„“Da kommen wir natürlich nicht zusammen“
Was blieb übrig vom Punk? Und worauf können sich die Tote Hose Campino und die Goldene Zitrone Ted Gaier heute überhaupt einigen? Ein Gespräch über Jungsbands, falsche Zeichen, richtiges Publikum und das „Gefäß" Rockmusik.
Stichwort: Funpunk. Der hieß zwar noch nicht so, als sich Die Toten Hosen und Die Goldenen Zitronen darauf einigen konnten. Aber er war Mitte der 8oer ein wirksamer Gegenentwurf zum ganz hart und humorlos gewordenen Punk. Bald schon konnten sich die Freunde aus Düsseldorf und Hamburg allerdings auf immer weniger einigen. Die Zitronen gingen in den Untergrund, die Hosen in die Stadien. Und entfernten sich so weit voneinander, dass man sie 20 Jahre später beide fragen kann: Ist das noch Punk? Irgendwo in diesem Gespräch, das in Berlin stattfand, steckt mindestens eine Antwort auf diese Frage…
1986, mit dem Erfolg der „Skandal-Single „Der Tag, als Thomas Anders starb“, sind die Zitronen den Hosen fast auf Augenhöhe begegnet, oder?
ted: Das war so ein komischer historischer Moment, in den wir reingeraten sind. Dadurch kamen wir an einen Punkt, wo wir die gleichen Schritte hätten vollziehen können wie Die Toten Hosen. Als Die Ärzte sich aufgelöst haben, 1989, kam die Bravo und meinte: „Leute, wie schaut’s aus mit einer Homestory?“ Aber uns war da schon klar, dass das nicht unser Weg ist. Auch, weil wir 1986 auf der Tour mit den Hosen einen Eindruck bekommen hatten, was Rockbusiness bedeutet. Wo diese Funpunk-Idee in die großen Hallen kam und man merkte, diese Ironie kommt bei den falschen Leuten und völlig falsch an… Das Modell der Hosen-Vorgängerband ZK hatten wir ja eigentlich ganz gut gefunden. Gerade wo Punk immer ernsthafter wurde, sich in Fraktionen aufteilte und sich verhärtete.
Campino: ZK hat sich Ende ’78 gegründet, und wir waren anfangs genau wie alle anderen auch: Unsere Texte waren extrem humorlos. „Großstadt, Großstadt, dreckig und grau / Großstadt, Großstadt, totalverbaut“ und, so ’n Quatsch. Male, Mittagspause – das waren unsere Nachbarn und Vorbilder. Doch dann orientierten wir uns an Johnny Moped aus London. Der brach dieses Klischee auf, mit so einer Gaga-Geschichte. Das wollten wir auch. Mir war aber bald unwohl dabei. Mir ging es auf den Keks, jeden Abend lustig sein zu müssen. Ted : Das stellst du jetzt aber so dar! Als wir mit auf Tour waren, ward ihr natürlich auch lustig. Für uns war das, was ihr vorgegeben habt, ja anfangs auch befreiend – modemäßig mit diesen Blümchenhemden,
Plateauschuhen… Für mich war diese Idee lustig, so lange wir den Punks in der Szene vorhalten konnten, dass sie Spießer sind. Doch daraus entwickelte sich dann eben diese Feierabendpunk-Mentalität. Plötzlich stehst du vor 1500 Leuten, die sich sehr mechanisch benehmen. Diese Themen wie Fußball, Alkohol, Autos waren zwar bestens geeignet, um so einer bornierten linksradikalen Gewissheit den Spiegel vorzuhalten. Aber sie waren überhaupt nicht geeignet in diesem Kontext, weil das dort eins zu eins funktioniert hat und die Leute sich damit identifiziert haben. Interessant ist hier zum Beispiel das „Altbierlied“: Auf der opel-gang gibt’s dieses Lied „Modestadt Düsseldorf“, da merkt man: klassische Abnabelung von seiner Herkunft – „alles scheiße hier!“ Doch die Versöhnung findet statt, wenn man einmal durch den Kreis gegangen ist, seinem Vater gegenübertritt und sagen kann: „Ich bin auch wer!“ campino: Was?
ted: „Ich bin auch wer!“ (lacht) Da akzeptiert man sein Erbe, das ist so die psychologische Sache. campino: Ach so.
