Kritik

„Rebecca“ auf Netflix: Liebes-Thrill mit angezogener Handbremse

Eine große Liebe am Strand in Monaco zwischen Lily James und Armie Hammer wandelt sich zum Thriller im Horror-Anwesen. Mit dabei eine der ikonischen weiblichen Bösewichte der Filmgeschichte. Ob die Neuauflage des Hitchcock-Klassikers an das Original herankommt?

Im Herbst fordern Memes, Werbeslogans und Dating-Portale zumindest im englischsprachigen Raum traditionell zur sogenannten „Cuffing Season“ auf – wo Singles sich möglichst auf einen oder eine Partner*in festlegen sollen, bevor die dunklen Monate beginnen und man das eigene Zuhause seltener verlässt. Die Corona-Pandemie hat daraus auch Sprüche entstehen lassen, wie: „Will you be my Quarantine?“ Pünktlich zu der kalten Jahreszeit startet Netflix mit „Rebecca“ das Gegenprogramm. Der Film liefert unzählige Gründe, sich das mit dem schnellen Binden lieber noch mal gut zu überlegen.

Der Mystery-Thriller des britischen Regisseurs Ben Wheatley lässt sich anfangs nicht von den üblichen Romanzen unterscheiden. Der reiche, gut aussehende Maxim de Winter (Armie Hammer) trifft im sonnigen und paradiesisch inszenierten Monaco der 40er-Jahre auf eine junge Frau (Lily James). Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, unternehmen Ausflüge mit dem Auto an den Strand und scheinen endlich den*die lang ersehnte*n Gesprächspartner*in gefunden zu haben. Schließlich ist Maxim Witwer und die namenlose Frau fristet ein Dasein als Begleiterin der Mrs. Van Hopper, die kein gutes Wort für sie erübrigen kann.

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Die versnobte Frau mit spitzer Zunge wird großartig gespielt von Ann Dowd, die spätestens seit „The Handmaid’s Tale“ bewiesen hat, dass sie bösartige Charaktere verkörpern kann. Hier aber mehr reiche Lästerbacke als Militärton. Als sie entscheidet, Monaco zu verlassen und ihre Angestellte mitzunehmen, droht die aufkeimende Liebe zu zerbrechen. Doch der reservierte Maxim überrascht die junge Frau – und das Publikum – mit einem beiläufigen Heiratsantrag, der leider nichts für Romantiker-Herzen ist.

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Von sommerlichen Dates hin zum Psychothriller

Ab diesem Zeitpunkt gewinnt die nicht so märchenhafte „Aschenputtel“-Fabel an Schnelligkeit. Als Mrs. de Winter steigt die ehemalige Gehilfin zur Herrin des Anwesen Manderley an der englischen Küste auf. Wem der seltsame Antrag und das unheilvolle Schweigen des Hauptcharakters zu Fragen bezüglich seiner verstorbenen Frau Rebecca nicht genug waren, der wird aufgerüttelt, als der alte irische Folk-Song „Let No Man Steal Your Thyme“ interpretiert von Pentangle mit den Worten „He’ll Take What He Can Find“ unheilvoll ertönt, als sich die großen Stahltore des Anwesens hinter dem Auto der Frischvermählten schließen. Schluss mit der Leichtigkeit von sommerlichen Dates und rein in den Psychothriller.

Schnelle Wandlungen von Emotionen sind ganz nach dem Geschmack von Wheatley, der bereits in seinem Film „Kill List“ (2011) einen Thriller zu einem Horror mit ausladender Brutalität hat anwachsen lassen. Mit „Rebecca“ unternimmt er eine Neuauflage des gleichnamigen Alfred-Hitchcock-Klassikers (1940). Es ist zudem eine weitere Adaption des Romans von Daphne du Maurier, die das Buch 1938 veröffentlicht hatte. Hitchcock verfilmte zwei weitere Geschichten der britischen Autorin, darunter auch „Die Vögel“. Wer Hitchcocks Version kennt, merkt schnell, dass sich Wheatley sehr eng an die Originalfassung hält. Das legt eine Würdigung nahe und zeigt viel Respekt – womöglich zu viel? Die Requisiten, die Worte – hinter dem Drehbuch steckt die gefeierte Jane Goldman („Kingsman“-Reihe) – aber auch die Szenen sind fast identisch.

