Peter Fox: Rückkehr zum Planet des Stadtaffen


Peter Fox veröffentlicht sein zweites Soloalbum, LOVE SONGS. Und das Land explodierte vor Vorfreude. Wie konnte der Dancehall-Caballero zu Deutschlands beliebtestem Künstler werden?

Eigentlich wollte er ja kein Soloalbum mehr veröffentlichen. Eigentlich. Eigentlich war das mit der Solokarriere ad acta gelegt. Eigentlich. Eigentlich war Peter Fox durch mit dem Experiment, allein auf der Bühne zu stehen, das Rampenlicht auf ihn, ihn allein gerichtet. Eigentlich.

Fünfzehn Jahre nach seinem Solodebüt STADTAFFE und ganze 25 Jahre nach der Gründung seiner Band Seeed veröffentlicht Pierre Baigorry aka Enuff aka Peter Fox sein zweites Album, LOVE SONGS. Elf Lieder an das Leben, Tag und Nacht, an die Liebe, an Berlin. Und an sein Publikum, das eigentlich nicht mehr auf ein Fox-Soloalbum hat hoffen können. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert? Was hat uns Fox heute zu erzählen? Und vor allem: Wer ist überhaupt dieser Typ, dessen bislang einziges Soloalbum geradezu mythischen Status im deutschen Musikbetrieb erlangt hat? Das Ende September 2008 erschienene STADTAFFE ist bis heute mit – Stand jetzt – über 1,5 Millionen verkauften Alben das meistverkaufte Rapalbum Deutschlands.

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Dass STADTAFFE so ein gigantischer Erfolg werden sollte, war eigentlich gar nicht abzusehen: der Legende nach wollte Fox während einer Bandpause bei Seeed 2007 eigentlich ein Album für und mit Rapper CeeLo Green produzieren. Der war dann aber nach dem Erfolg von „Crazy“ in seinem Duo Gnarls Barkley zu beschäftigt – und Peter Fox entschied sich, dann eben notgedrungen ein Soloalbum aufzunehmen. Dafür arbeitete er eng mit dem Produzententeam The Krauts aus David Conen, Vincent von Schlippenbach und Dirk Berger zusammen. Man kannte sich: von Schlippenbach, eher bekannt als DJ Illvibe oder als Sohn der Jazzlegende Alexander von Schlippenbach, war frühes Mitglied von Seeed – und als Produzenten hatten The Krauts ein Jahr zuvor den Überhit „Ding“ von Seeed und das Soloalbum von Seeed- Kollege Demba Nabé produziert.

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Das gemeinsame Album aber sollte alles in den Schatten stellen: Über ein Jahr hielt sich STADTAFFE in den Charts, die damals noch ganz andere Bedeutung innehatten als heute, und kletterte einige Monate nach Veröffentlichung auch auf Platz eins. Irgendwas hatte Fox mit seinen Erzählungen aus Berlin im deutschen Publikum ausgelöst.

Dass ausgerechnet ein Dancehall inspiriertes Album, das sich kaum klar in ein Genre einordnen lassen konnte – ist das jetzt HipHop? Pop? Alles? Nichts? –, von einem sich politisch klar progressiv definierenden Typen in seinen späten Dreißigern den Sound nicht nur einer, sondern gleich mehrerer Generationen liefern sollte, war alles andere als selbstverständlich. Und ist es vermutlich auch heute noch. Und doch ist Peter Fox auch bei seinem Comeback als Solokünstler vermutlich einer der wenigen Künstler:innen in Deutschland, auf die sich so gut wie alle einigen können.

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Woher kommt die ganze Liebe? Ihn kann man gerade nicht fragen – so kurz vor Albumrelease ist Fox zu beschäftigt für Interviewtermine. Und schraubt auch noch an letzten Songs herum – was vorab zu hören ist, ist noch nicht final. Also heißt es: Spurensuche.

