Neue Töne aus Österreich – Austro-Pop


„Wer nicht weggeht, kommt nie an. Wer nie ankommt, bleibt allein…“ (Leider keine Millionäre). Was ich in Wien will? Ambros, Danzer, Hirsch, Fendrich, Heller, Morak – das kann’s doch nicht gewesen sein. Irgendwas muß die New Wave doch auch in Österreich in Bewegung gebracht haben, außer den Donauwellen.

Seit einiger Zeit werden süddeutsche Fernsehzuschauer durch die österreichische Musiksendung „Okay“ über Austro-Pop informiert. Und Chuzpe hatten letztes Jahr ihren nationalen Hit mit einer Version von Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“. Und jetzt also diese hochoffizielle Einladung zu „Der gute Ton“, einer Präsentation des Schallter-Labels aus Wien. Das ist nämlich ab sofort auch in Deutschland über den Ariola-Vertrieb im Handel und zwar mit 6 Mini- bzw. Voll-LPs: Hallucination Company: VISION, TOM PETTINGS HERTZATTACKEN, Minisex: BIKINI ATOLL, Rosachrom: AUSSERHALB DES KREISES, Hansi Lang: KEINE ANGST, Leider keine Millionäre: WAS ZÄHLT.

Rudi Nemeczek von Minisex und Schallter-Mitbegründer, spottet: „Da hast Du dir wirklich ein echt regionales Thema ausgesucht!“, was mich beruhigt. Das Ereignis fand an einem Märztag im RPV-Studio, Wien, statt. Schon der Eingang erinnert mich daran, daß nicht weit von hier der Balkan beginnt. Wien, das ist für mich immer wieder eine Mischung aus Ostblock-Tristesse und Psychoanalyse-Dekadenz.

Das Fernsehen dreht das Mammutprogramm, zwischen fliegendem Bühnenwechsel hektische Interviews. Wir von der Presse laufen treppauf, treppab, mal hinter diesem, mal hinter jenem Musiker her“

„… von da nach dort nach da…“, wie Rosachrom singen. Die Stimmung ist euphorisch, fiebrig, überdreht. „Schließlich ist so etwas die letzten 10 Jahre noch nie passiert“, kommentiert Rudi die bundesrepublikanische Veröffentlichungsfeier. Wir dürfen Österreich auf keinen Fall an irgendeinem anderen europaischen Land messen, wenn’s um Rockmusik geht, schon gar nicht an der Bundesrepublik. Was da zwischen grauen Mietskasernen und Poeten-Cafehäusern sprießt, mag Freunden der Neuen Deutschen Welle als brav, liebenswürdig, harmlos und provinziell erscheinen. Die Schallter-Bands vertreten keine konforme Austro-Welle, sondern Rock und Pop zwischen alt und neu.

Die einzigen Außenseiter scheinen Leider keine Millionäre zu sein, ein loses Konzept, an dem Mitglieder der Folklore-Gruppe Geduldig & Thimig, Dichter und anderes beteiligt sind. Ankündigungen wie folgende auf ihrem Mini-Album „Künftige Projekte werden vermutlich unter dem Signet ‚Leider keine Funktionäre‘ erscheinen,“ stehen für ihren Humor. Wort und Klang sind wichtiger als avantgardistischer Dada Schmäh. Doch sie treten an diesem Abend leider nicht auf. Rudi: „Weil sie nicht richtig spielen können und dann gesagt haben ‚Kunst kennt keine Kompromisse‘. Sie wollten nämlich zwei Minuten lang das Licht im Saal ausschalten und das haben die Fernsehleute abgelehnt.“ Ein Symptom der Zeit, daß man ausgerechnet auf Bands steht, die es gar nicht gibt?

