Joe Jackson und das Geheimnis des swingenden Saxophons


Gäbe es einen Preis für die überraschendste Platte des Jahres, Joe Jackson könnte schon jetzt die Trophäe nach Hause tragen. Auf JUMPIN' JIVE frappiert er mit Orchester-Swing aus den 40er Jahren - Glenn Miller, ich hör' dir trapsen. Warum, wie und wozu - das verriet der pfiffige Hans in London Paul Gambaccini.

Dein neues Album JUMPIN‘ JIVE präsentiert eine vollkommen andere Musik als deine ersten drei LPs, Joe – und die erste Frage lautet natürlich …

“ Was in aller Welt hat dich dazu bewegt…“

Genau. Warum hast du so ein Album gemacht?

„Nun, warum sollte ich nicht?“

Die Songs stammen fast ausschließlich aus den vierziger Jahren. Besitzt du eine Sammlung solcher Aufnahmen?

„Ja, ein paar. Ich mußte sie mir allerdings zusammensuchen. „

Was hat dich als erstes auf die Idee gebracht, selbst einen davon einzuspielen?

„Eine Erleuchtung in dem Sinne gab es nicht. Ich habe den live nicht über Nacht entdeckt, sondern hatte mich schon länger für den Jazz der vierziger Jahre interessiert.“

Viele dieser Aufnahmen sind aber doch längst vergriffen und die Künstler vergessen. Hattest du keine Probleme, an das Material heranzukommen?

Sicher, hier und da. Aber die meisten Sachen auf der Platte, mögen sie auch verschollen erscheinen, sind durchaus noch auffindbar, wenn man sich darum bemüht.“

Als einen deiner Haupteinflüsse für JUMPIN‘ JIVE erwähnst du im Covertext Louis Jordan. Kannst du sagen, wieso gerade er dich so beeindruckt hat?

„Nein, eigentlich nicht. Ich wußte zwar seit einiger Zeit von dieser Musik, ein Kenner aber bin ich nicht. Ich habe erst Anfang dieses Jahrs angefangen, mir solche Platten zuzulegen und mich intensiver mit ihnen zu befassen. Dann dachte ich: Warum eigentlich nicht? Und schon ging’s los… Denn die Kids kennen diese Musik ja gar nicht! Mir war besonders daran gelegen, mehr über die Ursprünge des frühen Rock’n’Rolls zu erfahren. Die meisten Leute meinen ja, daß der Rock’n’Roll irgendwann in den Fünfzigern plötzlich vom Himmel fiel. Hört man sich aber den späten Louis Jordan an und vergleicht das mit dem frühen Chuck Berry, Littie Richard oder Bill Haley, so entdeckt man kaum einen Unterschied Der größte Unterschied zwischen Bill Haley und Louis Jordan warder, daß Haley weiß war. Und ihn nennt man König des Rock’n’Roll!“

„Choo Choo Boogie“ ist wohl Jordans bekanntestes Stück, aber auf deiner Platte ist es nicht…

„Wir wollten nicht die Titel aufnehmen, die schon mehrmals gecovert wurden. Uns interessierte mehr das frühe Material, denn seine späteren Sachen waren eher R&B, Boogie und so. Wir wollten lieber etwas machen, was die Swing-Ära nachempfindet …“

Ich frage mich, wie du so schnell die ganzen Musiker zusammengetrommelt hast. Von deiner alten Band ist ja nur noch der Bassist dabei…

„Gary, den Drummer, kannte ich schon länger und wußte auch, daß er ein Faible für den Swing hat. Mit den übrigen war es so etwas wie eine Kettenreaktion. Dave, der Saxophonist, hat für mich die Bläsertruppe zusammengestellt und auch Nick, den Pianisten in die Band gelotst. Er hat eigentlich die gesamte Gruppe aus einem Pool befreundeter Jazz-Musiker formiert und eingewiesen.“

Realistisch gesehen – wobei du sicherlich nicht der Typ bist, der Erfolg um jeden Preis will scheint es mir doch finanziell riskant, mit sieben Musikern auf Tour zu gehen.

