Kritik

„Der schwarze Diamant“ auf Netflix: Wie im Fiebertraum


Ein Mann sieht schwarz: In „Der schwarze Diamant“ verzockt sich Adam Sandler gewaltig. Das Resultat ist ein rasanter, ja geradezu nervöser Thriller, der einen nicht so schnell loslässt.

Es ist nichts für schwache Nerven: „Der schwarze Diamant“, der seit diesem Freitag auf Netflix zu sehen ist, ist ein wilder Ritt, ein Fiebertraum, ein packender Trip. Der neue Film der Safdie-Brüder ist – im besten Sinn des Wortes – anstrengend. Das war deren vorheriger Streifen „Good Time“ auch schon. Doch „Der schwarze Diamant“ ist noch besser geworden.

Die Haupthandlung spielt im Jahr 2012: Im Zentrum des Films steht Howard Ratner (Adam Sandler), ein jüdischer Juwelenhändler, der ein Geschäft im „Diamond District“ von New York City unterhält. Howard ist ein Gewohnheits-Zocker, was ihn in ziemliche finanzielle Schwierigkeiten gebracht hat. Er leiht sich auch mal Geld, nur um es dann direkt auf Wetten zu platzieren. Die Schulden hat er bei den falschen Leuten, so auch bei Arno (Eric Bogosian), der nach ausbleibenden Zahlungen prompt zwei Geldeintreiber in Howards Laden schickt.

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Auch privat ist Howards Leben ziemlich ungeordnet: Das Eheleben mit seiner Frau Dinah (Idina Menzel) verläuft völlig abgekühlt und routiniert; der dreifache Vater vergnügt sich indes mit der jüngeren Julia (Julia Fox), die in Howards Juweliergeschäft arbeitet und nebenbei versucht, sich ein Standbein als Fotografin aufzubauen.

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Doch Howard lässt sich von dem Drumherum nur wenig irritieren, hat er doch das vermeintlich große Ding an der Angel: Nach monatelangem Rumtun ist nämlich der langersehnte schwarze Opal in sein Geschäft geliefert worden, ein wertvoller Stein aus einer Mine in Äthiopien. Howard geht davon aus, dass der hochkarätige Stein die Lösung aller Probleme sein wird, glaubt er doch, bei einer Auktion locker eine Million Dollar dafür bekommen zu können.

Als Howards Geschäftsfreund Demany (LaKeith Stanfield) den Basketballstar Kevin Garnett (er spielt sich selbst) in den Laden mitbringt, zeigt Howard, der ein glühender Basketballfan ist, Garnett stolz seinen Neuankauf aus Äthiopien. Dieser ist fasziniert vom Stein, möchte ihn kaufen, was Howard aber nicht zulässt, ist der Stein doch schon für eine Auktion reserviert, wo er das Vielfache einbringen soll. Howard lässt sich jedoch für einen Deal gewinnen: Er leiht Garnett den Stein als Glücksbringer für eine NBA-Partie am Abend, wenn der Basketballstar ihm im Gegenzug seinen NBA-Championship-Ring leiht. Der Tausch findet statt und Howard verpfändet prompt den Ring; mit dem Geld schließt er eine riskante Wette auf das Spiel ab. Es ist der Beginn einer Handlungsspirale voller unvorhersehbarer Ereignisse, die Howard in einige Probleme verwickeln werden.

Es ist ein dauerhaftes „All-In“

Die Brüder Josh und Benny Safdie haben mit „Der schwarze Diamant“ einen Film über einen konstanten Ausnahmezustand gedreht: Der Protagonist Howard befindet sich ständig in einer Schieflage, versucht sich mit hanebüchenen Vorhaben heraus zu manövrieren, nur um dann wieder in der Patsche zu stecken. Er geht Risiken ein, er setzt alles auf eine Karte oder in seiner Sprache: auf die Celtics, auf die meisten Rebounds, auf Kevin Garnett.

Ihm dabei zuzuschauen ist irrsinnig spannend: Die Bilder sind rasant und schonungslos, nicht selten löst diese Ausweglosigkeit, in der der Protagonist sich befindet, enormes Unbehagen im Zuschauer aus.

