Carlene Carter


Richtig hübsch ist sie, zum Reinbeißen. Und Tradititon hat sie sogar. Mit der hat Carlene Carter allerdings gebrochen; genauso wie mit ihren zwei Ehemännern, die sie mit 22 Jahren bereits auf ihrer Liste abgehakt hat. Aber in den amerikanischen Südstaaten ist man halt ein bißchen früher dabei. Kürzlich veröffentlichte sie nun ihre erste Platte. Und damit verschlug sie selbst höchst toleranten Rockfans die Sprache.

Carlene Carter ist die Tochter von June Carter-Cash und somit die Stieftocher von Johnny, dem man kürzlich nachsagte, er würde jetzt als Chefdirigent beim Nashville Symphonie-Orchester einsteigen. So viel zur Tradition. Denn für ihr Debüt-Album ist Carlene nicht mit Nashvilles Hillbilly-Schickeria ins Studio gegangen, sondern hat sich von ihrem Manager Europas Rhythm & Blues-Band Nummer 1 aufschwatzen lassen. Und das war gut so. Denn was Graham Parkers Rumour auf dieser Platte zauberte, ist schlichtweg als Meisterleistung zu werten. Und damit die Sache gleich Hand und Fuß hatte, haben Brinsley Schwartz und Bob Andrews das Album auch noch produziert. Und genauso hört sich der Ausflug von Rumour ins amerikanische Hinterland auch an, nämlich wie ein mit allen Wassern des Rock gewaschenes Plättchen einer jungen Dame, die sich in ihrem jugendlichen Leichtsinn womöglich verirrt hat.

Die Hitparaden-Manipulateure dieser Erde scheinen das allerdings noch nicht gemerkt zu haben. Denn nirgendwo hat sich Carlene Carters Platte in den Charts blicken lassen. Und das, obwohl sie eigenständiger als Linda Ronstadt ist, mehr Dampf hat als Emmylou Harris und überhaupt den meisten Damen in diesem Geschäft die Stirn zeigen kann. Denn die amerikanisch/englische Begegnung, die in den Londoner Eden Studios stattfand, könnte Schule machen. Selbst Graham Parker und Drahtzieher Nick Löwe waren von Carlene begeistert und haben ihre Stimmen mehrfach für den Background-Chor zur Verfügung gestellt. Parker stiftete sogar einen ganzen Song: „Between You And Me“.

Rock-LPs sind selten mit soviel Geschmack und Stil zusammengestellt.Die Zusammenarbeit Carter, Rumour & Co. verlangte von Carlene keinerlei stilistische Abstriche. Ein wenig gute Landluft hat sie schon noch untergebracht. Aber wer kann schon seine Herkunft hundertprozentig verleugnen?

Geboren und aufgewachsen ist Carlene Carter nun mal in Nashville, Tennessee, als Mitglied des berühmten Carter Clans: der Trapp Familie oder den Fischer Chören der amerikanischen Country-Musik.

Zwangsläufig mußte sie da sogar mitsingen, doch als sie mit 15 zum erstenmal heiratete, war sie ihrer Familie entwischt. „Da ich immer ein bißchen das schwarze Schaf in der Familie war, haben die sowieso damit gerechnet, daß ich mit ihrer Tradition breche. Ich habe mit Nashville überhaupt nichts am Hut, außer daß ich dort geboren bin und ab und zu da wohne . . .“ Sogar ein Angebot der „Grand Ole Opry“, Amerikas traditionellster und ältester Country-Radio-Show, hat sie abgelehnt, um gar nicht erst mit jenen Country & Western-Propheten, von denen sie eh nichts hält, in Verbindung gebracht zu werden.

Carlene war nach ihrer ersten Scheidung Hausautorin bei einem der unzähligen Musikverlage in Nashville. Ihr Talent setzte sich durch und sogar Emmylou Harris nahm ein paar Songs von ihr auf. Auch die Country-Clique von Nashville war ein guter Abnehmer ihrer Songs. „Man kommt natürlich an der Country-Musik in Nashville nicht vorbei“, erklärt Carlene, „doch irgendwann hatte ich mich völlig davon entfernt.“ Daß sie dann ausgerechnet in einem so konträren Kreis von Musikern landete, war wirklicher Zufall. „Ich wollte auf jeden Fall in London produzieren, um diese ganzen amerikanischen feelings ein bißchen zu verdrängen. Und da fiel ich eben über Graham Parkers Band. Wenn man überlegt, wieviele Gruppen es auf dieser Welt gibt, und wir finden ausgerechnet die, die den Nagel voll auf den Kopf trifft . . .“ Nur: Mit wem soll sie live auftreten? Brinsley Schwartz, Bob Andrews & Co. sind bei Graham Parker voll ausgebucht. „Ich werde mir wohl eine eigene Band zusammenstellen müssen . . .“ Aber: die fünf Herren opferten für Carlene im vergangenen Sommer ihren Jahresurlaub und begleiteten sie auf einer kurzen Amerika-Tournee. Fünf abgebrühte Insel-Rocker und ein attraktives Mädchen in knackigen Jeans, das gerade vor dieser Kulisse eine besondere Augenweide abgab, turnte nicht nur das amerikanische Club-Publikum an. In San Franzisko tauchte die komplette Clash-Band auf, um den Auftritt zu sehen. Das ganze endete dann – wie könnte es anders sein – in einer Riesenfete. Seitdem sie mit Parker’s Rumour rockt, ist Carlene nämlich auch bei den New Wavern angesagt.