Das sind die 100 besten Debütalben aller Zeiten
MUSIKEXPRESS hat die besten 100 Erstlinge gewählt. Von Wanda bis The Velvet Underground, here we go.
10
De La Soul
3 FEET HIGH AND RISING
1989
Als HipHop drauf und dran war, sich in Positionskämpfen und Aufmerksamkeitsdebatten zu wichtig zu nehmen, kamen diese Boys und spielten sich die Bälle in einem selbst geschaffenen Klangraum mit lauter irritierenden Verweisen zu. De La Soul entwickelten eine Spielform, in der der Kommentar gleichberechtigt neben der Musik stand. HipHop als Skit-Programm, eine Sammlung aus Rhythmen, Reimen, Noise und Sonnenschein, 23 Tracks mit Spielzeiten zwischen 37 Sekunden und knapp fünf Minuten, zum Finale ein Willkommensgruß aus dem „D.A.I.S.Y. Age“. Beste Unterhaltung mit einem Distanzhalter zu Gangsta Rappern, politischen Schwergewichten und Style-Rebellen, geboren in den Plattensammlungen der suburbanen Elternhäuser und befeuert von den frisch erworbenen Produktions-Skills von Prince Paul. Als Outsider definierten De La Soul ein neues In-Sein im HipHop. (Frank Sawatzki)
Was danach geschah: 1991 folgte ein bemerkenswert unspaßiges Lebenszeichen: DE LA SOUL IS DEAD.
9
Bon Iver
FOR EMMA, FOREVER AGO
2007
Gut, um wahr zu sein: Der 25-jährige Justin Vernon verschanzt sich einen guten Winter (französisch: „bon hiver“) lang in der Jagdhütte seines Vaters, um eine Lungenentzündung, Pfeiffersches Drüsenfieber, Online-Poker-Spielsucht und akuten Trennungsschmerz auszukurieren. Dabei knallt er Rehe ab, um sich zu ernähren, Papa bringt alle zehn Tage Bier vorbei, und Vernon schreibt Songs, inspiriert von Springsteen-Lyrics und choralen Harmonien der Wiener Sängerknaben. Sein hypnotisches Falsett, das er gern in acht Spuren übereinanderlegt, erinnert an die Apachen. Am Ende des Winters glaubt Vernon, okaye Demoversionen auf Band zu haben – bis er schnallt: bisschen Trompete und Posaune drauf und schon ist das Album perfekt. (Stefan Hochgesand)
Was danach geschah: Auch im Debüt setzt Bon Iver schon Auto-Tune ein. Später scheint er Cher Konkurrenz machen zu wollen, was den Exzess angeht – und macht das Mainstream-Stilmittel somit auch indiesalonfähig.
8
N.W.A.
STRAIGHT OUTTA COMPTON
1988
Provokationen, unabsichtlich oder kalkuliert, verschaffen Aufmerksamkeit. Dieses Album steckte voll davon. Eingebettet in eine düstere Klangcollage aus Schreien, Four-Letter-Words, Sirenen, Schuss- und Fahrgeräuschen wie aus einem Crime-Movie, verhalfen die mit sinistrer wie vehementer Funk-Besessenheit produzierten 13 Tracks sowohl Niggaz Wit Attitudes als auch den Gangsta- und Westcoast-Rap auf die globale Landkarte zu setzen. Titelsong, „Gangsta Gangsta“, „If It Ain’t Ruff“ wie auch „Parental Discretion Iz Advised“ operierten schon auf des Messers Schneide. „Fuck Tha Police“ traf nicht nur ein Bann sämtlicher Radiostationen und MTV, sondern zog Boykott von LP und Band durch zahlreiche Verbände sowie ein offizielles Schreiben des FBI an das Label Ruthless / Priority / EMI nach sich – was Medieninteresse und Absatzzahlen regelrecht explodieren ließ. Zentrale Message: Bei der Schilderung des Ghetto-Gang-Lebens fiel die bis dato gewohnte Sozialkritik zugunsten von hedonistischer bis nihilistischer Verherrlichung flach. (Mike Köhler)
Was danach geschah: N.W.A. verpufften 1991, schoben Solokarrieren an, wiedervereinigten sich mehrmals. Eazy-E verstarb 1995 an AIDS.
