Der ernsteste Spaß der Welt
Videos mit Michael Moore, esoterischer Goth-Kitsch auf der Homepage und gleich zwei neue Platten mit Frank-Zappa-beeinflußtem Heavy Metal: Die armenisch-amerikanische Band System Of A Down ist ein komplexes Gebilde, das viele Mißverständnisse provoziert.
Wer oder was sind System Of A Down? Und was bedeuten sie wem? Auf der Suche nach Antworten durchqueren wir die Kölner Live Music Hall während ihres Clubkonzertes am 9. April: Direkt vor der Bühne drängeln sich in mindestens drei Reihen 16- bis 35jährige Musiker: links die Gitarristen, die gebannt Daron Malakians unfaßbare Fingerakrobatik auf dem Griffbrett beobachten; in der Mitte die Schlagzeuger, die sich bei jeder listig platzierten Synkope von John Dolmayan ehrfürchtige Blicke zuwerfen. Der demonstriert ohne übermäßigen Exhibitionismus Break für Break, weshalb er seit Jahren in den Bestenlisten seiner Zunft ganz weit oben rangiert.
Bahnt man sich – geduckt, um keinen Fuß eines Crowdsurfers ins Gesicht zu bekommen – seinen Weg durch die Skater und Punks, die in Kapuzenpullis und Vans im Moshpit um sich schlagen, schubsen, Becher werfen und die wenig eingängigen Riffs mit ausgelassenem Gehüpfe feiern, erreicht man eine überraschend starke Fraktion von Metalheads. Die Headbanger warten in T-Shirts mit satanischen Aufdrucken aufschnelle Passagen, um ihr langes Haar schütteln zu können, bis das Genick steif wird. Das hintere Hallendrittel schließlich bevölkern lächelnde Menschen in unauffälliger Kleidung, die eifrig applaudieren, wenn Daron zwischen Songs von politischen Mißständen in Armenien erzählt, die sich an der bisweilen atemberaubenden Komplexität der Musik erfreuen und sich bei den zahlreichen überdrehten Breaks, theatralischen Ausbrüchen, polyrhythmischen Mittelteilen und komödiantischen Gesangseskapaden angenehm an Frank Zappa erinnert fühlen.
System Of A Down haben viele Gesichter. „Wir sind durchaus von Zappa beeinflußt“, sagt Serj Tankian auf einer gemütlichen Couch backstage und nickt nachdenklich. „Von Zappa und tausend anderen Sachen: Goth, Punk, Black-Metal, Rock, Country, New Wave, Electronica, Folk undWeltmusik.“ Er ist der vielleicht freundlichste Mann, der je vom Cover des Metal Hammer heruntergelächelt hat und Sänger und Songschreiber der härtesten Band, die in den letzten Jahren Titelthema im Musikexpress war. Vor allem ist er ein erstklassiger Musiker und ein politischer Aktivist. Als armenisch-stämmiger Amerikaner, der die Massenvernichtung großer Teile seines Volkes durch die Türken 1915 aus den Erzählungen seiner eigenen Familie kennt, ist er ein unermüdlicher Kämpfer für die Rechte der M inderheiten. Auf der Bandwebsite – deren Aufmacherseite mit esoterisch-kitschiger Metal-Ähstetik verstört – verlinkt er beständig zu Nachrichten von politischen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten, die den Medien-Mainstream meist nicht erreichen. Eines aber ist er nicht: eine Projektionsfläche für die Wünsche parteiischer Journalisten, die sich ein Bild davon zurechtgelegt haben, was System Of A Down in ihren Augen sein sollten. „Wir hatten vorein paar Tagen ein Fernseh-Interview vorunserem Konzert in Paris“, erzählt Tankian lächelnd. „Wir setzen uns also hin und diese Frau legt los:,Okay! Bush ist euer Feind! Laßt uns darüber reden!‘ Und ich nur so: ,Ich muß weg..!'“
Nachdem sich Serj Tankian einen Joint angezündet hat, erläutert er in aller Ruhe seine Weltanschauung: „Niemand ist mein Feind. Mit einer solchen Schwarz-Weiß-Malerei wird man der Komplexität von Politik nicht gerecht. Schließlich ist es unsere eigene Ignoranz als Weltbürger, die uns genau die dummen Führer beschert, diewirverdienen.Ich muß mir und meinen Mitbürgern die Schuld an der Situation geben, in der wir uns befinden. Erst wenn das klar ist, kann ich mein Mißfallen über den Krieg ausdrücken. Natürlich sind wir dagegen – wir haben ja auch mit Michael Moore das Video zu dem Song .Boom’gedreht.“
Auch die beiden neuen Alben MEZMERIZE und HYPNOTIZE enthalten wieder USA-kritische Songs: Der Single-Titel „B.Y.O.B.“ ist eine Abkürzung für „Bring Your Own Bombs“ (in einigen amerikanischen Restaurants gilt „Bring Your Own Beer“) und „Cigaro“ kritisiert mit der Zeile „My cock is much bigger than yours“ eine in Tankians Augen auf militärische Übermacht begründete Arroganz der amerikanischen Außenpolitik. „System Of A Down machen immer wieder sehr starke Statements“, sagt er, während sein Manager ein Räucherstäbchen hereinbringt, um den süßlichen Duft zu kaschieren. „Deshalb werden wir oft auf den politischen Aspekt reduziert. Ich verstehe, warum das so ist. Nur setzt man sich ja auch nicht mit den Beatles hin und fragt sie ausschließlich nach Vietnam.“
Serj Tankian ist ein aufmerksamer Zuhörer und ein beweglicher Gesprächspartner. Er ist klug, vertritt wohlüberlegte Meinungen und ruht ganz und gar in sich. Wird vor der Türe seiner Garderobe zu laut gelacht, kann er mitten in einem Gedanken explodieren wie ein zu lange provozierter Shaolin-Mönch („Hey! Guys! We’re doing an interview here!“), um sofort danach völlig gefaßt und mit sanfter Stimme den Satz zu beenden. Er war an Prügeleien mit seinen Bandmitgliedem beteiligt – „Wir sind seit 15 Jahren eine Familie. Da ist ganz normal, daß es Streit gibt. Und manchmal auch Fausthiebe, ja“ – fungiert aber heute oft als ausgleichendes Element: „Ich bin reifer geworden. Man lernt, loszulassen.“ Führt einen Tankian durch das Universum von System Of A Down, wirkt die kalifornische Band wie ein stabiles, ausgewogenes Gebilde. Auch das aber ist nur ein Aspekt einer weitaus komplexeren Wirklichkeit.
