The Empire Strokes Back
In New York trägt man noch immer Röhrenjeans, und Schuld daran sind diese fünf Herren: Seit ihrem Debüt 2001 werden THE STROKES als Heilsbringer des Rock gefeiert. Doch in den vergangenen fünf Jahren hörte man kaum etwas von ihnen – allenfalls von Soloausflügen und einem Sänger, der nicht im Studio auftauchte. Trotzdem ist das neue Album fertig geworden. Ein Gespräch mit Julian Casablancas über das Comeback des Jahres.
New York, ein Café im East Village. Julian Casablancas, ohne Sonnenbrille und erschreckend nüchtern, fragt, ob ich Zucker zum Espresso nehme. „Gerne, Zucker ist gut“, antworte ich. Während ich umrühre, beobachtet mich der 32-jährige Sänger und Songwriter der Strokes aufmerksam. Schließlich sagt er : „Es gibt ein kurzfristiges und ein langfristiges ‚gut‘, unglücklicherweise haben die beiden oftmals nicht viel gemein …“
Sie sprechen über den Zucker, den ich gerade in meinen Espresso gerührt habe?
Ja. Und über andere Substanzen, die im ersten Moment positiv erscheinen mögen, langfristig aber kaum einen Sinn ergeben …
… wie Alkohol oder andere Stimmungsaufheller.
Auch da erinnert man sich nach ein paar Jahren nicht mehr an die großartigen Nächte, sondern nur noch an den Kater am nächsten Tag.
Sie trinken kaum mehr Alkohol, oder?
Nicht mehr so wie früher, ja.
Ihr Hang zu exzessiven Nächten war geradezu legendär.
Wie gesagt: Ich erinnere mich fast nur noch an den Kater am nächsten Tag. Als ich aufgehört habe, so viel zu trinken, dauerte dieser fast ein Jahr. Aber wir hatten Spaß zusammen, zumindest bilde ich mir das ein.
Herr Casablancas, wie fühlt es sich an, wieder Teil der großen Pop-Verwertungsmaschine zu sein?
Wenn die Maschine so geschmeidig tuckert wie heute, geht es mir gut! Kronleuchter in der einen Ecke, die Früchte der harten Arbeit in der Hinterhand. Nein, es geht mir gut. Und der Band auch: Wir sind stärker als jemals zuvor.
Fünf Jahre sind in Ihrem Geschäft eine kleine Ewigkeit: Hatten Sie gar keine Angst, als Band in Vergessenheit zu geraten?
Nicht, seit sie uns vergangenes Jahr für einen ziemlich hohen Betrag als Headliner des Reading Festivals gebucht haben. Obwohl da das neue Album nicht mehr war als eine wünschenswerte Notwendigkeit.
Dieses ist nun tatsächlich fertig, ein gelungenes Comeback. Was würde denn der Is This It-Casablancas von Angles halten?
Er würde sagen: Sei selbstbewusster. Und ich würde antworten: Schieß dich nicht immer so ab, dann kannst du es mehr genießen. Die Mädchen, die ganze Feierei – was hast du davon, wenn du dich danach an nichts mehr erinnerst?
Dabei war das doch Ihr heimliches mission statement: Die Strokes traten an, um den Rock ’n‘ Roll zu retten.
Ja, aber es wäre doch auch wünschenswert, sich danach daran zu erinnern. Mir war früher sehr viel egal, wenn ich getrunken hatte. Dementsprechend konnte ich es nicht genügend schätzen.
Fünf Jahre sind vergangen seit dem letzten Album. Warum mussten wir so lange darauf warten?
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es nicht so lange gedauert. Ich war bereit. Doch dann mussten meine Bandkollegen erst einmal Soloprojekte verwirklichen.
Woraufhin Sie auch ein Soloalbum veröffentlichten. Eine Retourkutsche?
Es blieb mir ja nichts anderes übrig. Meine Sicht der Dinge hat sich in den vergangenen fünf Jahren extrem gewandelt. Und vielleicht war das notwendig, um wieder zusammenzufinden.
Vielleicht wollten Ihre Freunde einfach einen ihrer eigenen Songs auf einem Album hören?
Sie klingen beinahe so, als hätte ich diesem Anspruch im Weg gestanden.
Immerhin schrieben Sie früher jede Note im Alleingang. Bis hin zu den Gitarrensoli.
