Welches Bowie-Album ist stärker: „Aladdin Sane“ oder „Let’s Dance“?
Zwei der wichtigsten Pop-Alben feiern in diesem Jahr ihr Jubiläum: 50 Jahre ALADDIN SANE und 40 Jahre LET’S DANCE. Zwei zentrale Werke von David Bowie. Wie gut haben sie sich gehalten?
Am Freitag, den 20. April 1973, wacht David Bowie in einem Hotel in Tokio auf. Der Musiker ist 26 Jahre alt und befindet sich auf seiner ersten Japan-Tour. Er hat ein bisschen gefeiert: Am Vortag, den 19. April, ist sein bislang sechstes Studioalbum ALADDIN SANE in Großbritannien erschienen. Nun informiert ihn sein Manager Tony Defries, dass für kein britisches Album seit ABBEY ROAD von den Beatles so viele Vorbestellungen eingegangen waren.
Mit der Veröffentlichung des auf Anhieb Einhunderttauendmal verkauften ALADDIN SANE blickt Bowie auf das aberwitzigste Jahr seines bisherigen Lebens zurück: Als Kunstfigur Ziggy Stardust war ihm 1972 nach zähem Karriereauftakt der große Durchbruch gelungen. Die Konzerte der Band waren ein Jahr lang von einer regelrechten Ziggy-Mania begleitet worden, die in Japan einen unerwarteten Höhepunkt findet.
So auch in Tokio: Am Abend spielt Bowie mit den Spiders From Mars ein Konzert, bei dem die Statik des Auftrittsorts Shibuya Kōkaidō durch hüpfende Fans nachhaltigen Schaden nehmen wird. Den darauffolgenden polizeilichen Ermittlungen entzieht sich der Musiker, indem er am Morgen nach dem Auftritt mit dem Schiff über Yokohama nach Wladiwostok reist. Seine bekannte Flugangst kommt Bowie entgegen, die Beamten hatten am Flughafen nach ihm gesucht.
ALADDIN SANE erscheint beinahe auf den Tag genau vor vierzig Jahren mitten in diesen Wahnsinn hinein, der Bowie offenbar schon damals über den Kopf zu wachsen begann. Das Album trägt seinen Titel nicht umsonst, A Lad Insane, ein verrückter Junge, das war natürlich der Künstler selbst. Der Spiders-Gitarrist Mick Ronson hat sich einmal erinnert, dass Bowie ihn und Manager Defries bereits in Tokio darüber unterrichtet hat, die übermächtig gewordene Kunstfigur Ziggy mit Abschluss der laufenden Tour beerdigen zu wollen.
Auf dem von Brian Duffy fotografierten Cover von ALADDIN SANE ist der außerirdische Popstar noch einmal in all seiner schillernden Extravaganz und zum übrigens einzigen Mal mit dem berühmten Flash-Design im Gesicht zu sehen – das ikonischste Ziggy-Bild. Es ist das erste Album, dass Bowie als erfolgreicher Popstar geschrieben hat. Die meisten Songs sind auf der endlosen Tour zu dem Vorgänger ZIGGY STARDUST entstanden, aufgenommen wurde ALADDIN SANE während kurzer Tourpausen in London und New York.
Insbesondere seine erste große USA-Tour beschrieb Bowie als prägende Inspiration – die rauschhaften Auftritte am Abend fanden in Songs wie „Watch That Man“, „Cracked Actor“ oder „The Jean Genie“ ihren Niederschlag, die endlos zerdehnten Busreisen zum jeweils nächsten Auftrittsort durch das riesige Land in den elegischen „Drive-In Saturday“, „The Prettiest Star“ oder „Time“. Der amerikanische Einfluss macht sich aber auch musikalisch bemerkbar: Auch vierzig Jahre später noch kann man ALADDIN SANE mit seinen Bläsern und Chorgesängen als ein fantastisches Scharnieralbum zwischen Bowies Glamrock-Phase und den von Soul und Funk beeinflussten Jahren danach hören. ALADDIN SANE ist zudem in besonderer Weise geprägt von dem amerikanischen Jazzpianisten Mike Garson, der in den kommenden Jahrzehnten immer wieder mit Bowie gearbeitet hat, sich aber nie wieder so austoben durfte wie hier: die dramatischen Akkorde im Titelsong, die frei oszillierenden Jazzläufe in „Lady Grinning Soul“, das Vaudeville-hafte Spiel in „Time“ – Mike Garson dominiert dieses Album auf sanfte Weise.
Nach ALADDIN SANE dann LET’S DANCE
Gänzlich anders standen die Vorzeichen zehn Jahre später: David Bowie hatte die Siebzigerjahre künstlerisch geprägt wie kein anderer britischer Popstar, mit jedem Album seine stilistischen Möglichkeiten erweitert und mit jeder Werkphase unzählige Nachahmer inspiriert. Er genoss künstlerische Anerkennung und vor allem Freiheit, hatte mit unzähligen fantastischen Musikern gespielt und durchaus eine Reihe von Hits gehabt. Aber ein globaler Megastar, wie sie für die Achtzigerjahre typisch wurden, war aus David Bowie bislang nicht geworden.
Das gedachte er nun zu ändern: Am 14. April 1983, also beinahe auf den Tag genau zehn Jahre nach ALADDIN SANE, erschien LET’S DANCE, Bowies mit Abstand kommerziell erfolgreichstes, allerdings auch umstrittenstes Album. LET’S DANCE galt jahrzehntelang als Mainstream-Anbiederung und Kommerzschrott, aber auch wenn er eigene Songs wie das mit Iggy Pop bereits 1976 geschriebene „China Girl“ oder „Cat People (Putting Out Fire)“ recycelte und „Criminal World“ coverte, ist LET’S DANCE viel besser als sein Ruf. Was Bowie auf diesem Album gemacht hat, war konzeptuell durchaus typisch für ihn: Er hat sich mit Disco eine musikalische Szene angeguckt, die er liebte, sich mit einem prägenden Protagonisten dieser Szene zusammengetan – dem genialen Nile Rodgers von Chic –, durch die Hinzunahme des zunächst völlig unbekannten, bald allseits verehrten Gitarren-Wunderkinds Stevie Ray Vaughn einen Link auf Blues und Rhythm and Blues gesetzt und all das unter seiner goldenen Hand in strahlenden Pop verwandelt – Ray Vaughn hat dieses Album somit auf ähnliche Weise geprägt wie zehn Jahre vorher Mike Garson ALADDIN SANE. Und „Let’s Dance“, der Welthit selbst, überragt als einer der großen Songs der 80er-Jahre.
Beide Geburtstagkinder, ALADDIN SANE und LET’S DANCE, zählen aus heutiger Sicht auf unterschiedliche Weise zu David Bowies stärksten Arbeiten.
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