Ein beständiger Unruheherd bei System of A Down ist Daron Malakian. Der Gitarrist und zweite Sänger ist musikalisches Mastermind, Co-Produzent und ein Heißsporn vor dem Herren. Er brodelt vor Kreativität, kann fast fanatisch einer Idee nachspüren, um dann bis zum Umfallen an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Während der Entstehung von MEZMERIZE und HYPNOTIZE hat er zusammen mit Rick Rubin Verantwortung für die Produktion übernommen, mehr Texte als bisher beigesteuert und seine Kollegen mit seiner Besessenheit abwechselnd belustigt und in den Wahnsinn getrieben. Legendär ist bereits die Geschichte, als er einen Raum in Rubins Villa kurzfristig mit Gitarren tapezierte, um einen bestimmten Sound zu ermöglichen. „Da ging es eben um Resonanz“, sagte er später entschuldigend. „Ich hab Leute beauftragt, mir akustische Gitarren zu kaufen. Ich wollte, daß die Musik nicht von der Wand wiederhallt, sondern aus den Gitarren. Warum also nicht den Sound aus den Verstärkern in die Gitarren [an den Wänden] jagen, die ihn dann zurückschicken. Das war eben ein Experiment. Wir haben es probiert und ich hab genau das erreicht, was ich wollte.“
Die Zusammenarbeit mit Malakian war nicht immer einfach. Seine letzten Jahre, sagt er, waren für ihn „voller Negativität“. Zu der Angst um armenische Familienangehörige, die im Irak den Krieg auf der Seite der Verlierer erleben mußten, kam persönliches Leid. Musikalisch entwickelte er in dieser Phase ausgerechnet ein Faible für norwegischen Black-Metal. „Malakians Befindlichkeit hat natürlich eine Wirkung auf uns alle gehabt“, sagt Serj Tankian. „Aber so ist das nunmal in einer Band. Und Gefühle machen schließlich auch die Musik. Der Ausdruck von Emotionen gehört zum kreativen Prozess.“ Aus MEZMERIZE, das Ende Mai und einige Wochen vor hypnotize erscheinen wird, wurde trotzdem wieder ein herausragendes Werk, das fast allen Journalisten bei einer Listening-Session im April ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert hat. Es ist abwechslungsreicher als das selbstbetitelte Debüt, als TOXICITY und STEAL THIS ALBUM! und enthält mit „Lost In Hollywood“ tatsächlich eine Beinahe-Ballade.
„Bei anderen Bands und anderen Plattenfirmen wäre so ein Ausbruch aus der Normalität ein großes Fragezeichen gewesen“, freut sich Tankian. „Bei uns war das ein Pluspunkt. ‚Der Song ist mit nichts von System Of A Down vergleichbar? Fantastisch! Wo könnten wir ihn auf diesem Album platzieren?'“ Zumindest ein kleines Fragezeichen aber gab es bei der Produktion der beiden neuen Alben dann doch. Nach unbefriedigenden Bandproben kam es zur Konfrontation zwischen dem Bassisten Shavo Odadjian und seinen Kollegen.
„Die haben gesagt, ‚Dude, du spielst inzwischen besser Gitarre als Baß! Was ist mit dir los?'“, so Odadjian. „Daron hat ja immer zu mir gesagt:,Übe Baß! Übe jeden Tag!‘ Ich hab das aber nur als Arbeit betrachtet wielästige Hausaufgaben. Ich kam nach den Bandproben oft nach Hause und hab nur stundenlang Gitarre gespielt. Aber dann wurde mir klar, daß ich sonst in meinem Leben auch immer höchste Ansprüche habe also sollte ich auch aus meinem Baßspiel das Maximale rausholen.“ Auf diesen Zwischenfall angesprochen, sucht Serj Tankian heute nach verbindlichen Worten: „Kritik gehört natürlich dazu. Aber Shavo wollte ja auch selbst besser werden.“ Trotz aller verbalen Diplomatie – Mittelmäßigkeit hätte er so wenig geduldet wie Daron Malakian. Ohne Ehrgeiz und unglaubliche Ambitionen hätte es diese Band schließlich nie so weit gebracht. Und wer das begriffen hat, ist der Beantwortung der Frage, wer oder was System Of A Down eigentlich sind, bereits einen großen Schritt näher gekommen.
www.systemofadown.com