. Umsätze? Fehlanzeige. Wie lange kann das ausgehalten werden?

https://www.facebook.com/bandblond/videos/617287362187200/

 

„Ein, zwei Monate schaffen wir auch ohne Unterstützung. Allerdings sind dann alle Reserven aufgebraucht, die wir eigentlich für den Sommer brauchen“, erzählt Geschäftsführer Randy Fischer. Klingt nicht gerade beruhigend. Wo kann das Geld für Clubs denn sonst noch herkommen? Das weiß am ehesten Künstler und Event-Profi Jan Kummer, der immerhin auch Teil des Kollektivs rund um das bekannte Chemnitzer „Festival des Kosmonauten“ war: „Wer Glück hat verfügt über einen Förderverein oder ein Merch-Angebot – und einen Merch-Vertrieb, der momentan überhaupt noch arbeitet. Es gibt natürlich auch noch die Möglichkeit Spenden zu akquirieren…“ Wobei Jan Kummer dann noch den zerknirschten Satz hinterher schickt: „Für einen stolzen Club allerdings eine schmerzhafte Einnahmequelle.“

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Der Blond-Gig hat viel Aufmerksamkeit erzeugt, wird es in der Richtung noch weitergehen? „Ja, die Resonanz war sehr gut und die Zuschauer regelrecht dankbar für die nette Abwechslung. Bei Atomino-TV laufen mittlerweile verschiedene Formate vom Konzert, DJ-Auftritt bis zur Talkrunde.“ Dass Kultur allerdings gerade nicht überall das Thema Nummer Eins ist, ist natürlich auch den Atomino-Betreibern bewusst: „Momentan haben die Leute genug eigene Sorgen, später werden sie sich möglicherweise an unsere Unterhaltungsangebote in schweren Zeiten erinnern.“

GLORIA // KÖLN
File under: Der mittelgroße Innenstadt-Club

Das Café des „Gloria“ in Köln

Eine Nummer größer ist das Gloria in Köln. Ein altes Theater mit plüschigen Elementen, das mitten im Stadtzentrum von Rap-Konzerten bis Lesungen einem vielschichtigen Programm Platz bietet. 400 Besucher bei bestuhlten Veranstaltungen, knapp 1000, wenn gestanden wird. Bei dieser Größe lebt das Gloria auch von internationalen Acts. Die Betreiber rechnen damit, dass auch nach einem Aufheben der Veranstaltungsverbote diese über viele Monate hinaus nicht mehr verfügbar und auf Tour sein werden.

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Die Situation ist ernst. Kosten laufen weiter – die Einnahmen nicht. Verwaltungsleiter Stephan Benn gibt für die Betreiber des Ladens zu Protokoll: „Wir haben bei vielen Partnern die Stundung von fälligen Zahlungen beantragt, um unsere Liquidität möglichst lange erhalten zu können und Personal und Mieten zahlen zu können. Wenn keine Förderung kommt, die auch Minijobber und Studenten mit umfasst, müssen wir diese freistellen und auch über Kurzarbeit unsere Personalkosten reduzieren. Das wird dann aber natürlich unseren Mitarbeitern fehlen. Da wird es vor allem bei denjenigen, die sonst keine Einnahmen haben, vor allem bei Minijobbern und Studenten zu möglicherweise dramatischen Situationen kommen. Es werden insgesamt sicherlich jeden Monat einige Zehntausende Euros sein, die fehlen.“

Auch das Gloria setzt auf den Kommunikationskanal, den die Ausgangsbeschränkung noch offen gelassen hat: das Internet. In dieser Welle von Einzelinteressen übt man sich dabei in Solidarität mit anderen Spielstätten der Stadt und bastelt an einem gemeinsamen Streaming-Angebot. Es läuft unter: Dringeblieben.de/ccs – hier tut sich bereits einiges, auch das Feedback ist gut.

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Und wie erlebt man als Club in dieser Zeit überhaupt die Stimmung drumherum? Gibt es Unterstützung von Publikum von der Stadt?

„Die Gäste sind super und sehr solidarisch, sprechen uns Mut zu. Das hilft, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Leider ist der Support der Stadt Köln bisher nicht sonderlich groß. Da wird eher abgewartet und auf Maßnahmen von Land und Bund gewartet. Wenn sich an dieser Haltung nicht rasch etwas ändert, dann wird es schnell keine Clubs mehr geben und das kulturelle Leben nachhaltig geschädigt sein.“

Was man sich daher konkret von der Politik wünscht, ist klar für Stephan Benn und (sicher nicht nur) das Gloria: „Wir brauchen zum Erhalt der Clubs keine Steuerstundung oder Kreditangebote. Wir brauchen Hilfsfonds und Förderung! Vor allem wollen und müssen wir Minijobber und Studenten, aber auch feste Freie Mitarbeiter, wie Techniker oder Caterer, mitnehmen können. Ohne diese sind wir zukünftig auch nicht mehr betriebsfähig.“

MUTTER // HAMBURG
File under: Die Kult-Bar um die Ecke

Die aktuell beschäftigungslosen Mitarbeiter*innen des Clubs „Mutter“ in Hamburg. P.S.: Nicht reingucken!