„Sicher. Geld wird dabei nicht drinliegen. Nur Verluste.“

Hast du irgendeine Vorstellung davon, welches Publikum überhaupt zu deinen Konzerten kommen wird? In England seid ihr ja schon aufgetreten …

„Naja, zunächst einmal werden das nur Leute sein, die den Namen Joe Jackson kennen und damit irgendetwas Positives verbinden. Es mag vielleicht auch der eine oder andere Neugierige kommen, der von „dem Ding“ zufällig gehört hat. Ein paar Jazzfans vielleicht. Wir hatten auch ein paar Rockabilly-Freaks, die mal die Musik der Vierziger antesten wollten. Eine verrückte Mischung. Vielleicht ist es etwas voreilig, aber ich habe den Eindruck, daß diese Musik ganz verschiedenen Leuten gefallen wird, ja sogar deren Eltern. Jemand sagte mir neulich: ‚Oh ja, selbst mein Vater ist begeistert von der Platte.‘ Ich denke, in den nächsten Monaten Jump“ und Jive“ sind Begriffe aus dem Jazz. Jive“, eigentlich „Geschwätz“, war in den 40er Jahren der Sammelname für Swingmusik. Jump“ ist diejenige Spielart des Swings, bei der durch stark akzentuierte Beats die Melodie zu „springen“ scheint

wird die Unterschiedlichkeit der Hörer noch zunehmen. Ich hätte sogar Lust, mal ein Konzert nur für Leute über Vierzig zu machen, wäre das nicht großartig?‘ Haben die Zuschauer bei den ersten Konzerten denn eigentlich nicht lautstark nach den alten Songs verlangt?

„Nicht so sehr wie ich es erwartet hatte. Ich hatte schon das Schlimmste plastisch vor Augen: Sprechchöre, Flaschenwerfer, aber so etwas kam eigentlich nicht vor, nur vereinzelte Leute waren sehr unzufrieden. Die meisten aber standen ersteinmal einige Minuten sprachlos da, stiegen dann aber erstaunlich schnell auf unsere Musik ein. Und obwohl ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden, waren sie doch offensichtlich beeindruckt.“

Was mich an JUMPIN‘ JIVE am meisten beeindruckt hat, ist deine Gesangstechnik, die den Stil jener Zeit brillant einfängt.

„Wirklich?“

Besonders auf der Bühne kam das sehr gut rüber. „San Francisco-Fan“ z.B. klingt nahezu hundertprozentig nach Cab Calloway. Hast du daran richtig gearbeitet?

„Eigentlich nicht. Ich habe mich nur bemüht, anders als sonst zu singen, eine neue Einstellung zum Singen zu finden. Früher habe ich meist die Worte einfach herausgeschrien, inzwischen ist mein Gesang sehr relaxed geworden. Ich versuche, Charakter in meine Stimme zu bekommen, anstatt unkontrolliert zu schreien. Die Songs h abe ich auch nach dem Gesichtspunkt ausgewählt, ob sie zu meiner Stimme paßten. Es gab einen Berg an Material, von denen ich die Songs rauspickte, die meiner Stimme entgegenkamen.“

Du hast auch „Tuxedo Junction“ mit ins Programm genommen, das einzige Stück weißen Ursprungs, von Glenn Miller nämlich. Wie bist du denn darauf gekommen?

„Ich dachte mir, man könnte ein witziges neues Arrangement dazu machen. Unsere Version ist völlig anders als das Original, wir haben sogar noch ein Trompetensolo dazukomponiert. Obwohl wir es ursprünglich nicht wollten, haben wir also ein Stück ins Repertoire genommen, das den Hörern geläufig ist, haben es allerdings komplett um arrangiert. Ich wollte einerseits dem Original gerecht werden, andererseits aber auch etwas Neues hinzufügen.“

Deine JUMPIN‘-JTVE-Tour durch die USA hast du kürzlich als ‚Eulen nach Athen tragen‘ bezeichnet. Wieso?

