ME-Story

David Bowie hat mich sympathisch gefunden!


Never meet your heroes, heißt es. Josef Winkler hat noch weiter hinten angesetzt und den Mann getroffen, der HEROES gemacht hat – und das war dann eigentlich ganz toll. Aber natürlich wäre er vorher beinahe gestorben.

Ich interviewte David Bowie – Verbrecher kamen mir zur Hilfe!

Dramatischer erster Satz, gell? Aber ich kann auch den sense of drama gar nicht intensiv genug beschreiben, der mich umflorte, seit ich an jenem Vormittag im Frühjahr 2002 in die legendendurchwehten Flure (damals noch München-Giesing) der ME-Redaktion gestapft und mit den News Of The Day konfrontiert worden war. Du kaust noch an der Frühstücksbutterbreze, da heißt es: Leute, es kommt ein neues Bowie-Album, und uns wurden 30 Minuten Interview in New York angeboten, einer von nur zwei „Slots“ für die gesamte deutsche Presse – das könnte doch der Josef machen! Aha. Zuviel der Ehre, liebe Kollegen, und jetzt entschuldigt mich, ich muss aufs Klo, Herzinfarkt kriegen.

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Kurz zur Einordnung: Obwohl er in den 90er Jahren ein paar – Vorsicht, Fachausdruck – nicht so dolle Alben gemacht hatte, war David Bowie an jenem Tag im Frühjahr 2002 wie an so ziemlich allen anderen Tagen davor seit ca. Juni 1972 der gleißendste Stern am weiten Firmament des Pop, eine außerweltliche Präsenz, unberührbar über allen Niederungen, forever eigene Liga, der flamboyanteste Feger, der tollste Typ, The Main Man. Und für mich persönlich neben den Beatles und Pink Floyd einer der Schutzpatrone meiner popmusikalischen und -stilistischen Sozialisation; sein Poster hing in meinem Jugendzimmer, als ich noch ein heugabelnder Bauernbub im Chiemgau war.

Never meet your heroes?

Es fiel mir also überhaupt nicht schwer, den Bammel, der mich routinemäßig mal mehr, mal weniger quälend im Vorfeld von Interviews heimsuchte, in diesem so höchst speziellen Fall zu einem lodernden Höllenfeuer der Nervosität anzublasen. Oh Himmel – David Bowie! Alles, was einem im Vorfeld eines solchen high-profile Termins (kreisch!) nervlich zusetzen konnte, fiel hier doppelt und dreihundertfach ins Gewicht. David Bowie! Wow, jetzt kannst du den endlich alles fragen, was du ihn schon immer fragen wolltest! Ja – und was war das gleich noch? Was wollte ich eigentlich immer schon von David Bowie wissen, was man nicht in einem der ca. 30.000 Interviews hätte nachlesen können, die der Gute resp. Arme in den letzten 30 Jahren gegeben hatte? Womit kommt man so einem, der schon alles gehört und gesehen hat? Mein Hirn war blank! Kreisch. Na, na, ganz ruhig, Junge. Das wird schon. Aber denk dran: Failure is not an option. Schätzungsweise die gesamte deutsche Presse sowie 50.000.000 Bowie-Fans hätten diesen Termin auch gern. Wenn du den versemmelst, kannst du dich einbalsamieren lassen in ewiger Scham vor dir selbst, vor den Lesern, vor den Kolleginnen, vor dem Universum, das dir Wurst diese lifetime chance eingefädelt hat, und, tja: vor David Bowie … Oh Himmel. David Bowie! Wie hoch war eigentlich das Risiko, hier gemäß der alten Angsthasen-Weisheit „Never meet your heroes“ traumatisiert zu werden und nie wieder eine Bowieplatte auflegen zu können? Komm mal runter.

Was mich in den folgenden zwei Wochen, in denen ich mehr über Bowie las und lernte als die 15 Jahre zuvor und die ramponierten Second-Hand-LPs wieder hörte, die ich 1990 auf Interrail in London aus einem Bargain-Keller (oben war’s zu teuer) in der Portobello Road geborgen hatte, nervlich über Wasser hielt, war das Wissen darum, dass Bowie kein Journalistenfresser war wie etwa sein alter Spezi, der notorisch garstige Lou Reed, sondern – wieder Fachausdruck – ein Netter. Hieß aber auch: Wenn du’s mit dem verbockst, bist du selber schuld. Ich fühl mich schon viel besser.