Doch natürlich sind auch Läden ohne Live-Angebot betroffen von der Schließung ihrer Bars, Kneipen, Hangouts. Einer von vielen Hilferufen aktuell stammt von der „Mutter“, nahe der Schanze in Hamburg. Protagonisten der Hamburger Schule gingen hier einst ein und aus, ein gewachsenes Szene-Lokal, fest verankert in der dortigen Ausgehwelt. Jeder kennt solche Läden. Was wird mit ihnen in diesem Jahr werden?

„Wir gehen unter!“ vermeldet die Mutter dieser Tage wenig beruhigend.

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Der Austausch mit Eike Wulf, einem der beiden Mutter-Inhaber, entbehrt nicht einer sehr konkreten Dringlichkeit: Noch drei bis vier Wochen könne man das Unternehmen ohne Gäste weiter betreiben. Wer die Prognosen zu den Corona-Ausgangsbeschränkungen kennt, wird wissen, das wird eng, zu eng. 5000 bis 6000 Euro gehen für Miete und Nebengeräusche pro Monat drauf. Staatliche Unterstützung ist daher natürlich ein Thema – auch für die Mutter: „Da sind wir dringend darauf angewiesen, denn es ist nicht abzusehen, wann wir wieder Einnahmen haben. Aber Kredite und Stundungen schieben nur das Problem, die Schulden häufen sich“, sagt Wulf.

Es muss anders gehen. Spenden für Clubs werden sehr wichtig sein in den nächsten Monaten. So ist aber im Club-Sektor bereits jetzt ein Wettbewerb der Hilfsprojekte absehbar. Wer sich mit seinem Laden eine Stammkundschaft aufgebaut hat, wird im Vorteil gegenüber weniger emotionalisierten Orten mit vermehrt Laufkundschaft sein. Für Läden wie die Mutter könnte der Kult-Charakter daher überlebenswichtig werden.

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Fynn Steiner, der bei der Band Bürgermeister der Nacht spielt, aber auch in der Mutter Theke macht, weist auf die konkrete Aktion hin: „Wir haben ein Hilfsprojekt auf der Plattform Better Place eingerichtet. Man kann uns da direkt unterstützen. Ob mit EC-Karte oder Paypal.“ Steiner ergänzt: „Hallo lieber Millionär: Die Rettung der Mutter ist nur einen Klick entfernt!“ Für den Erhalt der gesamten Clublandschaft wird es dabei mehr als nur einen Millionär und ein paar motivierte Stammkunden brauchen.

IMMERGUT / NEUSTRELITZ
File under: Das schöne Indie-Festival

+++Update: Statt Ende Mai wird das Open Air nun vom 3. bis 5. September 2020 stattfinden.+++

Auch für Festivals ist die Lage eine Katastrophe. Alles läuft hier jedes Jahr auf einen einzigen Termin zu. Was wenn er nicht zu halten sein wird? Ein Talk mit Stefanie Rogoll von dem traditionsreichen Indie-Get-Together.

Euer anvisiertes Datum Ende Mai ist zwar noch einiges hin. Aber wie sehr bangt ihr trotzdem aktuell, ob er noch zu halten sein wird?

„Wir hoffen sehr, dass sich die Lage bis dahin entspannt hat, arbeiten aber parallel bereits an einem Plan B. Denn selbst wenn die Einschränkungen im April, oder sei es gar erst im Mai, aufgehoben werden, gibt es keine Garantie dafür, dass Festivalbesucher*innen dann auch wirklich wieder das Vertrauen haben, sich in großen Gruppen aufzuhalten.“

Welchen Einfluss hat die Situation gerade auf den Vorverkauf?

„Einen großen verständlicherweise. Denn niemand weiß, was passieren wird. Sei es morgen, nächste Woche oder eben im Mai. Tatsächlich ist es so, dass der VVK seit Mitte März so gut wie nicht existent ist und uns stattdessen viele Anfragen erreichen, wie es denn nun um das Festival steht.“

ShelterBoy beim Immergut Festival 2019

Kann man als Festivalmarke noch irgendwie anders Geld erlösen als durchs Event selbst?

„Festivals sind ein Liveerlebnis. Wir als ehrenamtlich arbeitender Verein haben allein schon nicht die Wege und Mittel, um groß andere Dinge zu stemmen oder für schwere Zeiten Geld auf der hohen Kante zu legen. Wenn man so will, haben wir neben den Tickets für das Festival nur einen Onlineshop mit unserem Merch. Zusätzlich können wir als gemeinnützig agierender Verein noch auf Spenden bauen, die uns über Wasser halten könnten. Hier helfen Nachrichten von Gästen, die schon jetzt gesagt haben, dass sie bei einer möglichen Absage des Festivals ihren Ticketpreis nicht rückerstattet haben wollen, um uns in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen.“

Habt ihr die Möglichkeit, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wollt ihr das tun? Helfen Kredite, helfen Steuererleichterungen?