Dickes B

Angefangen hat alles in Berlin. Natürlich. Geboren wurde Fox als Pierre Baigorry 1971 im Süden Westberlins, als Sohn eines polnisch-deutschen Lehrers und einer französischen Baskin. Eine Lehre als Klavierbauer bei Bechstein soll er angefangen und wieder abgebrochen haben, auch ein Musik und Pädagogikstudium steht in seinem Lebenslauf. Im Mittelpunkt stand aber das Musikmachen: Nach ersten unbekannten Musikprojekten gründete er 1998 Seeed mit, die vielleicht erste, aber definitiv größte deutsche und teils auch deutschsprachige Dancehall-Crew. Und die Größe bezieht sich nicht nur auf die schiere Menge der Bandmitglieder: Die drei Sänger, Fox, Frank Dellé und der 2018 verstorbene Demba Nabé, sowie die acht Musiker sollten eine Art Straßenorchester verkörpern, oder wie sie es einst selbst formulierten, als „mobiles Reggae-Sondereinsatzkommando“ mit viel Liveinstrumentation und ordentlich Wumms. Im Grunde ein Hybrid aus Marching Band und Soundsystem, wie gemacht für den Kreuzberger Karneval der Kulturen oder andere Straßenfeste.

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Das, stellte sich gleich beim ersten Album heraus, war zu klein gedacht: NEW DUBBY CONQUERORS erschien 2001 und wurde direkt zum Hit. Die Songs waren damals noch, so ehrlich muss man sein, vor allem von Fox produziert. Die Band ging durch die Decke, privat aber sollte über Baigorry eine kleine Katastrophe hereinbrechen: Vor einem Konzert in Mannheim Ende 2001 spürte er Lähmungserscheinungen im Gesicht. Im Krankenhaus wurde ihm fälschlicherweise eine spontane Gesichtslähmung diagnostiziert, die von selbst verschwinden würde. Als die richtige Diagnose, ein Virus, gestellt wurde, war es schon zu spät und die Gesichtslähmung blieb. In späteren Interviews bezeichnet er sie lakonisch als „Naturbotox“. Für Seeed bedeutete das damals aber eine Pause, bevor es mit dem zweiten Album MUSIC MONKS weitergehen würde.

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Das tat dem Erfolg aber keinen Abbruch: Mit der Band sollte Fox nicht nur in den nächsten Jahren deutschlandweit Erfolg haben, sondern auch Riddims programmieren, die weltweit von Reggae- und Dancehallkünstler:innen verwendet wurden. MUSIC MONKS wurde deswegen sogar auch auf Englisch aufgenommen, die Band wollte über den Tellerrand hinausblicken und am besten auch touren.

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Vielleicht waren es die vielfältigen Einflüsse der Bandmitglieder, die zu diesem nationalen wie auch in geringerem Maße internationalen Aufstieg beitragen sollten: Die drei Frontmänner waren alle Kinder Berlins, aber vor allem auch ganz selbstverständlich Kinder der postmigrantischen Gesellschaft der Stadt. In ihrem Sound sollte sich dann nicht nur ihre eigene Herkunft spiegeln, sondern auch die Vielfalt der Sounds der Stadt. Jazz- Musiker und DJs, Filmmusiker und Indierocker gehören zum Ensemble, über die Zeit brachten auch sie immer mehr ihre eigenen Einflüsse mit in den Sound, die Band löste das Versprechen eines Kollektivs auch in den Entscheidungsprozessen mit ihrem Zusammenwachsen immer mehr ein, wie Dellé in einem Interview mit der Trierer Zeitung „Volksfreund“ 2003 erklärte, und arbeitete gemeinsam und in Kleingruppen an den verschiedenen Elementen der Songs.

Der wichtigste Einfluss blieb aber: Berlin. Und so sollte Fox seiner Heimatstadt mit seinem Soloalbum ein Denkmal setzen, das alles, was er mit Seeed erreicht hatte, sogar noch überstrahlen würde.