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Das eigentliche Duell findet unter Frauen statt

Die Blicke von Kristin Scott Thomas als Mrs. Danvers sind vernichtend.

Unter den so gut wie identischen Szenen befindet sich auch die mit Bedeutung aufgeladene Handschuh-Szene zwischen Mrs. de Winter und der Haushälterin Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas). Denn für die Spannung des Films spielt das Duell zwischen Frauen die Hauptrolle. Als die Neue im Haus ihren Handschuh fallen lässt, ist Mrs. Danvers wegen ihrer Anstellung gezwungen, ihn aufzuheben – und das gefällt ihr gar nicht. Es geht um Macht – so wie es Friedrich Schiller in seiner Ballade „Der Handschuh“ beschreibt.

Mrs. Danvers gehört zu einer der wenigen ikonischen weiblichen Bösewichte. Dabei kann sie es mit Mildred Ratched, die neuerdings auch auf Netflix zu finden ist, locker aufnehmen. Die beiden Figuren „funktionieren“ sogar ähnlich. Gewalt oder Aggression ist für Außenstehende nicht erkennbar. Mrs. Danvers nutzt vielmehr eindringliche, herabwürdigende Blicke. Sie taucht unerwartet auf und lässt Mrs. de Winter so nie ein Gefühl von Sicherheit entwickeln. Ihre Worte sind vorsichtig, aber messerscharf bis sogar tödlich. Es sind ihre Bemerkungen, die Mrs. de Winter immer wieder verunsichern und sie ihre Vorgängerin nicht vergessen lassen.

Beim Gruselaltmeister Hitchcock verkörperte die Schauspielerin Judith Anderson sehr intensiv die manipulative Haushälterin mit obsessiver Verehrung für Rebecca. Kristin Scott Thomas kann mit ihrer Interpretation mithalten. Trotzdem ist Hitchcocks Version der Figur viel gruseliger. Das liegt daran, dass Wheatley zum Schluss hinaus doch noch an einigen Stellschrauben dreht und etwa einen Schlüssel-Dialog zwischen Mrs. Danvers und Mrs. de Winter kürzt – sowie Szenen abändert – hier bleiben wir aus Spoiler-Gründen absichtlich unspezifisch. Damit zieht er aber die Handbremse gerade bei der interessantesten Figur.

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Die neue Version ist einfach zu nett

Hinter den Mauern von Manderley brodelt es.

Hitchcocks-Original bleibt der bessere Film. Dabei ist sein größter Coup, dass er anders als Wheatley mehr Leerstellen setzt, die Zuschauer*innen, die Chance geben, den Grusel selbst weiterzuspinnen. So bleibt man viel unbehaglicher und bewegter zurück, weil das Schicksal der Figuren offenbleibt. Wheatley versucht, eine 2020er-Version zu machen, indem er zeitgemäße und emanzipatorische Abänderungen bei Mrs. de Winter vornimmt.

In seiner Version kann sie sehr viel mehr Eigeninitiative zeigen. Dadurch wird sie forscher und mutiger selbst in den 40ern dargestellt. So riskiert sie sogar eine Verhaftung und bricht in eine Arztpraxis ein, um mehr über die verstorbene Rebecca zu erfahren. Dazu greift Wheatley im offensichtlichen Gegensatz zum Schwarz-Weiß-Film ordentlich zu Farbe. Damit wird in den Motiven des peitschenden Meeres und des abgelegenen Anwesens mit unbewohnten Gängen das geisterhafte und mystische der Geschichte unterstrichen.

Diese Handgriffe des Regisseurs sind zu zaghaft, als dass sie dem Film eine eigene Note geben würden. Trotzdem hat „Rebecca“ auf Netflix gute Karten, denn auch die Neuinterpretationen des Agatha-Christie-Klassikers „Mord im Orient Express“ (2017) oder Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) waren erfolgreich beim neuen Publikum. Das liegt vor allem an den vielen zeitlosen Komponenten, die die Autorin Daphne du Maurier ähnlich wie ihre berühmten Kolleginnen geschaffen hat. Der mittlerweile mehr als 80 Jahre alte Stoff wirft einen in einen Strudel aus Intrigen, Traumata, Klassenkampf sowie undurchsichtigen und abgründigen Figuren – und das wissen Zuschauer*innen immer zu schätzen.

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„Rebecca“ ist seit dem 21. Oktober 2020 auf Netflix verfügbar.

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