„Das gesamte Material kommt schließlich aus den Staaten. Wir reisen jetzt rüber und stellen es ihnen vor. Ist schon eine komische Situation.“

Es gibt keine amerikanische Band der jüngeren Generation, die solche Musik spielt. Meinst du, du könntest damit so etwas wie einen Trend auslösen?

„Möglicherweise, aber nicht beabsichtigt, denn ich sehe mich nicht als Trendsetter. Für mich ist das eine individuelle Sache, von der ich natürlich hoffe, daß die Leute sie auch mögen werden. Ich hatte allerdings die Befürchtung, daß dieser Schritt katastrophale Folgen für mich haben könnte und debattierte deshalb lange mit mir selbst. Gewisse Entwicklungen aber haben mir Mut gemacht, zB. die Offenheit der heutigen englischen Musikszene. Es scheint mir eine Phase zu sein, die musikalisch nicht besonders festgelegt ist. Man kann sich irgendeine Idee vornehmen und hat eine faire Chance, daß die Leute darauf einsteigen. Man muß halt den richtigen Zeitpunkt erwischen. Was nun nicht heißen soll, daß ich mir über den Erfolg völlig sich er bin. A ber vor zwei Jahren hätte ich dieses Projekt nie anpacken können. Ebenfalls Mut gemacht hat mir die Tatsache, daß es noch nie jemand sonst mit dieser Musik versucht hat. Ich dachte mir, es muß doch Leute geben, die solche Musik gerne hören und sich über die Platte freuen. Unsere Single läuft im Moment ja auch sehr gut.“

Hast du mit dem Gedanken gespielt, selber Material in diesem Stil zu schreiben?

„Nein, wie könnte ich. Die ganze Sache dreht sich um den live der Vierziger Jahre – und was weiß ich schon davon. Ich kann mir höchstens die Platten anhören und versuchen, mich da hineinzuversetzen. Nein, selbst könnte ich so etwas nie schreiben.“

Viele der Swing-Hits aus den Vierzigern sind rein instrumental. Was treibst du dann eigentlich die ganze Zeit auf der Bühne?

„Darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen. Ich bin immer noch nicht ganz sicher. Meistenteils gehe ich von der Bühne, trinke ein Bier, tanze herum oder klemme mich hinters Piano. Oder aber ich schaue mich im Publikum um. Was auch immer.“

War die Aufarbeitung dieses Materials für dich eigentlich eine schwierige oder eine willkommene Aufgabe?

„Eine willkommene Aufgabe. Aber auch harte Arbeit. Die Band hat mich dabei hervorragend unterstützt. Die Bläser-Arrangements sind letztlich von der Gruppe selbst. Ich gab ihnen meine Entwürfe, und sie arbeiteten sie dann aus.“

Gibt es für dich noch andere Songs aus dieser Ära, die danach schreien, ans Licht befördert zu werden?

Ja. Hunderte. Man weiß kaum, wo man anfangen soll. Wir sind gerade dabei, ein paar neue Nummern einzustudieren. Alles ging so schnell, daß wir gerade 16 Songs im Repertoire haben. Und das scheint uns doch etwas wenig.“

Freust du dich darauf, noch weiteres Material auszugraben?

“ Weiß nicht. Geplant war es eigentlich nicht. Ich werde diese Musik auch nicht ewig machen. Ich persönlich sehe es als meinen Beitrag zum Sommer ’81, und der ist ja schon fast vorbei.“

Wenn du in diesem Stil fortfährst, dürfte die Rückkehr zu einer anderen Art von Musik aber wohl nicht so leicht fallen …

„Ich habe schon meine Pläne, möchte jetzt aber dazu nicht so viel sagen. Eine Rückkehr wird es sowieso nicht geben. Ich gehe nie zurück, immer nur vorwärts. Sowas wie ‚I’m The Man‘ wird es ohnehin nicht mehr geben, und was tatsächlich passieren wird das werden wir sehen, mich eingeschlossen.“