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Schwarz zu Blau

Als ich 2008 nach Berlin zog, hatte Peter Fox fünf Tage zuvor STADTAFFE veröffentlicht, dieses Album, das eher so notgedrungen entstanden war, weil CeeLo Green gerade keine Zeit hatte. Ich stand in meiner ersten eigenen Wohnung in Friedrichshain-Kreuzberg, riss die Fenster auf und spielte „Alles neu“ ab. Es fühlte sich an, als wäre der Song nur für mich gemacht: Auch ich fühlte mich wie das Update meiner selbst, mein altes Leben irgendwo in der süddeutschen Provinz fühlte sich wirklich an wie ein labbriger Toast, wo ich herkam. Wie konnte ein Künstler diesen Moment meines Lebens so genau treffen? Wenige Wochen später folgte „Schwarz zu Blau“: ich hatte mich gerade in der Stadt so etwas wie eingelebt, ging am Kottbusser Tor feiern und lief quasi auf Peter Fox’ Spuren danach noch zum türkischen Bäcker. Dessen „süße Backwarenverkäuferin“ war im Song unsterblich gemacht worden, ich kehrte auf Çay und ein Teilchen für den Heimweg um fünf Uhr morgens ein, lernte die besungene Fatima aber nie kennen. Was ich kennenlernen sollte, war die Blasiertheit, die man sich angesichts der Extreme der Stadt schnell antrainiert. Obdachlosigkeit, Gewalt, Glückserfahrungen, Leichtigkeit und Schwere – „Schwarz zu Blau“ fing das Lebensgefühl des urbanen Raums perfekt ein. Und ich, ich fühlte mich schon wieder von Peter Fox verstanden.

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Damit war ich nicht allein: in den Kommentarspalten der alten wie auch der neuen Songs von Fox schreiben Hörer:innen immer wieder das Gleiche, das ich damals fühlte: Fox treffe mit seinen Worten genau ihre Lebensrealität in diesem Moment, liefere die Songs, die sie gerade so sehr brauchten. Fox schaffte es damals schon, seinem Publikum das Gefühl zu geben, nur zu ihnen zu sprechen und ihre Lebensumstände einzufangen.

Hört man heute STADTAFFE, klingt das Album im Gegensatz zu vielen älteren Veröffentlichungen kaum aus der Zeit gefallen. Das liegt auch daran, dass Fox und The Krauts bei Songwriting und Produktion Wert auf Zeitlosigkeit gelegt haben. Jeder Song ist, traut man zumindest auch hier wieder den GEMA-Eintragungen, gemeinsam entstanden, an jedem Wort wurde gemeinsam gefeilt. Das Ergebnis ist, dass sich weder auf der musikalischen Seite noch im Text viele Referenzen finden, an denen sich die Entstehungszeit festmachen lässt. Stattdessen zeichnet die Songs ein fetter, genre-sprengender Sound mit großem Orchesterwumms aus, der präzise Sprachbilder untermalt. Die sind bei aller Präzision aber noch so offen, dass jede:r seine eigenen Lebensumstände hineinprojizieren kann. Wer hat beispielsweise noch nie die alten Zöpfe abgeschnitten und etwas Neues begonnen? Oder zumindest davon geträumt?

So ist es auch bei seinem wohl größten Hit, „Haus am See“. Sehnsuchtsvoll entwirft Fox darin eine eskapistische Zukunftsutopie, die gerade im Land von Bausparverträgen und Häuslebauern anschlussfähig sein sollte. So anschlussfähig, dass sogar Heino ihn covern sollte. Ein bisschen Biedermeier funktioniert eben immer. War das im Sinne des Erfinders?

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Darüber kann man nur mutmaßen: immerhin war Fox schon 37 und Vater, als STADTAFFE erschien. In Interviews erzählte er damals schon, dass es in Kreuzberg ein bisschen zu dreckig geworden sei. Heute lebt er in Steglitz und hat mindestens ein weiteres Kind bekommen. Ob das Haus am See liegt oder nicht, ist unbekannt.

Zukunft Pink

STADTAFFE war und ist nicht nur kommerziell erfolgreich, es sollte auch anhaltende kulturelle Relevanz behalten. Acht Jahre nach seiner Veröffentlichung inszenierte es die Neuköllner Oper unter dem Titel „Affe“ in Theaterform. Mit der Bedeutung aber kam auch ein Verlust der eigenen Privatsphäre – der populäre Musiker wurde zu einer Art Superstar. Mit zwanzig wirkt das vielleicht noch wie ein Traum, mit Ende dreißig aber weiß man vielleicht, dass man dafür sehr viel opfern wollen muss. Fox wollte nicht.