ted: Das „Altbierlied“ hat also nach diesem Muster schon quasi drei Jahre nach „Modestadt Düsseldorf“ klargemacht: „Wir sind stolz auf unsere Stadt!“ campino :… Also, ganz langsam! Wir dürfen bei dieser Diskussion nie die Zeiten vergessen! Wenn früher eine Band gesagt hat: „Wir sind 18,19, und wir haben nichts Besseres zu tun, als zu saufen“ – das hat die Leute irritiert!
ted: Weiß ich ja. Wir hatten ja auch ein paar Sauflieder. „Und ganz doll Schnaps“ und so. Doch eure Angebote, die ihr macht, sind sehr viel ernster gemeint. Eure Identifikation mit Düsseldorf ist zum Beispiel wirklich ganz enorm … campino: Ja… hallo! Warum bekennt man sich zu der Stadt? Doch nur, weil das niemand anderes tat. Weil das damals als total uncool galt, Düsseldorfer zu sein. Und deshalb war das für uns ein Anreiz, in die erste Reihe zu gehen. Eigentlich aus einer Doppelbödigkeit heraus.
Aber eure Entwicklung verlief doch schon so, dass die Hosen ernster genommen werden wollten und für gewisse Werte in den Texten einstehen.
campino: Aber es kann doch nicht darum gehen, dass man uns deshalb, weil wir das „Altbierlied“ gesungen haben, abspricht, dass wir in anderen Bereichen ernst sein dürfen!
ted: Nein, ich würde euch ja eher vorwerfen, dass ihr Themen auf eine oberflächliche oder auf eine Mainstream-Art behandelt und dadurch andere Sachen weglasst… Über eure Außendarstellung wurde ich teilweise sogar richtig sauer. Als ich dich da gesehen habe bei Rheinhausen, und du sagst da dann solche Sachen wie: „Das kann sich außerhalb des Ruhrgebiets gar keiner vorstellen, wie die Leute hier bei der Arbeit sind, und was das für die bedeutet die sind mehr mit ihrem Kopf unter Tage als bei den Titten an ihrer Freundin …“
campino: Da habe ich gesagt: „Die haben ihre Hände mehr an ihren Werkzeugen als an den Titten ihrer Frauen“ oder so. Das ist ein Satz von… 1989. Aber ich stehe hinter dem, was ich damals meinte, heute noch. Du kannst mich wegen der Form angreifen, aber…
ted: Ich kenne ja deinen Background, ich weiß, wie du’s meinst. In dem Fall meine ich eben nur, dass die Zeichen nicht hinhauen.
Wie kommt man überhaupt zu der Überzeugung, dass man sich als Sänger uon einer Punkrockband zu solchen Themen äußern sollte?
campino: Wieso denn nicht? Ich lass‘ mir nicht den Mund verbieten! Ich habe immer gedacht, dass das eine Riesenchance und ein Privileg ist, weil ich nicht korrumpierbar bin durch irgendeine Partei oder Institution.
Aber gerät man nicht in Situationen, wo man sich denkt: Hierzu kann ich eigentlich nichts sagen?
campino: Wieso konnte ich dazu nichts sagen?!
Vielleicht nicht bei diesem Thema, aber…
campino: (bestimmt) Zu welchem Thema glaubst du denn kann ich nichts sagen? Denk dir eins aus!
ted: Das kann er dir ja nicht sagen. Das muss jeder selbst wissen. Ich sehe das ja auch als Privileg. Gerade als Band kannst du viel besser einwirken auf die Öffentlichkeit. Meine Möglichkeiten sind allerdings limitiert, weil man mich bestimmt nicht zu Beckmann einlädt, wo ich wohl auch nicht hingehen würde. Der Supermainstream will jemanden wie Ted Gaier nicht über Rassismus reden hören.
campino: Ich teile deine Meinung, dass das fragwürdigist, in jede Sendung zu gehen. Und dass mir da sicher Fehler unterlaufen sind… ted : Die Kritik mit dem Tittenspruch war aber ja eine andere. Da fehlt es offenbar einfach an einem Background, der ein Vokabular entwickelt, in dem man erst gar nicht auf so machistische Formulierungen zurückgreift.
campino: Verzeih mir das! Es müsste jetzt auch verjährt sein. Ich habe da irgendwann im Eifer des Gefechts in den 80ern diesen Satz gesagt… Nenn mir ein anderes Beispiel!