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Aber was heißt das eigentlich? Definiere „verbockt“. Sagen wir: Nicht das maximal Tolle aus so einer einmaligen Begegnung herauzuholen. Es geht ja bei solchen „People-Interviews“ im Enterntainment- und Pop-“Journalismus“ in den wenigsten Fällen darum, das Gegenüber hart zu grillen und ihm/ihr mal so richtig auf den Zahn zu fühlen („Raus mit der Sprache: Warum habt ihr auf dem neuen Album die subtilen Folk-Einflüsse zurückgefahren?!“). Sondern eine möglichst angeregte und gehaltvolle Unterhaltung in Gang zu bringen, mit dem Ziel eines letztlich facettenreichen und lesenswerten Textes. Das Ganze meist auf engstem zeitlichem Raum, in den so ein Gesprächsbogen mit möglichst vielen der notierten Themen und Fragen hineingezwängt werden muss, weswegen man als Interviewer – während man gleichzeitig aufmerksam zuhört, um keinen nachhakenswerten „hint“ zu versäumen, im Kopf die nächsten Fragen zurechtlegt und die Uhr im Blick hat – aufzupassen hat wie ein Schießhund, dass die Chose nicht über wertvolle Minuten hinweg in Bla Bla abdriftet und sich ggf. das Herz fassen muss, so einem sich verquasselnden Star auch mal ins Wort zu fallen.

Hier war hellwache, reaktionsschnelle und schlagfertige Performance gefragt – starstruck mit Blackout vom Stuhl kippen: eher schlecht. Enorm hilfreich – Stichwort „halbe Miete“ – für die Anbahnung eines gelungenen Gesprächs ist es da, einen irgendwie originellen Einstieg zu haben, mit dem es gelingt, den Interviewpartner zu „kriegen“, ohne staksige Einstiegsfloskeln bemühen zu müssen. Aber während meine Notizdatei mit möglichen Fragen wuchs und wuchs, fehlte mir ein solcher Türöffner noch schmerzlich. Und da kam mir nun das Verbrechen zur Hilfe.

Was David Bowie mit einem Kunstraub gemeinsam hat

Am 20. April 2002, nur Tage vor meinem Abflug nach New York, kam es in Berlin zu einem spektakulären Kunstraub: Unbekannte brachen in das Brücke-Museum in Dahlem ein und entwendeten neun stilprägende Werke des deutschen Expressionismus, darunter das 1917 entstandene Bild „Roquairol“ des Malers Erich Heckel. Fascinating fact: Das Brücke-Museum war zu dessen „Berliner Zeit“ in den späten 70er-Jahren ein gern besuchter Lieblingsort des Kunstfans David Bowie gewesen, und von „Roquairol“ waren die Coverfotos sowohl seines eigenen in Berlin entstandenen Albums HEROES als auch das von THE IDIOT seines zeitweiligen Mitbewohners Iggy Pop inspiriert, mit ihren eigentümlichen Handgesten resp. Körperhaltungen. Und nun war dieses Gemälde gestohlen? Wenn das nichts war, worauf man jetzt gern David Bowie angesprochen hätte. Na, so ein Zufall, mit dem hatte ich ja übermorgen einen Interviewtermin! Also nix wie los.

72 Stunden später stehe ich im Foyer eines Sternehotels in Tribeca, Manhattan, diskreter Luxus. Classy. Freundliche Menschen an der Rezeption schicken mich in ein Zimmer im 7. Stock. Dort warten freundliche Menschen und bitten mich – ah, Joseph from Munich! –, noch ein bisschen Platz zu nehmen. Das Interview vorher läuft gerade noch, magst Du einen Kaffee? Ja gern, vielleicht werde ich aber auch gleich ohnmächtig, lustig, gell? Die letzten Minuten vergehen in seltsam gedehnter Zeit, das Adrenalin und was der Organismus sonst noch so in petto hat aus Zeiten, in denen es Säbelzahntigern zu entkommen galt, durchwirkt dich vom kribbelnden Zeh bis zum schwindligen Scheitel.

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„Hi, I’m David!“

Und dann wirst du in dieses Zimmer geführt, und dann sitzt der da. David Bowie. Ziggy Stardust. Der vom HEROES-Cover. Der aus „The Man Who Fell To Earth“. Der Thin White Duke. Der aus dem „Ashes To Ashes“-Video. Der mit „Let’s Dance“. Herrgott: Der von deinem Poster im Keller! In echt. Steht auf, lächelt, streckt dir die Hand hin, sagt „Hi, I’m David“, du sagst nicht „I know“ – oder doch? Ich weiß es nicht mehr. Ein kurzer Moment, in dem der surreale Erkenntnisschock mit der Wirklichkeit „klick“ macht: Es beginnen jetzt die 30 Minuten, in denen der hochspektakuläre Realitätshandlungsstrang „Das Leben von David Bowie“ und der noch ziemlich ausbaufähige namens „Das Leben von Josef Winkler“ aufeinandertreffen und vereint laufen. Kurz ruckelt das Bild – oder bist das nur du beim Herumnesteln an deiner Tasche? – während sich die beiden synchronisieren. Und dann sitzt du da mit David Bowie an einem Glastisch mit einem Keksschälchen drauf. Das Keksschälchen ist oval, und falls du’s immer noch nicht kapiert hast: Der Typ da ist David Bowie. Das berühmte Auge: check. Das markante Lachen: check. Die schiefen Zähne: leider vor einigen Jahren „gemacht“ und jetzt schön ebenmäßig. Der Strickpullover: what? Egal. Ich stelle mein metallicblaues Minidisc-Aufnahmegerät auf den Tisch. Bowie beugt sich darüber und sagt bewundernd: „Gurrreat colour!“ – „It’s blue, blue, electric blue“, antworte ich, bin aber heute nicht mehr sicher, ob in echt oder nur in meiner Erinnerung. David Bowie hat gerade regelrecht euphorisch mein Aufnahmegerät gelobt – hatte ich irgendwann mal Bedenken, dieser Termin könnte schwierig werden? Thanks for breaking the ice, und jetzt warte mal, bis Du meine erste Frage hörst wegen dem Brücke-Museum – you will love it.