7
The Doors
THE DOORS
1967
Laut Autor Nik Cohn schien Jim Morrison anfangs „nur ein wunderschöner Junge in schwarzem Leder zu sein, der aussah, als hätten ihn sich zwei Schwule am Telefon ausgedacht“, doch bald „entpuppte er sich als etwas sehr Ernstzunehmendes“. Konkret: als unberechenbarer, literarisch bewanderter und dem Exzess verpflichteter Vorreiter dessen, was man gemeinhin unter dem Begriff „Gothic“ subsumiert. Bereits das Debütwerk strahlte – auch jenseits von „The End“ – in jenem immanenten Zwielicht, das Pop-Frohnaturen schaudern ließ, doch Außenseiter, Melancholiker und Suchende umso magischer anzog. Musikalisch umrahmt von perlenden Gitarrenklängen, Latin-Jazz-Schlagzeug und einer barock bis orientalisch mäandernden Orgel. Aber im Zentrum stand Morrisons warmer Bariton,
der ein bacchantisches „sweet delight“ auf die Verdammnis der „endless night“ reimte. (Uwe Schleifenbaum)
Was danach geschah: Fünf Studioalben, Skandalshows, mythenumrankter Tod in Paris.
6
Joy Division
UNKNOWN PLEASURES
1979
Als Ende der 70er dieser Meilenstein der damals noch blutjungen Postpunk-Geschichte erschien, geschah … erst mal nichts. So groß der Eindruck sein mag, den das Debüt von Joy Division auf einen ganzen Sound und die Stimmung einer Epoche besaß, so gering war indes der Impact bei Erscheinung. Die Aufnahmen in den Strawberry Studios in Stockport hatten an den Wochenenden stattfinden müssen, da die Band werktags noch Lohnarbeiten nachging. Eine erste Auflage von 10.000 Exemplaren verkaufte sich schleppend. Um die Qualität des Materials, zu dem unter anderem Stücke wie „Disorder“ oder „She’s Lost Control“ gehören, ins Licht zu rücken, bedurfte es des Nachfolgewerks: CLOSER, der Hit „Love Will Tear Us Apart“ und leider auch der Suizid von Sänger Ian Curtis am 18. Mai 1980 brachten der Band die größere Wahrnehmung, die dann auch ihrem Debüt zum Kult verhalf. (Linus Volkmann)
Was danach geschah: Das Cover-Artwork der Platte mit den wellenförmigen Radio-Amplituden ist heute ein beliebtes Nerd-Meme.
5
Björk
DEBUT
1993
Björks erwachsenes Solodebüt (entstanden nach den drei Alben mit ihrer Postpunk-Band The Sugarcubes) ist der perfekte Einstieg ins Björk’sche Œuvre. Entgegen aller Unkenrufe, wie ach so sperrig und verschroben Björks Musik sei, ist DEBUT ihr bis heute größter kommerzieller Erfolg, entstanden mit Mainstream-Produzent Nellee Hooper (U2, Madonna), sehr zugänglich, zumal man heute hört, was sie da alles angestoßen hat: Ohne Björk wären Grimes und FKA Twigs undenkbar. Aber auch Robyn und Lady Gaga, die 2013 ihr Album nach dem betitelte, was Björk exakt 20 Jahre vorher schon machte: Artpop. Die Songs sind in Björk ein Jahrzehnt lang gereift, doch die Arrangements hat sie in ihrer damals neuen Heimat London geschliffen, deren Untergrund-Clubwelt sie ganz benebelt hat. DEBUT ist house-clubby, ist acid-jazzy und eine Absage ans öde Grunge-Gitarren-Einerlei derzeit. (Stefan Hochgesand)
Was danach geschah: Der Nachfolger POST in- und exhaliert den frischen TripHop von Portishead, aber auch die Intelligent Dance Music von Aphex Twin. Bis heute hat Björk beste Frühwarn-Antennen für neueste musikalische wie popkulturelle Trends (auch die Beats von Arca und The Haxan Cloak). Dadurch klingt sie selbst stets frisch – und ist das größte lebende Hyper-Gesamtkunstwerk.