Am unverständlichsten wird New-Wave-Puristen jedoch die Kooperation mit der Hallucination Company und dem Solo-Projekt von Hansi Lang (Sänger der Hallucination Co.) erscheinen. Hippie-Rocktheater, wie bitte, was? Der Ludwig Adam, besser als Wigerl bekannt, sieht keinen Grund für Generationskonflikte. „Ich bin ein Rockfossil, na und? Der Ian Anderson ist auch eines. Wir haben vier Jahre lang Angebote abgelehnt und auch keinen guten Ruf deshalb. Aber mit diesen jungen Bands und dieser Firma klappt das.“

Vaterfigur Wigerl, dessen Rockrevue auch die Fans der deutschen Club-Szene erfreut, über die erste LP der Company: „Wir haben aus unserem Gesamtprogramm von ca. 60 Titeln die rockigsten ausgesucht und VISION wie eine Boulevardzeitung aufgebaut: Der Wahnsinn auf einer Seite, Schlag auf Schlag, konträr.“

Eberhard Forcher, früher Journalist, heute Anführer der Tom Pettings Hertzattacken hingegen bedauert es unendlich, nicht als Elvis Costello auf die Welt gekommen zu sein und kompensiert das durch „fladern“, also klauen und kopieren. Sein Handwerk hat er bei einem Amerikaaufenthalt gelernt. Zuerst wollte er die hochverehrten Residents besuchen, dann ließ sich der Osttiroler von Terrell Wynn, dem Gitarristen der Jim-Carroll-Band, die Grundbegriffe des Gitarrenspiels beibringen: „Die Energie der Leute hat mir gefallen, die trotz minimaler Kenntnisse auf die Bühne gegangen sind. Ich habe seitdem nur kopiert, bin aber inzwischen so weit, daß ich sage, lieber besser kopiert, als schlecht original.“ Live machen Tom Pettings Hertzattacken wirklich Spaß, eine echte Pub-Band, die nicht anstrengt, aber auch nicht langweilt.

Ähnlich ist es bei den Minisex. Rudi: „Es gibt hier ja wenig Konfrontationen, man bewegt sich in der Mitte. Das Heute ist die Norm und nicht ’no future‘, wir lehnen Botschaften, wie es Rosachrom macht, ab. Humor, Schmäh, das soll gemacht werden und nicht Musik für die Arbeitergewerkschaft.“

Österreichs Musiker leiden nicht nur unter dem Liedermacher-Trauma, sondern auch am Jazz. Rudi: „Bei uns hat es immer nur Jazz gegeben. Als Rockmusiker warst du Außenseiter, Exot. Hier ist es schon sehr originell, daß wir deutsch singen und Sachen, die nicht viel Sinn haben, die lustig, zynisch und wild sind. Wenn sich hier einer auf der Bühne beim Singen bewegt, dann hält man ihn schon für einen aus der psychiatrischen Klinik, aus dem Panoptikum. Und es ist schon sensationell, wenn man John McLaughlin nicht nachspielen kann und trotzdem auf die Bühne geht.“ Eberhard: „Rockmusik, das war wie eine Entschuldigung oder schlechte Ausrede, weil man keinen Jazz spielen kann.“

So beginnt der historische Streifzug, mit denen tags darauf Rudi und Eberhard die Gespräche des Vorabends sortieren. Bescheidenheit tut not in der Diaspora, wo kann man denn in Österreich schon auftreten? In Wien, ja, in der In-Discothek U4, in der Arena „einer eigenartigen Symbiose aus Anarchie und Kommerz“, im Metropol, „das hat die Parole, das Metropol ist Hans Moser und John Lennon“, in einem kleinen Kulturzentrum und einem Tischtennisraum. Minisex und Tom Petting gehören zur Speerspitze der österreichischen Bands, zu den arrivierten, die ein volles Haus garantieren. Trotzdem, man träumt von Deutschland, wo’s die Liedermacher geschafft haben, und der Begriff Austro-Pop verursacht allgemeines Unbehagen. Rudi: „Das ist für uns eher eine Abwertung, der wurde vor 10 Jahren für Leute wie Peter Cornelius oder Waterloo & Robinson geprägt. Die meisten Bands setzen sich davon ab.“