ted: Schröder. Als Wahlkampf war, kurz bevor Schröder an die Macht kam, saßt du mit ihm irgendwo rum…
campino: Schröder wurde zugeschaltet und hat versucht, mich zu vereinnahmen. In so einer Fernsehsendung geht es wirklich darum: Wer kriegt wen? Diese Leute haben Tricks drauf… So einer wie Heiner Geißler (Ex-CW-Generalsekretär-Anm. d. Red.), der wohnt da ja quasi. Du kennst diese Figur aus Interviews. Da sitzt du neben ihm in der Maske, und der seift dich ein, dass du Skrupel kriegst, den nachher anzugreifen: „Mein Sohn hört ja auch ihre Musik“ und so. Und dann geht die Kamera an, und plötzlich fliegen die Fetzen. Anschließend ist die Kamera aus, und dann gehen diese Leute zusammen einen trinken. Da habe ich mir gesagt: So, Freundchen, beim nächsten Mal gehe ich nachher mit dir auch ein Bier trinken – aber wenn die Kamera an ist, klatscht es!
ted: Aber wir müssten eh darüber reden, was man meint, dort platzieren zu können…
Ich würde gerne noch einmal zur Frage kommen: Gibt es ein falsches und ein richtiges Publikum?
campino: Für mich: …ja! Nur, man muss echt aufpassen, dass man da nicht elitär wird. Wenn Leute bei U2 mitsingen und feiern, wo ist das Problem? Was für ein Arschloch wäre ich, zu entscheiden, dass die Leute, die zu Herbert Grönemeyer gehen, deppiger sind als die Leute, die zu… Radiohead gehen? ted: Das sind ja gute Referenzen – von Bands, die sich entschieden haben, diese Leiter mit zu erklimmen. Auch ihr habt diese Idee von Erfolg, ihr macht das, was Diederichsen (Diedrich, Poptheoretiker -Anm. d. Red.) in „Sexbeat“ nennt: „deren Spiel spielen“. Ich weiß gar nicht, was Erfolg in dem Sinne ist! Wir haben gemerkt, als wir auch auf dem Sprung waren, die richtig großen Hallen vollzumachen: Wir wollen die gar nicht voll haben!
campino: Ihr hattet ein Problem damit, dass plötzlich viele Leute kamen und vor allem auf euren Hit gewartet haben – und ihr habt den nicht gespielt. Ich stand da und dachte: Wieso geben die denen nicht das, was sie wollen? Was ist das für ein inneres Problem, dass ihr mit einem Monster kämpft, das ihr selber kreiert habt? In dieser Zeit kam es dann ja auch zur Abnabelung, zum Bruch zwischen euch und uns als klare Freunde. Das passierte allerdings vor allem über die Öffentlichkeit Ich bin da so ein bisschen altmodisch oder korpsgeistmäßig und habe mich gefragt: Wieso sagt er’s mir nicht selber?
ted: Ich hab’s euch immer selber gesagt! Und ich fand das gar nicht verkehrt, dass ihr uns auch kritisiert. Ich kenne keinen Korpsgeist. So wie er zum Beispiel in eurem Stück „Freunde“ beschrieben wird: „Ich würde lügen für euch…“
campino: „Wir würden füreinander lügen!“
ted: Und „Wir sind das Wichtigste für uns“ und so.
campino: … Guck mal, in 27 Jahren macht man eine Menge Lieder. Diese Lieder können aber ja nur Ausschnitte sein, sie sind nur eine Perspektive.
ted : Ja, nur natürlich sind eure Texte immer sehr nahe am Autobiografischen. Es deckt sich auch damit, was ihr in Interviews sagt, wie: „Zwischen unsere Beziehung kommen keine Freundinnen.“ Meine Kritik, die ich damals geäußert habe, worauf das anfing, dass ihr angefressen ward, bezog sich genau darauf. Mich hat dieses Männerbündlerische immer genervt.
campino: Meine Vorbilder waren in dieser Beziehung immer The Clash. So eine linke Alternative für die Fankurve zu sein, darin habe ich eine Zeit lang unsere Position gesehen: den Rechtsbands nicht allein das Harte, Unkorrekte überlassen. Clash haben das geschafft, die waren ’ne ausgesprochene Jungenband. Und wir eben auch. ted: Das war und ist ja kein Zufall, weil die Angebote, die ihr macht…
campino: Tu mir den Gefallen und lass das Wort .Angebote“ sein! Ich mach‘ keine „Angebote“, ich singe über irgendwas. ted: Na, wie würdest du es denn nennen? campino: „Unsere Lieder“!