4
Roxy Music
ROXY MUSIC
1972
Die Tragik ist, dass alles schon mal da war, jede Emotion ausgedrückt wurde, auf jede Art. Egal wie emphatisch, romantisch, was auch immer man zu sein versucht: Man gerät in Distanz zu sich selbst. Alles gerinnt zur Pose, zum Kitsch. Bryan Ferry hatte Anfang der 70er ein Kunststudium bei Richard Hamilton hinter sich. Jetzt wollte er Verfahren der Pop-Art – Dekonstruktion, Collage, Zitat – auf die Popmusik übertragen. Der erste Song „Re-make/Re-model“ formuliert das Programm im Titel. Wenn es keine Originalität mehr gibt, setzt man das, was da ist, neu zusammen und schafft sich eine neue Originalität. Ferry singt affektiert, theatralisch, imitiert Jazz-Stimmen der 40er, Popsänger der 50er. Die Saxofon-, Klavier- und Gitarrensolos wirken wie ausgestellt, dazu Brian Enos irre Synthesizer. In „The Bob“ hallt der Zweite Weltkrieg nach. Glamour, Fashion, Avantgarde, Art-Rock: Ein Album, als wäre die Popmusik schnell angehalten, angeschaut, kommentiert und auf einer anderen Reflexionsebene wieder aufgenommen worden. (David Numberger)
Was danach geschah: Die triumphale Single „Virginia Plain“ kam erst mit der US-Ausgabe aufs Album. Eno stieg bald danach aus, Ferry führte die Band später konsequent in Richtung eingängigen Hochglanz-Pop.
3
Portishead
DUMMY
1994
Klar, es gab auch Massive Attack, die sogar ebenfalls aus Bristol kamen. Aber wenn wir ehrlich sind: Selten stand eine Platte so singulär für einen ganzen Sound wie DUMMY für TripHop. Alles, was man dem Genre attestiert, hier findet man es in Perfektion. Plattenknistern, eine in Mitleidenschaft gezogene Scratch-Nadel, verschleppte, schwere Beats, Samples aus einer weit entfernten Vergangenheit, diese unheimlich trostlose Grundstimmung, die Grunge im 90er-Vergleich fast wie Fun-Punk klingen ließ und dazu dieser stimmliche Kontrast. Wir müssen, natürlich, über Beth Gibbons sprechen. Ihre Stimme klagt, weint und leidet, aber so elegant, so vollgesogen mit Emotionen. All das klingt so wunderschön, dass man sich fast nicht trauen möchte, es zu genießen, weil allen elf Songs diese Einsamkeit und Verzweiflung innewohnt. Kein Wunder bei Zeilen wie „And this loneliness. It just won’t leave me alone“. Musik, die nie für die große Bühne gedacht war und sie doch erreichte. (Christopher Hunold)
Was danach geschah: Drei Jahre später erschien der selbstbetitelte Nachfolger. Auf THIRD mussten Fans elf Jahre warten. Und das war 2008. Geoff Barrow ist heute Kopf der experimentellen Krautrock-Band Beak>.
2
Sex Pistols
NEVER MIND THE BOLLOCKS, HERE’S THE SEX PISTOLS
1977
Da kann Johnny Rotten noch so misanthropisch sein, das Debüt, das einzige „echte“ Album der Sex Pistols, ist eine Mannschaftsleistung. Mit Chris Thomas und Bill Pryce konnte Teamchef Malcolm McLaren auf ein mit allen Wassern gewaschenes Produzententandem vertrauen. Thomas etwa hatte bereits mit Pink Floyd, den Beatles und Roxy Music gearbeitet, Kettenraucher Pryce gehörte ebenfalls zu den Besten seines Fachs. Als Vorteil erwies sich, dass Gitarrist Steve Jones und Drummer Paul Cook eine von unablässigem Proben gestählte Achse bildeten, die selbst das musikalische Gestümper eines Sid Vicious, kurz vor Beginn der Aufnahmen für das musikalische Herz der Band, Bassist Glen Matlock, eingestiegen, zu kompensieren wussten. So fügte es sich, dass diese Platte nicht nur durch den Parolenreichtum Rottens besticht, sondern sich auch in klanglicher Hinsicht und in puncto Songwriting als komplett zeitresistent erweisen sollte. Und dann ist da ja auch noch das Artwork von Jamie Reid. Der Queen tackerte der britische Künstler und ausgewiesene Situationisten-Anhänger bereits die Erpresserbrief-Buchstaben quer übers Gesicht, sein Knallgelb-Pink-Design von NEVER MIND THE BOLLOCKS geriet zum ikonischen Referenzwerk. (Ingo Scheel)
Was danach geschah: Tod, Split, Reunion, Rock’n’Roll-Schwindel, Prozesse, nur keine neue Platte mehr.