„Hamilton“ – und 10 weitere Musicals, die nicht scheiße sind
Den ersten Song seines Musicals „Hamilton“ sang Komponist und Texter Lin-Manuel Miranda Obama vor.

Den ersten Song seines Musicals „Hamilton“ sang Komponist und Texter Lin-Manuel Miranda US-Präsident Obama vor. Die historische Rap- und R’n’B-Revue feierte eine Off-Broadway-Premiere und entwickelte sich zu einem gigantischen Erfolg. Sogar in Hamburg lief das Musical in übersetzter Sprache.
Lin-Manuel Miranda – ein kreatives Multitalent
Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag des 42-jährigen New Yorkers mit puertoricanischen Wurzeln vermittelt den Eindruck, das Portfolio eines halben Dutzends hyperaktiver Kreativer zu lesen. Der Mann spielte in „Die Sopranos“, „Dr. House“ und der „Sesamstraße“ mit, strich für sein Musical „In The Heights“ vier Tony Awards ein, schrieb Songs für „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ und machte aus Animationsfilmen wie „Vaiana“ und „Encanto“ mitsingintensive Blockbuster.
Fast nebenbei arbeitete der zweifache Vater, der mit einer Österreicherin verheiratet ist und sich sozial engagiert, an einem Stück über einen der Gründerväter der USA: Alexander Hamilton. „Ich verliebte mich in den Stoff, als ich Ron Chernows Biografie las. Ich saugte das auf wie ein Moskito an der Hauptschlagader,“ erzählt Miranda, der zur Hamburg-Premiere in der Stadt war.
Doch wie macht man daraus ein Musical? Miranda fühlte sich anfangs überfordert: „Ich fühlte mich wie eine Schlange vor einem Elefanten: Wie verdaue ich das alles, wie mache ich diesen Riesenbrocken genießbar?“ Den entscheidenden Tipp bekam er von seinem Schreiberkollegen John Whitman („Star Wars“) : „Er meinte, ich könne eh nicht alles unterbringen. Schreib die Songs, die dir wichtig sind, die das erzählen, was dich interessiert.“
Miranda hörte auf den Rat. Hamiltons Aufstieg vom Waisenkind, geboren 1755 auf den Westindischen Inseln, zum Staatstheoretiker und ersten Finanzminister der USA musste tanzbar umgesetzt werden. Neben klassischen Broadway-Sounds sollten Hip-Hop, R’n’B und Soul das musikalische Fundament bilden.
Der Rest ist „Hamilton“-Geschichte
Bei einem Abend für „Poetry, Music And The Spoken Word“ sang Miranda US-Präsident Barack Obama 2009 im Weißen Haus einen ersten Song aus dem Musical vor. Die Obamas wurden schnell Fans. Die Zeile „Immigrants get the job done“ aus dem Song „Yorktown (The World Turned Upside Down)“ entwickelte sich später zur Catchphrase zwischen Pop und Politik.
Am 20. Januar 2015 feierte das Musical im New Yorker Public Theater Premiere – mit Lin-Manuel Miranda in der Hauptrolle und einem diversen Ensemble, darunter Leslie Odom Jr., Daveed Diggs und Renée Elise Goldberry.
War das Cultural Appropriation in reverse? Miranda antwortet: „Für mich war der Erzähler der Geschichte von vornherein ein MC. Die Art und Weise, wie er von seinen Problemen erzählt, erinnerte mich an Rap. Ich stellte mir vor, wer für die Rollen der beste R’n’B-Typ ist, wer der beste Rapper, und so weiter. Im Kopf hatte ich das alles bereits gecastet. Das war der einzige Weg für mich, die Geschichte zu erzählen. Wenn wir ein R’n’B-Musical nur mit Weißen besetzt hätten, würden die Leute dann nicht erst recht fragen, was das soll?“
10 weitere Musicals, die nicht scheiße sind
1. Coolhaze
Studio Braun gibt Michael Kohlhaas die Sporen – wie Pulp Fiction auf dem Hamburger Berg.
2. Die Bettwurst
„Luzi, ich liebe Dich!“ – „Dietmar!“ – „Ich liebe Dich!“ – „Dietmar!“ – „Luzi, ich liebe Dich unwahrscheinlich!“
3. Annette
Leos Carax verfilmt eine Vorlage des legendären Pop-Duos Sparks.
4. Stadt unter Einfluss
Christiane Rösinger bringt Wohnungsfragen auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Es singen Kreuzberger und Neuköllner Mietaktivist*innen.
5. A Gentleman’s Guide To Love And Murder
Roy Hornimans Räuberleben aus dem vorletzten Jahrhundert als Comedy-Revue – mit einem Hauptdarsteller in acht Rollen.
6. The Osmonds
Mormonen-Pop, Glitzeranzüge, Crazy Horses – Kelly Family meets Elvis, so hip it hurts.
7. Der goldene Handschuh
Die Honka Horror Picture Show als monströser Mix aus Praline-Heften, Wurst-Fantasien und Totschlag.
8. Das fliegende Klassenzimmer
Das Musical im Musical im Musical – zeitlos wie Raucherecke, Regenpause und Nachsitzen.
9. Evil Dead: The Musical
Das geht so richtig ins Blut: Tanz der Teufel als Kettensägenmassaker mit Musik.
10. Hair
„Let the Sunshine in!“ – und das Haar herunter! Wie Woodstock, Peace-Zeichen und Timotei-Shampoo in einem.
Diese Liste ist im Musikexpress 12/2022 erschienen.