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Das war schon im 2017er-Film „Good Time“ so, in dem wir Robert Pattinson als Bankräuber bei seiner irren Flucht durch das nächtliche New York City zuschauen durften. In „Der schwarze Diamant“ wird deutlich weniger gerannt, dafür flucht Adam Sandler ständig, führt oft mehrere Telefonate hintereinander und ist im Dauerstress gefangen. Er muss es vielen Leuten rechtmachen. Obwohl Sandlers Charakter sympathische Seiten hat: Mitleid hat man mit ihm nicht unbedingt, hat der Gewohnheitsspieler sich doch größtenteils selbst in diese Lage verfrachtet.

Eine subtile Kapitalismuskritik kann man darin aber trotzdem lesen: Howard leiht sich Geld von zwielichtigen Gestalten, welches er dann im Rahmen seiner Wetten versucht zu vermehren. Er scheitert, geht trotzdem (oder gerade deswegen?) volles Risiko, um endlich finanziellen Erfolg zu haben.

Sandlers beste Leistung seit „Punch-Drunk Love“

Der Film der Safdie-Brüder ist rasant: Wenn man dabei zusieht, wie sich Howard immer weiter verstrickt, sich neue Feinde macht oder die Solidarität seiner Mitmenschen auf die Probe stellt, bemerkt man gar nicht, dass dieser Film mehr als zwei Stunden Laufzeit hat. Adam Sandlers Darstellung dieses getriebenen Juwelenhändlers ist brillant und er schafft es, diesem authentischen Zocker eine menschliche Note, gleichsam auch eine gewaltige Chuzpe mitzugeben. Es dürfte seine beste Schauspielleistung seit seiner Hauptrolle in Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“ aus dem Jahr 2002 sein.

Sandler erweist sich als Idealbesetzung für den berüchtigten, wettsüchtigen und sich gewissermaßen der Realität verschließenden Juwelenhändler: In dieser Rolle, die gar nichts bis wenig mit seinen vielen Blödelkomödien gemein hat, schafft der gebürtige New Yorker einen beeindruckenden Wandel zum Charakterdarsteller. Er flucht wie verrückt und redet derart schnell, dass man, angesichts der Häufigkeit von Schimpfwörtern, glauben könnte, sich in einem Scorsese-Film wiederzufinden. Fun fact: Martin Scorsese war als Executive Producer an „Der schwarze Diamant“ beteiligt.

Doch auch im Film selbst tauchen große Namen auf: So spielt etwa neben Basketballstar Kevin Garnett auch der Sänger Abel Tesfaye, besser bekannt als The Weeknd, sich selbst und performt im Film, in dem er noch nicht der Megastar von heute ist (Handlung im Jahr 2012!), den Song „The Morning“ von seinem „House of Balloons“-Mixtape.

Die Musik kommt von The Weeknd und Oneothrix Point Never aka Daniel Lopatin

Der bis in die Nebenrollen toll besetzte Film lebt insbesondere von den einprägsamen Aufnahmen, die teilweise traumähnlich daherkommen: Eingefangen durch den ausgezeichneten Kameramann Darius Khondji führen uns die Safdie-Brüder durch ein lebhaftes New York City, in dem hinter jeder Ecke eine harte Faust oder eben ein Geldeintreiber warten kann.

Das Duo hält auch bei der fünften gemeinsamen Regiearbeit am harten, kompromisslosen Erzählstil fest und fordert so die Sehgewohnheiten der Zuschauer heraus. Das funktioniert hier besser denn je zuvor: Die Bildsprache schmiegt sich perfekt an den Soundtrack von Oneothrix Point Never (der hier unter seinem bürgerlichen Namen Daniel Lopatin arbeitete) an. Dieser lieferte atemberaubend-eindrückliche Soundscapes, die diesem auf Dauerbeschleunigung eingestellten Thriller seine ungemein dichte Atmosphäre geben und ihn zu einem audiovisuellen Meisterwerk machen. Mit „Der schwarze Diamant“, der international unter dem Titel „Uncut Gems“ bekannt ist, ist den Safdie-Brüdern ein großer Wurf gelungen, der leider bei den Oscars nicht berücksichtigt wurde. Das ist besonders für Adam Sandler schade. Verdient wäre es allemal gewesen.

„Der schwarze Diamant“ ist seit dem 31. Januar 2020 auf Netflix verfügbar.

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