Crocodiles – Wir erlauben uns mehr Nacktheit


Zwei Jungs aus dem Süden Kaliforniens wollten Künstler werden, keine Entertainer. Ihre im Schatten geborene Band Crocodiles blüht als Quintett jetzt richtig auf.

San Diego ist ein Hort der Entspannung, braungebrannter Surfer-Kids und „ein Meer von endlosen Mündern, die mich alle auslachen“. Ein Albtraum für die jungen Brandon Welchez und Charles Rowell, die mit Beach-Kultur und „schlechter Modern-Reggae-Musik wie die von Jack Johnson“ nichts am Hut haben. Sie bleiben lieber drin, im Wohnzimmer, und basteln am Computer Tonspur für Tonspur an ihren Demos. So entstehen, während Mutter Rowell ihnen Essen kocht, die Songs für das Crocodiles-Debüt Summer Of Hate und den Nachfolger Sleep Forever, der mit Produzent James Ford (Simian Mobile Disco) fertiggestellt wurde und es im ME bis unter die 50 besten Alben des Jahres 2010 schaffte.

Mit diesen Stücken ging es endlich raus aus der Strandidylle. Im Mini-Van auf Tour gehen und die Welt sehen. Anfangs stehen sie noch als Duo auf der Bühne, zwei kongeniale Bücherwürmer in dunklen Klamotten, mit Wayfarer-Sonnenbrillen und einer Drum-Machine. Doch nach und nach bauen Brandon und Charles Crocodiles zur vollwertigen Live-Band aus. Gewinnen Fans und Freunde. Touren. „Wir sind Künstler, keine Entertainer“, sagt Welchez. Sie haben fünf Jahre in Kellern gespielt, auf Sofas geschlafen und Gedichtbände geschrieben, anstatt mit Gewalt den großen Durchbruch zu suchen. Mit Marco Gonzalez, Robin Eisenberg und nicht zuletzt der deutschen The-Slits-Schlagzeugerin Anna Schulte als inzwischen feste Bandmitglieder haben die beiden Gleichgesinnte gefunden, die dem druckvoll-düsteren Sound der Band gut tun: Auf Endless Flowers, ihrem dritten Album, variieren Crocodiles das Tempo und die Rhythmusarten, und sie lassen Luft und Lücken in den Songs.

Die Band hat sich als Quintett gefunden, Brandon Welchez (der im Übrigen mit Dum-Dum-Girls-Frontfrau Dee Dee Penny verheiratet ist) und Charles Rowell fühlen sich „angekommen“ und inzwischen heimisch in New York, London und Berlin. Live wird – ganz wörtlich – auf die Bühne gerotzt wie eh und je, trotzdem klingt das jetzt alles gleichzeitig dichter, beschwingter und klarer. Auch Welchez‘ anfangs verzerrter Gesang erlaubt sich nun „Nacktheit“, wie er selbst sagt.

Ein gutes Stichwort, um das schmale, blasse Aktmodell auf dem Plattencover noch ins Spiel zu bringen, das in den verklemmten Läden und Ländern dieser Welt mit Titel-Aufkleber an den markanten Stellen angeboten wird. Passend dazu veröffentlichen Brandon und Charles dann bald auch noch einen Gedichtband voller „sex poems“.

Auch der Satz mit dem „Meer von endlosen Mündern“ eingangs dieses Textes stammt übrigens aus einem ihrer Gedichte. Im Song „My Surfing Lucifer“ trägt es Anna Schulte auf Deutsch vor und wiederholt diesen Satz mehrere Male. Damit er haften bleibt.

Albumkritik ME 6/2012