Für sein Label wohl überraschend, kündigte er im Sommer 2009 an, dass nach dem Festivalsommer mit der Soloshow Schluss sein würde. Peter Fox, das Solophänomen, sollte Geschichte sein. Musikmachen im Kollektiv, darauf wolle er sich wieder konzentrieren. Und vielleicht auch wieder in der Masse seiner Band ein wenig von sich ablenken.

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Ganz still ist es um Fox natürlich nicht geworden: Er lieferte Features, bei Marteria oder Kitschkrieg etwa, trat in der Amazon-Prime-Serie „Die Discounter“ auf und veröffentlichte 2018 sogar einen Politikpodcast gemeinsam mit Radioeins – dessen Spuren aus dem Internet allerdings fast vollständig getilgt wurden. Und da war eben auch Seeed, die zuletzt im Sommer 2022 ausverkaufte Riesenkonzerte wie zum Beispiel in der Berliner Wuhlheide spielten.

Aber da brodelte doch noch was. Als im Oktober „Zukunft Pink“, seine erste Solosingle seit 2009, erschien, gab es kein Halten mehr. Drei Generationen an Musikfans, vom Gen-X-er, der mit Fox zusammen älter geworden ist, über Millennials, deren Coming-of-Age- Soundtrack er lieferte, bis hin zu einem Gen-Z-Publikum, unerwarteterweise, für die Peter Fox der Sound ihrer Kindheit war, wie zahlreiche Anfang Zwanzigjährige auf Tiktok erzählen, und „Alles neu“, der Song, mit dem ihre Eltern mit ihnen herumtollten.

Comeback von Peter Fox: „Zukunft Pink“ hier hören und sehen

Herumtollen, das geht auch gut zu „Zukunft Pink“ und den restlichen „Love Songs“ des neuen alten Peter Fox. Die nervöse Anspannung von STADTAFFE ist verschwunden, Altersmilde scheint sich beim Berliner breitzumachen: Auf „Weiße Fahnen“ liefert er ein Plädoyer dafür, die eigene Wut im Griff zu behalten, in „Gegengift“ spricht er sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt aus, feiert das Ausgehen („Vergessen wie“) und träumt vom Urlaub in Italien („Toscana Fanboys“). Und natürlich „Zukunft Pink“, das versprechen will, dass alles schon gut wird. Zumindest wenn man das gute Leben auf dem Land für sich entdeckt. Meint der das alles ernst oder macht er sich über die Ignoranz einer gewissen wohlbetuchten Blase lustig? Bei aller Präzision bleibt Fox auch diesmal noch opak genug, sodass jeder seine eigenen Schlüsse ziehen kann.

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Auch bei seiner Gastauswahl vereinen Fox und sein Team die verschiedenen Generationen: neben Inéz, ihres Zeichens eine Hälfte von Ätna, wäre das der junge afrodeutsche Neo-Soul-Sänger Benji Asare und Italo-Legende Adriano Celentano. Hinter den Kulissen finden sich neben alten Deutschraphelden wie Olli Banjo, Jakob Grunert alias Icke & Er, Produzent Ghanaian Stallion oder J-Luv in den Credits, aber etwa auch ein Felix Kummer.

Das sollten nicht die letzten Features sein: Als nach der Veröffentlichung von „Zukunft Pink“ Vorwürfe der kulturellen Aneignung laut wurden, dass Fox und sein Team sich am südafrikanischem House-Stil Amapiano bedient hätten, ohne ihre Einflüsse sichtbar zu machen, reagierte er konstruktiv. Er ging auf die Vorwürfe auf Social Media ein, stellte sich in der Sendung „titel thesen temperamente“ der Diskussion mit Kritiker:innen – und veröffentlichte einen Remix mit zahlreichen afrodeutschen Künstler:innen. Damit zeigte Fox einen Weg, wie aus den ewiggleichen Debatten um das Schreckgespenst Cancel Culture und Co. ein Weg hinausführt – durch Zuhören, Kommunikation, Diskurs. Und damit, seine Bühne auch mit marginalisierten Personen zu teilen.

Macht er also schon wieder alles richtig? Das werden die nächsten Monate zeigen. Zumindest zeigt Peter Fox, wie das mit dem Pop in Deutschland gehen kann: offen, lernfähig, zeitlos. Allein dafür hat sich das Comeback schon gelohnt.

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