ted: Nein, was dich ausmacht als Projektionsfläche. Du bist eine, das kannst du nicht abstreiten.
campino: Pass mal auf, bei mir findet mein ganzes Leben lang eine Bewusstwerdung statt: Ich sollte nicht vorgeben, mehr zu sein, als ich bin! Ich hab nichts zu geben außer mich selber.
ted : Aber gerade, wenn man sagt „Ich hab nichts zu bieten als mich selbst“, setzt man sich unter Druck. Dann hat man ja so ein Künstlerbild von sich, dass man authentisch wäre.
campino: Wenn ich mich selber verlasse, fange ich an, posig zu werden und zu lügen… Du sagst „Angebot“ Fußball. Es ist ja nicht so, dass ich in Wahrheit lieber zum Golfturnier gehe… Oder .Angebot“ Widerspruch – eben weil ich widersprüchlich bin.
ted: Aber ihr seid doch viel weniger widersprüchlich als wir zum Beispiel. Wir singen ja nur von Widersprüchen! Und bei uns gibt’s überhaupt nicht dieses Authentische, den authentischen Sänger, der bei sich ist.
campino: Wir müssen hinter unseren Liedern stehen können. Wir haben diese Chance, unsere Platten rauszubringen, wie andere Leute Tagebücher machen. Und die Chance, mit unseren Sachen zu reifen. Und wir konnten die Leute bisher auch mitnehmen. Wieso fragt man einen Nick Cave eigentlich nie, wie alt er ist? Weil’s scheißegal ist! Der ist ein prima Beispiel dafür, dass Rockmusik nichts mit Alter zu tun hat… Dass Rockmusik nicht jung zu sein hat oder sich Regeln zu unterwerfen hat.
ted: Dann verstehe ich aber nicht, warum eure Rockmusik so sehr nach Rockmusik klingt, warum es immer noch diese eine Konstante gibt: fetter werden! Wir bei den Goldenen Zitronen können gar nicht anders, als all das zu integrieren, was uns interessiert.
campino: Es muss doch für jeden erlaubt sein, seine Inspiration und Kraft aus verschiedenen Quellen zu ziehen. Wir mögen es halt gerne breit. Für viele Sachen habe mich erst sehr spät geöffnet, bedauerlicherweise. Das krasseste Beispiel: Bob Dylan.
ted: An ihn musste ich denken bei dieser Textzeile aus „Freunde“: „Wir würden füreinander lügen“ Ich seh’s da nämlich eher wie Dylan bei „Ain’t Me, Babe“: Du kannst nicht mit allem ankommen und dich drauf verlassen, dass ich dich decke. Es geht darum, ob es für mich okay ist oder nicht. campino: Aber gerade Dylan – ich finde da ganz bestimmt schnell eine andere Stelle, wo er Freundschaft völlig anders zelebriert. Dieses Gesamtwerkbuch von Dylans Liedern ist für mich das beeindruckendste Werk, das ich von einem Texter aus der Pop- und Rockmusik gelesen habe.
ted : Aber dann frag ich wieder: Warum kommt so ’ne Hosen-Platte daher mit so knackigen Rockriffs?
campino: Weil wir Rockmusik mögen! Ich freue mich auf die neueste Metallica, AC/DC … Mich interessiert das: Wie macht Angus Young das? Werden die wieder ein gutes Stück hinkriegen? Und nehmen sie dann wieder dieselben Akkorde? Wir sind tatsächlich auf der Suche nach fettem Sound – immer gewesen und immer noch. ted: Nur weil’s einen ästhetisch so einengt, weißt du? Du hast ja vorhin auch darüber gesprochen, dass ihr diese Lücke konkret besetzen wolltet, weil sie sonst onkelzmäßig eingenommen worden wäre. Ich habe ’90 oder ’91 eine Dokumentation über so’n Neonazi im Osten gesehen, der saß vor ’nem riesen Tote-Hosen-Poster… Ist überhaupt nicht eure Schuld! Aber das war für mich ein Aha-Erlebnis, weil ich dachte, irgendwas scheint an dieser Musik so zu sein, dass es umdeutbar ist für Rechte.