„Wir loten gerade aus, welche staatlichen Unterstützungen für uns passend und wofür wir überhaupt antragsberechtigt sind. Natürlich ziehen wir hier nicht rückzahlbare Förderungen und Steuererleichterungen dem Aufnehmen von Krediten vor. Denn auch ein Kredit muss irgendwann abbezahlt werden und so würden wir das Problem nur etwas vertagen und dann im Jahr 2021 oder 2022 vor ähnlichen Herausforderungen stehen.“

Ausblick // Landauf, landab
File under: Christian Y. Schmidt

Clubs, Festivals, Konzertorte sehen sich aktuell von einem zum anderen Monat ihrer Existenzgrundlage beraubt. Letztlich dürfte allein die Dauer der öffentlichen Maßnahmen den Ausschlag geben, wie lange sich Lieblingsläden werden halten können. Doch über diese Dauer kann man derzeit nur spekulieren. Von einer baldigen Aussetzung dürften aber mittlerweile die wenigsten ausgehen. Auch die Verschiebung von Großveranstaltungen wie Olympia und der Fußball-EM ins nächste Jahr zeugen nicht gerade von optimistischen Einschätzungen. Immerhin ein gewisses Prognose-Potenzial bietet der Blick nach China. Dort hat der Shutdown ungefähr acht Wochen früher begonnen. Ist denn da mittlerweile eine Normalität zurückgekehrt?

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Der Autor und Publizist Christian Y. Schmidt war einer der ersten, der in Deutschland via Social Media die gesellschaftlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in China sichtbar machte. Mittlerweile befindet er sich wieder in Deutschland. Dass seine ehemalige Wahlheimat bereits alles überwunden hat, kann er nicht bestätigen.

Christian Y. Schmidt

„Meines Wissens sind im Moment noch alle Clubs geschlossen. Inzwischen haben aber viele Bars und Restaurants wieder geöffnet. Einige Restaurants hatten sogar die ganze Zeit auf, auch wenn man irgendwann nur noch zu zweit an einem Tisch sitzen durfte. […] Was ich aus Peking höre, ist, dass immer mehr Institutionen, Bars und Lokale öffnen. Ich schätze, dass die Clubs dann auch bald folgen werden, vorausgesetzt es gibt keine neuen Infektionen.“

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In ein paar Monaten könnte (könnte!) alles wieder langsam hochfahren? Das ist sicher DIE hoffnungsvolle Perspektive, die gerade sehr viele Menschen auch über die Ausgehkultur hinaus teilen. Doch auch bereits eine Unterbrechung des öffentlichen Lebens für einige Monate werden viele Clubs nicht überbrücken können. Der Blick im Netz auf die Aktivitäten jener Clubs, die einem wichtig sind, lohnt sich dieser Tage. Sonst könnte es sein, dass man den ein oder anderen nicht mehr wird besuchen können, wenn die Türen endlich wieder aufgehen.

Das letzte Wort gebührt daher noch mal Christian Y. Schmidt: „Interessante Zeiten, in denen wir leben. Das ist aber übrigens nichts Positives. ‚Möge er in interessanten Zeiten leben!‘ ist angeblich ein chinesischer Fluch – der zwar nicht wirklich verbürgt ist, aber stimmt…“

Club-Sammlung: Wen kann man wie unterstützen?

An dieser Stelle nun eine Liste bereits bestehender Hilfsaktionen bezüglich der Clublandschaft. Wir wollen ihn immer wieder ergänzen. Das heißt, wenn ihr von einem Funding wisst, das hier noch nicht gelistet ist, schickt es uns zu, und zwar mit dem Betreff „Clubhilfen“ an: redaktion@musikexpress.de. Oder kommentiert auf Facebook:

https://www.facebook.com/MusikexpressMagazin/posts/2913343232045084?__xts__[0]=68.ARDgk0yuxu289Wf5nYRUS1IWELQddEakVjd8BFF4IMcHBOHOXhN0DAXD3cfxFkCDdkQm5QpHO1QryQpgde9lJ2TmKEvvDkHMzvlchwHFDibQGvjZuy9PzGZXKdBHIjkXgifwml728eOIkWI-FMen7z3c7jpn-xT4UheLxUqKBAbbo03lqEjF0szzMg0oHQB-X1D-MSgL8eNdV1k9X8lZq-1a3nyjv_yOwLQxSnE-xklTw8G-_lWwquYqsLPnX3shPZWsy3HgxbUrwdj3XABb321aS3vT9ZAtw1hy1ykFTJdsSC53xXHHawAotrtGR54DfTZ2W11LqfshhynG00pTiOfu_A&__tn__=-R

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