Z. B. Rosachrom, die ernsthafteste oder soll ich sagen elitärste Band im Verein? Zu ihren Klangexperimenten machen sie die ansonsten nicht so dominanten Texte über die böse moderne Welt und Dr. Freud. Auch Hansi Lang quält sich mit der Zivilisations-Angst, die anderen befassen sich lieber mit Liebe, Sex und Autos. Der Zentraliriedhof ist passe, so wie es überhaupt problematisch mit der Tradition scheint. Das Wienerlied, der Walzer, die Schrammein, die Zigeunermusik, diese musikalische Stadt mit europäischer Geschichte, Dichtung, Kabarett, sind das keine Themen, keine Inspirationen – wenn schon Ultravox mit “ Vienna“ Welterfolge feiern? Doch über die wollen wir ja nicht reden.

Eberhard: „Ich glaube, daß der Wiener oder Österreicher überhaupt keine Identität besitzt. Das bedeutet den Jungen nichts mehr.“ Und Rudi meint: „Die Phase kommt bei uns wohl erst, wir sind so weit zurück. Und das Kabarett und Wienerlied haben die Liedermacher in Beschlag genommen. Nur sind das halt Versuche, die man sich nicht leicht anhören kann, weil sie immer wieder versuchen, unheimlich polemisch zu werden und immer mit diesem 08/15-Schmäh kommen.“

Imitationen am Donaustrand ich könnte auch sagen, jede von diesen Bands könnte irgendwo auf dieser Welt entstehen. Eberhard: „Ja, das ist ein geläufiger Vorwurf, aber das wichtigste ist doch, daß hier endlich einmal Leute Musik machen, die nicht aus dieser Jazz-Rock-Ecke kommen. Das schlimmste, was einem bisher passieren konnte, war, wenn einer sagte ‚Das klingt total österreicherisch‘ oder ‚für österreichische Verhältnisse ganz gut.“ Wien ist erst im Aufbruch, die Neue Deutsche Welle entstand, entgegen allen anderslautenden Gerüchten, auch nicht über Nacht. Das wissen auch Rudi und Eberhard: „Die Bands, die gestern gespielt haben, haben in der Wiener In-Szene sowieso keinen guten Ruf. Wir sind ja schon populär, aber künstlerisch nicht wertvoll. Das sind so junge Bands aus der Wiener Neustadt wie X-beliebig oder Blümchenblau. Nur, die haben ja noch weniger Eigenidentität, die kopieren nämlich die NDW aufs i-Tüpferl. Wenn hier einer sagt, ihr spielt wie Grauzone, dann ist das ein irres Kompliment und jeder zieht den Hut vor dir. Für uns ist das ein Kompliment, wenn wir mit deutschen Gruppen verglichen werden.“

Zu einem echten Regionalbericht gehört auch der Faktor Kommunikation, das Verhältnis der Musiker untereinander. Rudi: „Das ist so gut oder schlecht wie überall. Seit es Plattenverträge gibt, interessiert sich keiner mehr für den anderen.“ Die Euphorie der Wiener Musiker mag den hierzulande inzwischen recht verwöhnten Kollegen ziemlich naiv erscheinen, auch vielleicht so nachdenkliche Sätze wie der von Eberhard: „Es ist zu schnell gegangen. Ich seh‘ mich plötzlich mit Sachen konfrontiert, über die ich eigentlich gar nicht nachdenken will, z. B. wie wollt ihr das in Deutschland verkaufen?‘ Erstmal, indem sie hier Konzerte geben, die Münchner Alabama-Halle plant z. B. für den Juni ein Wien-Festival. Die Donau-Wellen plätschern noch leise, und stolze Liebeserklärungen an die eigene Stadt, wie es die Berliner forcieren, stammen in Wien immer noch aus der Kaiserzeit.