Hotlist 2023: Die spannendsten Newcomer*innen des Jahres
Von Domiziana und Nina Chuba über Armani White bis Tara Lily: Die folgenden 16 Newcomer*innen werden (oder sollten) das Popjahr 2023 geprägt haben.
Divorce: Mit dem Steakmesser zum Rodeo
Divorce stammen zwar aus dem englischen Nottingham, spielen aber eine amerikanische Indie-Musik zwischen Country-Drama und Grunge-Lärm.
Nottingham ist unter den Städten Englands eine ambivalente Schönheit. Es kommen weniger Touristen, als es die „Perle in Mittelengland“ (aus einem Reiseführer) verdient hätte, es gibt die alte Legende von Robin Hood und den Fußballclub Nottingham
Forest, der vor der aktuellen Saison 22 neue Spieler gekauft hat und dennoch auf einem Abstiegsplatz steht. Zwischen Anspruch
und Wirklichkeit klafft also eine Lücke – gute Bedingungen für eine Popszene, die darauf reagiert, indem sie eine große Klappe
zeigt. Sleaford Mods und die Stereo MCs stammen aus Nottingham, beides Acts, denen man keine Bescheidenheit attestieren würde. Zwar haben Divorce musikalisch mit diesen Bands wenig zu tun, aber die Vehemenz und Dringlichkeit, mit der sie in der Szene ihren Platz suchen, zeugt von ähnlich großem Selbstbewusstsein. So haben die vier kein Problem damit, sich selbst
in eine Schublade zu stecken: Man spiele Alt-Country-Grunge, sagt Sängerin Tiger Cohen-Towell in Interviews. Die zwei Genres werden der Vielfalt der Musik zwar nicht gerecht, führen aber zu Aufmerksamkeit – was auch für die Bandfotos gilt, auf denen Divorce viel dafür tun, sich anders darzustellen, als es Rock-Quartette sonst tun.
Einen Namen machte sich die Band 2022 mit ihren Konzerten, die zwei dort vertriebenen Singles sind nun gekoppelt als „Get Mean“–EP erschienen: Divorce spielen sehnsüchtig-schnoddrige, manchmal auch rachsüchtige Liebeslieder, die an seltsamen Orten wie Rodeos spielen und von unterm Bett deponierten Steakmessern erzählen. Wobei diese Musik bei aller Verzweiflung vor
allem lustig ist, schließlich ist Selbstironie eine weitere Eigenschaft, die Menschen aus Nottingham auszeichnet.
(Andre Boße)
Woher: Nottingham
Klingt wie: Porridge Radio, The Mekons, Big Thief
Anspieltipp: „Checking Out“
Neue Musik: Die Debüt-EP „Get Mean“ ist erschienen, 2023 soll noch mehr kommen
Live: bisher sind nur UK-Festivals bestätigt, u.a. End of the Road