campino: Darf ich dir trotzdem sagen: Mit derselben Sicherheit, mit der das passiert ist, wage ich zu behaupten, dass wir uns 20-mal mehr mit den Nazis gehauen haben als ihr.
ted: Das zweifle ich ja auch gar nicht an. Ich finde euch ja auch total integer! Das Beispiel mit dem Nazi hatte mir nur eben gezeigt, dass Rockmusik offenbar ein Gefäß ist…
campino: Dass Rockmusik was ist?
ted: Ein Gefäß! Das du füllen kannst – mit einem Bon-Jovi-Text oder einem Böhse-Onkelz-Text oder einem Hosen-Text. Und deshalb haben wir uns abgenabelt vom Rock, haben überlegt: Wie können wir eine Musik machen, die sich auch von ihren ästhetischen Merkmalen her unterscheidet von einer Musik, die jeder mitgrölen kann.
campino: Da kommen wir natürlich nicht zusammen, ich bin immer auf der Suche nach Musik, die jemand mitgrölen kann.
Was in solchen Diskussionen ja dann oft kommt, ist: „Aber wollt ihr nicht trotzdem, dass euch möglichst viele Leute hören?“
ted: Wir wollen, dass möglichst viele Leute uns hören – aber zu unseren Bedingungen. Mit den ästhetischen Merkmalen und Inhalten, die wir rausstellen, soll’s da stehen.
campino: Wo ist dann eigentlich der Grund für den Streit? Ich klage euch nicht an, ich nehm‘ euch das total ab, ihr seid für mich glaubwürdig, ich habe Spaß auf euren Gigs. Wir halten die Dinge halt anders, wir kommen mehr aus der Rockecke, es ist… ein Hauch von Proll darüber oder vielleicht auch mehr davon.
ted: Wir unterhalten uns hier ja, um herauszuarbeiten, was in unserer Herangehensweise einen Unterschied macht. Und da ist es ja sehr interessant, wenn du sagst: Wir wollten diese Lücke besetzen, wir wollten das nicht denen überlassen…
campino: Absolut.
ted: … den Böhsen Onkelz oder so. Und unsere Reaktion war eben: Was wir machen, können die auf gar keinen Fall für sich vereinnahmen. Ich mache auch nicht die Unterscheidung, dass das besser ist. Aber ich bin natürlich von meinem Weg überzeugt, ich denke schon im Sinne von Schönberg, der sagt: „Wenn im Radio nonstop Zwölftonmusik liefe, dann würden die Leute auf der Straße Zwölftonlieder pfeifen.“
campino : Wir sind damals auch losgegangen, um diese Tür, die beim Radio einen Spalt offen stand, mit einzurammen und zu sagen: Wir gehen da hin und spielen unsere Musik! Fünf Minuten Hosen sind fünf Minuten weniger irgendeine Kommerzscheiße.
ted: Aber die Frage ist doch, worin ihr euch noch unterscheidet von einer Deutschrockband. Dein Gesang hat immer diesen Angry-young-man-Habitus. Und seit ein paar Jahren gibt es dann noch die Balladen, wo du versuchst, so eine weiche Seite anzutriggern. Diese begrenzte ästhetische Bandbreite steht vieldeutigeren Formen im Weg. Und auch die Texte kommen immer eindeutig aus einer Ich-Perspektive – immer bist du es, der da spricht. Deshalb die Frage: Was ist der Unterschied zwischen dir und einem anderen Deutschrocker? campino: Ich brauch‘ mich nicht abgrenzen, und ich muss dir das auch nicht erklären. Das müssen die Leute für sich aussortieren, warum sie dann doch lieber Die Toten Hosen hören. Wir stehen tendenziell eben eher in dieser Reihe traditioneller Bands wie die Ramones, Status Quo, AC/DC. Beispiel Ramones: Die haben auf all ihren Platten immer wieder drei Lieder, mit denselben Akkorden wie alle anderen, die aber aus irgendeinem Grund einfach besser sind. Wie kommt man zur Essenz, an diese drei, die es dann wirklich wert sind? Das ist der Punkt!… Und Gott sei Dank gibt’s all diese Unterschiede! Ich finde das ja sehr spannend, euch zu beobachten. Wir haben euch immer mit Wohlwollen begleitet. Und wenn es so leise Anfragen aus Hamburg gab wie „Wir ham‘ hier ’nen Club…“, den Golden Pudel Club – den haben wir damals finanziert. Wir haben das nie in der Öffentlichkeit breitgetreten. Wir waren nur die doofen Toten Hosen aus Düsseldorf, und die ganzen Coolen hielten diesen Laden immer als Gegenbeispiel hoch, wie toll so ’ne Subkultur sein kann. Da haben wir uns drüber amüsiert.
