Jon Hiseman
Colosseum, vor einigen Jahren Englands einzige populäre Jazz-Rock-Formation, wurde nach ihrem Ableben von vielen betrauert. Colosseum stand und fiel stets mit dem Drummer Jon Hiseman, dementsprechend wurde jeder neue Versuch von ihm, alte Zeiten musikalisch aufleben zu lassen, enthusiastisch begrüßt und anschließend fast immer deprimiert verschwiegen. Erst gab es „Tempest“, über die keine weitere Zeile lohnt, nun soll Colosseum II die Lücke füllen. Um an sich und den klangvollen Namen von einst zu erinnern, besuchte uns Jon Hiseman zusammen mit Gary Moore (früher Gitarrist bei Skid Row, heute auf dem wichtigen Platz bei Colosseum II) in der ME-Redaktion.
ME:
Im Gegensatz zu früheren Versuchen bekennt Ihr Euch heute, zumindest läßt der Name diesen Schluß zu, wieder zum Erfolgsrezept von Colosseum. War da die bittere Erkenntnis, daß mit anderem. Namen und Konzept eben nichts zu verdienen ist, mit ausschlaggebend?
JON:
Gegen Erfolg und Geld wehrt sich wohl niemand, es sind jedoch nicht die Motive, die zur Gründung von Colosseum II geführt haben. Was mich wirklich unbefriedigt ließ an meinen Versuchen der letzten Jahre, war immer, daß- offensichtlich alles nicht so „paßte“ wie bei Colosseum: Wir, die Musiker; die Einfälle, die Stimmung, das alles hängt von Zufällen ab, und damals hatten wir eben Glück. Aber die Schwierigkeiten begannen schon, als Chris Farlowe bei uns einstieg.
ME:
Du bist nicht gut auf ihn zu sprechen? Immerhin hat er Euch damals noch ein ganz schönes Stück weiter gebracht, zumindest was Popularität angeht.
JON:
Das streitet niemand ab. Er war oder ist ein Sänger der Extra-Klasse, aber alles andere stimmte nicht. Ich wußte nie, ob er zur vertraglich festgesetzten Tournee erscheinen, pünktlich im Studio sein oder ein Konzert zu Ende bringen würde. Es konnte auch passieren, daß er auf einer Fahrt zwischen zwei Auftritten in Deutschland plötzlich auf einen Feldweg abbog und alle zum „Buddeln“ aufforderte.
ME:
Hatte er Interesse an Geologie?
JON:
Nein, an Nazi-Helmen und dergleichen! Das Komische dabei ist, daß er tatsächlich oft fündig wurde. Er sammelt schon seit Jahren Nazi-Reliquien, und es gibt nichts aus der deutschen Hitler-Ära, was ihm fremd wäre. Von der schwarzen SS-Uniform bis zu „Eichenlaub und Schwertern“ besitzt er alles. Er hat aus dem Spleen längst Kapital geschlagen, denn er besitzt inzwischen in London ein Geschäft, in dem er mit diesen Dingen handelt. Jedenfalls war eine Deutschland-Tournee mit Chris Farlowe stets ein Risiko, wenn sich irgendwo sein „Riecher“ meldete, war der Auftritt in Gefahr.
ME:
Zurück zur Musik, knüpft Colosseum II da an, wo die Nr. 1 vor ca. fünf Jahren aufhörte?
JON:
So genau läßt sich das nickt beantworten. Ich würde es die logische Weiterentwicklung nennen, damals war mehr Jazz drin. Ich hasse diese Klassifizierungen zwar, aber wie soll man es sonst verbal darstellen. Heute ist es, schon durch Gary Mooies Anwesenheit, mehr Rock.
ME:
Was ist in England eigentlich wirklich am Pub-Rock-Trend dran? Ist der wirklich so bedeutsam für die Entwicklung der Rockmusik, wie uns einige Musiker glauben machen wollen?
JON:
Überhaupt nicht. Wo habt Ihr das hier in Deutschland eigentlich her? In England spricht kein Mensch davon. Natürlich gibt es Pub-Rock, und es hat ihn immer gegeben, denn wo gibt es nicht Kneipen, in denen Gruppen auftreten? die sogenannte „Pub-Rock-Szene“ ist ein Presse-Hype, dem Ihr besonders in Deutschland aufgesessen seid. Wenn er irgendeine Bedeutung für den gesamten Rock hat, dann eine, die immer schon von Gruppen ausging, die live in ideinen Clubs auftraten. Das trifft doch praktisch auf jede bekannte Band zu. In England ist, wie Ihr auch hier zu spüren bekommt, der Teenie-Nonsens die Nr. 1. Bay City Rollers und wie sie alle heißen mögen, „Plasticgroups“, die keine musikalischen Wurzeln haben. Es kamen nictht ein paar musikbegeisterte Freunde zusammen, um eine Gruppe zu bilden, wie das bei allen großen Gruppen der 60er Jahre der Fall war. Hier bestimmt ein Marketing-Mann Zeitpunkt, Aussehen und Image. Nachdem er alle Details nach Checkliste vorbereitet hat, drückt er den Startknopf, und die Maschine, bzw. Teeniegruppe setzt sich in Bewegung. Das ist das Problem heute. Gruppen „wachsen“ nicht mehr, sie werden in der Retorte erzeugt.
ME:
Es gibt ja glücklicherweise noch einige von den Alten.
JON:
Die aber fast alle dahinvegetieren, oder lächerliche Zwischenlösungen akzeptieren. Ich schließe mich da nicht aus.
ME:
Zwischenlösung „Tempest“ oder Colosseum II?
JON:
Tempest! Bei Colosseum II glaube ich an eine Zukunft, wenn auch die ersten Gehversuche in Deutschland nicht gerade erfolgversprechend waren. Das läßt mich eben glauben, daß im Moment nur mit, ich will’s mal nett umschreiben, sehr simpler Musik etwas zu holen ist.
ME:
Warum hast Du die Gruppe jetzt wieder Colosseum genannt? Wolltest Du, nachdem neue Namen wie „Tempest“ wenig Erfolg brachten, auf Nummer sicher gehen?
JON:
Zum Teil ja, entscheidend war aber, daß ich erst mit diesen Musikern mit. gutem Gewissen von einer Weiterführung des Colosseum-Konzeptes sprechen kann.