Melancholie im Birkenstock
Mit manchen Musikern kann man sprechen, mit anderen nicht, auch wenn man will. Die notorische Gesprächsverweigerung eines Van Morrison etwa ist schon seit Urzeiten legendär. Belle & Sebastian aber, das kleine Folkwunder aus Glasgow, hat sich bislang allen Gesprächsanfragen auf wirklich bizarre Weise zu entziehen versucht. Als if you’re feeling sinister veröffentlicht wurde, da schickte das illustre Septett Schafe zum Interview. Mit Paarhufern kann man sich aber schlecht über Slogans wie „Silence is die new loud“ unterhalten.
Später dann, nach the boy with the ARABSTRAB, wurden der Presse widerwillig Gespräche mit der Band versprochen – es erschienen dann aber irgendwelche Neffen, Cousins oder anderweitig Verwandte, jedenfalls kein Musiker. Nach storytelling hieß es: Jetzt kommt er aber wirklich, der Chefkomponist und Sänger Stuart Murdoch. Wer uns dann allerdings gegenüber saß, das war der Schlagzeuger.
Also bezweifelten wir völlig zu Recht, dass nun tatsächlich Stuart Murdoch Frage und Antwort stehen wolle. Höchstpersönlich. In Berlin. Was möglicherweise damit zu tun hat, dass Belle 8t Sebastian nach der überraschenden Pleite ihrer langjährigen Plattenfirma Jeepster zu Rough Trade gewechselt sind. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass das klandestine Kollektiv mit DEAR CATASTROPHE WAITRESS endlich seine Zurückhaltung aufgegeben hat. Tja, da fragen wir ihn doch einfach, den Stuart Murdoch: „Die erste Platte, tigermilk von 1996, war das Ergebnis eines Schulprojekts. Es sollte nur ein einziges Album werden. Teilweise habe ich einfach wildfremde Leute auf der Straße angesprochen, die irgendwie nach Musikern aussahen.Und als es dann plötzlich abging und alle Interviews wollten, da mochteich mich nicht als großer Chefin den Vordergrund drängen. Aber ich wollte die Band zusammenhalten, nicht nur als einmaliges Projekt. Außerdem sehen wir nicht gut genug aus für eine Popband.“
Na ja, vielleicht ist Murdoch auch einfach nur von, sagen wir, allzu merkwürdiger Gestalt für einen Popstar: extrem hager mit blond gefärbten Haaren, weißes Polohemd zu Schlaghosen und die Füße in … Birkenstocksandalen … mit Socken. “ Ugly is the new beautiful“? Künstler eben. Individualität. Verweigerung. Solche Sachen. Kaum zu glauben, dass dieser schmächtige Indie-Boy einmal geboxt hat. So richtig, im Ring: „Ja, ich habe jahrelang trainiert, das war sehr gut und gab mir Selbstvertrauen. Dann kam’s schließlich zum ersten Kampf Und ich kann dir sagen: Er war sehr, sehr kurz.“ Allerdings: Er endete in der ersten Runde durch K.O.
Wenig geändert hat sich am netten Artwork der Band. Auch das Cover von dear catastrophe waitress ziert ein Schnappschuss von Stuart Murdoch – zu sehen ist im Hintergrund die Band, im Vordergrund die Katastrophenkellnerin: „Sheena heißt sie und arbeitet tatsächlich in einem Cafe in Glasgow. Da war sie mir schon früher aufgefallen, weil sie so fotogen ist. Als ihr dann einmal ein ganzes Tablett mit Frühstück undTee runtergefallen ist, habe ich ihr einen Brief geschrieben: ,Dear catastrophe waitress …‘, aber es geht natürlich um mehr ah diese Kellnerin. Es geht um all jene Leute, die Katastrophen einfach anzuziehen scheinen.“
Für das neue Album haben sich Belle & Sebastian erstmals die Unterstützung eines Produzenten geholt. „Ehrlich gesagt: Ich wusste vorher gar nicht, was so ein Produzent eigentlich macht“, erzählt Murdoch. Und es war nicht irgendein Produzent, sondern Trevor Hörn, der seine Dienste anbot. Berühmt wurde der Mann mit seiner Band The Buggles und dem Hit „Video Killed The Radio Star“, später ersetzte er auf der Platte DR am a von Yes den Sänger Jon Anderson, bevor er ganz in den Produzentensessel wechselte und mit seinen Arbeiten für Frankie Goes To Hollywood, ABC, Barry Manilow, Bryan Ferry und die Pet Shop Boys der Musik der 80er Jahre seinen Stempel aufdrückte. Und dieser „God Of Pop Producrion“, dieser schillernde König der dicken Beats und Fürst der Bläsersätze soll nun ausgerechnet dem verhaltenen, luftigen Folk von Belle & Sebastian auf die Sprünge helfen?