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Und so ist es. Bowie hat schon von dem Diebstahl gehört und erzählt, wie die Sicherheitsvorkehrungen in dem Museum jedenfalls damals unter aller Sau waren, and we take it from there. Wir gleiten durch meinen Fragenkatalog, Bowie ist charmant und zugewandt, macht Gags und Gesichter und hat es offensichtlich in keinster Weise nötig, einem redlich sich mühenden Typen wie mir in irgendeiner Weise eine hard time zu geben. Ist das das verbindliche Gebaren eines Medienprofis, der schon lange in den USA lebt? Mir soll’s recht sein. Wir hangeln uns vom Früher ins Heute, kreisen um das neue Album HEATHEN. Einmal kommt es zu einem krisenhaften Moment, als ich mich bei der Formulierung einer nicht durchdachten Quatschfrage verzettle und totaler Käse herauskommt; Bowie könnte jetzt verständnislos schauen und/oder – horribile dictu! – mit den Augen rollen, aber er sagt „Hm, so hab ich das noch nicht betrachtet, aber …“ und beantwortet dann recht interessant eine Frage, die ich vielleicht so in der Art hatte stellen wollen, wer weiß. Am Ende schenkt er mir zum launigen Einkehrschwung noch eine schräge Drogenanekdote aus seiner kokainbetäubten Zeit in Los Angeles, bald lugt der junge Presseadjutant zur Tür herein – wir müssten dann zum Schluss kommen.

War das jetzt das maximal Tolle?

Es fühlt sich jedenfalls in diesem Moment so an, und ich gehe jetzt aufs Ganze. So jung kommen wir nicht mehr zusammen, dürfte ich vielleicht noch um ein Autogramm bitten? Ich ziehe das Cover meiner LOW-LP aus einer Papphülle, Bowie grinst und signiert es aufwändig. Und dann tue ich etwas, was ich noch nie nach einem Interview getan habe, aus Peinlichkeitsgründen, aus Anstand, aus Hektik, aus Gedankenlosigkeit – aber hier und heute muss es sein: Ich zücke meine Knipse und frage, ob’s okay wäre, wenn der Pressemann ein Foto von uns beiden macht. „Sure“, sagt Bowie, und dann stehen wir da, und es macht noch einmal „klick“, und wir verabschieden uns. Oh Himmel! David Bowie! Und kurz ruckelt das Bild.

David Bowie hat mich sympathisch gefunden

Zwei Tage später läutet in der ME-Redaktion das Telefon, Karin von Sony ist dran. Das sei ja ganz gut gelaufen, habe sie gehört, nur sei der Kollege in New York dann kurz nervös geworden, als ich wegen des Fotos mit Bowie ankam. Das sei so ja nicht vorgesehen gewesen, offenbar gab’s da sogar ein „Briefing“, no pictures please oder so. Das sei ja ganz schön frech von mir gewesen, aber schon okay – Bowie habe mich ja wohl ziemlich sympathisch gefunden. Aha, soso, alles klar, haha, na so was, ich ihn auch!

David Bowie hat mich sympathisch gefunden. Diesen Satz kann man nirgendwo hinschreiben, weil er so vermessen klingt, so ausgedacht, nach Fan Fiction und natürlich völlig unjournalistisch. David Bowie hat mich sympathisch gefunden. You read it here first, 21 Jahre danach, und ich verspreche, Sie werden es nie wieder lesen müssen. Aber tief drin im Jugendzimmer meines Herzens ist dieser Satz ein Schatz, den ich bewahre und der sich, wenn ich ab und zu, ganz selten, hineinblicke, anfühlt wie eine Segnung, gespendet von einem meiner Schutzpatrone. In Ewigkeit, amen.

P.S.: „Roquairol“ und die acht anderen gestohlenen Gemälde aus dem Brücke-Museum wurden übrigens bereits Anfang Juni 2002 in Berlin-Tempelhof wieder sichergestellt, die drei Diebe festgenommen. Ob sie Auftraggeber aus der Popjournaille hatten, ist nicht bekannt.