Part Lies, Part Heart, Part Truth, Part Garbage 1982-2011 :: Warner

Die Pioniere des Alternative Rock mit ihrer ersten Gesamtübersicht

Ohne böse sein zu wollen: Die Selbstauflösung von R.E.M. war das bedeutendste künstlerische Statement zu dem diese Band noch in der Lage war. In einer Zeit der permanenten Revivals und Comebacks, in einer Zeit der Anwesenheit von allem einfach zu sagen: Das war’s, besser wird’s nicht – das hat Vorbildcharakter, das ist stärker, als es jeder neue R.E.M.-Song hätte sein können. Und leider auch stärker, als es die meisten Songs der letzten Jahre der Alternative-Rock-Bahnbrecher aus Athens, Georgia, waren. Die Tracklist ihrer ersten alle Phasen der aufgezeichneten Bandgeschichte abdeckenden Compilation bestätigt diese These: Während die 20 Songs auf CD 1 dieses Doppelalbums die ersten zehn Jahre des – damals noch – Quartetts großzügig vorstellen, müssen sich zwei Drittel der Lebensdauer der Gruppe auf CD2 drängen. Drei Songs der CD2 sind sogar bisher unveröffentlichte Stücke. Von denen fällt aber allein „A Month Of Saturdays“ aufgrund seines kargen Demo-Charakters auf. „We All Go Back To Where We Belong“ und „Hallelujah“ hätte man sich auch für ein überbordendes Box-Set aufsparen können, anstatt hier besserem Material die Plätze wegzunehmen. Freilich kann man sich darüber ärgern, dass ein anerkannter Favorit wie „Drive“ außen vor gelassen wurde. Man kann darüber streiten, ob das unterschätzte 1994er-Album Monster mit nur einem Song („What’s The Frequency, Kenneth?“) hier würdig berücksichtigt wurde und sich wundern, dass es von New Adventures In Hi-Fi „New Test Leper“ statt des Meisterwerks „E-Bow The Letter“ in die Auswahl geschafft hat. Man muss aber auch zugeben, dass die lahmen Platten Up, Reveal und insbesondere Around The Sun hier mit je einem Stück ausreichend repräsentiert werden. Schön, weil nicht zu erwarten, sind die Aufnahmen von „Gardening At Night“ von der Debüt-EP „Chronic Town“ und „Shiny Happy People“, dem von Band und Fan traditionell geschmähten Trallala, mit dem in den letzten Atemzügen R.E.M.s anscheinend doch noch Frieden geschlossen wurde. Der Titel des Albums geht auf ein Zitat Peter Bucks aus dem Jahr 1988 zurück, wonach R.E.M. „zu einem Teil aus Lügen, zu einem Teil aus Herz, zu einem Teil aus Wahrheit und zu einem Teil aus Müll“ bestünden. Müll hat die Band nie veröffentlicht – selbst der schlechteste R.E.M.-Song ist langweilig oder redundant, aber nie Müll. Inwieweit das Bandgefüge von Lügen zusammengehalten wurde, ist nicht zu ermitteln. Ihr Werk jedenfalls ist frei davon. Doch Herz und Wahrheit durchziehen alle 31 Jahre der Gruppe. Wer fühlt sich von „Everybody Hurts“ nicht verstanden, wer möchte bei „At My Most Beautiful“ nicht alle Menschen, die er jemals geliebt hat, auf einmal umarmen? Und dennoch: Ihre besten Jahre waren seit dem Megaseller Automatic For The People vorbei, das wussten R.E.M. letzten Endes selbst am besten. Als Radiohead als Tribut „The One I Love“ coverten, ließen sie es vielleicht nicht zufällig in ihr „Everything In Its Right Place“ übergehen.