Es ist fast wie das Verhältnis zwischen dem FC Bayern München und dem FC St. Pauli, oder?
ted: (lacht) … Aber nur, dass das nicht unter den Tisch fällt: Ich habe mit dem Golden Pudel Club nichts zu tun! Wir haben mit dem Buttclub noch mal einen Konkurrenzverein zum Pudel, das ist eher ein linksradikaler Debattierclub. Auch der Pudel war ursprünglich ein Non-Profit-Dmg. Dass das inzwischen so ’n Hipster-Laden ist… das ist ja der ähnliche Prozess wie bei euch – eine Professionalisierung eben.
campino: Ja, aber wie gesagt: Ich habe damit kein Problem. Das Dilettantische kannst du nicht konservieren. Naivität kannst du nicht festhalten.
ted: Aber ich dachte immer, dass ihr genau das versucht habt, eine ganze Weile. Warum habt ihr denn zum Beispiel so was wie diese Doku-Soap auf MTV gemacht? Ich hab‘ nur so eine Folge gesehen, wo ihr mit so ’ner Vorband…
campino: … den Donots… Tennis gespielt haben? ted : Ich kannte die ganzen Sprüche ja von vor 25 Jahren schon. Immer dieses Neckische: „Zeigt mal, was ihr draufhabt!“ Da ist ’ne Jungsband und ’ne andere Jungsband, und dann necken die sich so … campino: Guck mal, dafür respektiere ich Farin ja… Also ich find‘ den ja sowieso gut.
ted: (lacht) campino: Da lachst du! Aber… der ist ein Genie in vielen Dingen. Und dass er es tatsächlich geschafft hat, ’ne Mädelband zusammenzustellen, die alle richtig Wumms haben, das find ich klasse! ted: Er ist bei vielen Schachzügen cleverer vorgegangen als ihr.
campino: Wir waren nicht in derselben Sportart!
ted: Ihr ward gerootet im Punkbackground. Den haben Die Ärzte schnell hinter sich gelassen.
campino: Ob das cleverer war? Die Ärzte habt ihr eine Zeit lang regelrecht bewundert, und das ha‘ ich nicht kapiert, weil die proklamiert haben: „Hey, wir sind ’ne Teenieband!“ Die Praxis war allen klar: Ihr Manager Jim Rakete hatte mehrere Bands und hat die Bravo erpresst, indem er sagte: „Wenn ihr Nena haben wollt, dann müsst ihr die Ärzte reinnehmen!“ Die Ärzte haben sich dermaßen strategisch in den Kommerz begeben…
ted: Was ich tatsächlich interessant an den Ärzten fand, war diese Beatles-hafte Teeniehysterie, die speziell von den Mädchen kam. Das fand ich attraktiver als diese dumpfe Männerenergie.
campino: Das war von dir strategischja auch richtig, dich dahin zu orientieren, wo mehr Mädchen rumlaufen. Da kann man ja nichts gegen sagen… (lacht)
ted: Nein, weil ich die Energie besser finde! Ich war mal auf einem Ärzte-Konzert, da haben sie dieses „Schwanz ab“ gespielt. Da sagen die von der Bühne:
„Okay, die Jungs singen jetzt ,Schwanz ab! Schwanz ab!‘, und die Mädchen singen .Runter mit dem Männlichkeitswahn!'“ Da dachte ich: Hey, wenn wir das schaffen, eine 2oooer-Halle voll zu haben, und die Leute singen alle ,ßlles, was ich will, ist die Regierung stürzen“, dann hat man das erreicht, was für mich vielleicht „Teenage Rampage“ von The Sweet war oder „Children Of The Revolution“, weißt du? Also dieses Teenieding, wo man so reinschlittert und dann zum ersten Mal nachdenkt über „Revolution“ oder „Rampage“ oder so. Ich habe die Macht gesehen, die sozusagen auf eine schöne, bewusste, ironische Art instrumentalisiert werden könnte für das vermeintlich Richtige… Das war vielleicht auch mein Irrglaube.
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