„Früher haben wir unsere Platten ganz alteinefertigbekommen, nurmitunseremToningenieur. Uns hat es aber sehr geholfen, dass da jemand ist, der die Sache schneller und besser hinkriegt. Und Trevor hat es wohl überrascht, dass wir schon sehr präzise Vorstellungen von den Arrangements mit ins Studio brachten. Er musste nur noch die Songs aussuchen „. Und so begegneten sich, aus denkbar unterschiedlichen Richtungen kommend. Band und Produzent auf ihrer Suche nach dem perfekten Popsong. Ein Aufbruch zu neuen Ufern ist DE AR c ATASTROphe waitress trotzdem.
Fans Only heißt die DVD, mit der sich die Gruppe quasi von ihren Jeepster-Jahren verabschiedet. Mit allen Videos und einer umfangreichen BBC-Dokumentation. „Wir dachten“, meint Murdoch mit der gewohnten Bescheidenheit, „dass unsere Videos einfach zu langweilig sind. Alles sehr Low Budget, sehr langsam -und wenn du sie dir in einem Stück anschauen möchtest, schläfst du garantiert ein. Ich dachte nicht, dass wir damit durchkommen könnten. Abo konstruierten wir eine kleine Rahmenhandlung, letzt ist es letztendlich doch sehr nett geworden“.
Murdoch spricht konzentriert,
leise und mit nur geringem schottischem Zungenschlag. Erbeantwortet Fragen präzise, und wenn alles gesagt ist, dann schweigt er. Keine Gegenfragen, kein Ausufern. Und doch hat es etwas sympathisch Ökonomisches, wie er da sitzt und redet. Aus seiner Tasche, die er zwischen den fürchterlichen Birkenstocklatschen abgestellt hat, lugen zwei Taschenbücher: „Prozac Nation“, ein Buch über Depressionen von Elizabeth Wurtzel, und eine Biografie des Regisseurs Francois Truffaut, der auch nicht eben als große Spaßkanone in die Geschichte eingegangen ist. Ist die Melancholie Programm? „Ich glaube nicht“, sagt Murdoch, „dass man depressiv wird, wenn man Bücher über Depressionen liest. Man wird ja auch nicht depressiv, wenn man unsere Musik hört. Ich weiß sehr gut, wie das ist, wenn alles nur noch dunkel, dunkel, dunkel scheint. Und doch gibt es zahlreiche Leute, die unsere Platten gerade deswegen lieben – weil sie sich in der Traurigkeit wiedererkennen.“
Wobei auf dem neuen Album die Pastelltöne kräftigeren Farben gewichen sind. Eine Tatsache, die Murdoch so gar nicht behagt:
„Kürzlich meinte ein Journalist, wir hätten da wohl eine Comedy -Platte abgeliefert 1 . Was soll denn das heißen? Nur weil da ein paar drollige Geräusche drauf sind? Wir tun allesfür eine gute Gänsehaut.“
Fakt ist, dass sich die Stimmung spätestens seitdem Abgang von Isobel Campbell gebessert hat. Die Platten wirken luftiger, freier, weniger introspektiv. War es schwer, den Ausstieg von Isobel abzufedern? „Nicht wirklich „, sagt Murdoch und runzelt die Stirn. „Es änderte sich die Statik innerhalb der Gruppe, die Chemie. Aber das ist okay. Und es ist nicht so, dass ich keinen Kontakt mehr zu Isobel hätte- sie hat keinen zu mir oder uns.“Also keine Anzeichen des befürchteten „Brain Drain“-schließlich war Campbell eine nicht unwichtige Co-Autorin mancher Songs. Da muss er sogar lachen, der Murdoch:
„Oh, it was a brain drain beforeshe went! She used to drain my brain the whole day long! Wir haben uns fast vier fahre lang bemüht, dass sie sich gutfühlt.Und waren wie befreit, als sie dann endlich ging.“
Tatsächlich gibt es wohl wenige Gruppen, die so lange brauchten, um sich vom losen Kollektiv zur echten Einheit zu mausern:
„Esfehlte uns einfach das Selbstbewusstsein. Ich hatte vorher gerade mal im Kirchenchor gesungen – und schon Angst, wenn ein Solo verlangt wurde. Glasgow ist klein, man kennt sich und kenntauch diecoolen Bands. Wiraber waren nur ein zufällig zusammengewürfelter,ziem!ich langweiliger Haufen, der zufällig mehr und mehr Erfolg hatte.“Vieleicht hat Murdoch deswegen nun die Zügel in die Hand genommen und beschlossen, hinter seinem Schutzschild aus Anonymität hervorzutreten. Bleibt noch die Gretchenfrage, ohne die man einen sportbegeisterten Schotten nicht ziehen lassen darf: Celtic Glasgow oder Glasgow Rangers? Murdoch grinst und schüttelt den Kopf. Nein, er spaziere einfach regelmäßig an den großen Stadien vorbei, runter zum Bolzplatz einer völlig unbekannten Amateurmannschaft. Independent eben. »>
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