Das war dieses Mal nicht so. Deswegen heißt das Album ja auch Angles, jeder sollte seine Ideen einbringen, ich habe mich ein wenig zurückgelehnt und am Ende alle Ideen miteinander verstrickt. Davon habe ich immer geträumt, von Anfang an. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ja, früher schrieb ich alle Strokes-Songs. Aber nicht, weil ich wie ein Geschmacksdiktator das so wollte. Ich forderte die anderen ständig dazu auf, sich einzubringen. Und was kam? Nichts. Stattdessen nehmen sie Soloalben auf …
… und wurden dadurch selbstbewusster. Wenn man sich Angles anhört, hat sich das gelohnt.
Das mag sein. Und ja, ich bin stolz auf das Ergebnis! Das Album ist ein wenig poppiger als gedacht, dennoch speziell, außergewöhnlich und zeitlos genug. Ich habe das Gefühl, dass sich jetzt die Mühen der vergangenen Jahre ausbezahlen könnten.
Die Musik mag poppiger klingen, Ihre Zeilen durchzieht jedoch nach wie vor ein düsterer Unterton: Die erste Single heißt dementsprechend: „Under Cover Of Darkness“.
Mich faszinieren seit jeher diese militärischen Fachbegriffe: in Deckung gehen, Schutz suchen in der Dunkelheit. Mehr jedoch noch der Gedanke, sich für Monate zu verabschieden, von den Freunden, seinem Leben, Kindern, seinem Partner. All das zurückzulassen, um ins Ungewisse vorzudringen. Ein sehr intensives Gefühl.
Eines, das Sie schon in jungen Jahren auf eine gewisse Art kennenlernten, als Ihre Eltern entschieden, Sie auf ein Eliteinternat in der Schweiz zu schicken.
Es war furchtbar dort, furchtbar langweilig. Die Schule an sich war eigentlich nett …
… nett kann auch gut und schlecht sein …
… genau wie Zucker, da haben wir es wieder. Nein, es waren die Mitschüler, mit denen ich nichts anfangen konnte.
Aber dort trafen Sie doch Albert Hammond Jr., Ihren späteren Strokes-Bruder.
Ja, aber mit ihm konnte ich damals auch nichts anfangen. Er war ein paar Jahre jünger als ich, zwei oder so, was damals eine zu große Barriere war. Der einzige Grund, warum ich ihn überhaupt wahrgenommen habe, war die Tatsache, dass er der einzige andere Amerikaner auf der ganzen Schule war. Immerhin war ich der Einzige dort, der nett zu ihm war.
War es eine Entscheidung Ihres Vaters oder Ihrer Mutter, Sie in die Schweiz zu schicken?
Die meines Vaters. Er war ebenfalls dort zur Schule gegangen und fand es toll. Aber wir sind eben ziemlich unterschiedlich. (Pause) Hmm, vielleicht aber auch nicht. (Pause) Ich wuchs bei meiner Mutter auf, es war also eine Entscheidung von ihm, die er aus der Distanz fällte. Meine Mutter war nicht wirklich glücklich darüber.
Hat er Sie dorthin geschickt, weil Sie schon in jungen Jahren in der Schule dadurch auffielen, dass Sie morgens vor Unterrichtsbeginn Alkohol tranken?
Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass ich einen anständigen Abschluss mache. Sie hatte zu jung die Schule verlassen, und dies war ihr einziger großer Wunsch. Es stimmt mich immer noch traurig, dass ich ihr diesen nicht erfüllen konnte. Ich war wirklich schlecht in der Schule.
Immerhin führt die Dwight School, die letzte Schule, die Sie besucht haben, Julian Casablancas als prominenten Alumni auf. An zweiter Stelle, vor Paris Hilton und einem Mitbegründer der Lehmann Brothers.
Das wusste ich nicht. Wahrscheinlich ist es alphabetisch geordnet.
Truman Capote steht weit unter Ihnen.
Oh, das ist interessant. Ich dachte, die Schule sei nicht so alt.
Sie sind in Manhattan aufgewachsen. In Deutschland kennen wir zwei prominente Variationen, die davon erzählen, in New York Teenager zu sein. Trinken im Park klingt eher nach „Kids“, Privatschule auf der Upper West Side eher nach „Gossip Girl“.
Meine Jugend war definitiv eher „Kids“ als „Gossip Girl“! Meine Freunde und ich hingen auf der Straße ab, spielten Basketball im Park, das Übliche halt. Wir waren definitiv kein Teil irgendeines Jetsets. Von daher: „Kids“ – auch wenn ich den Film nicht sonderlich mag.
Von der Glitzerwelt Ihres leiblichen Vaters (Gründer der Elite-Model-Agentur – Anm. d. Redaktion) haben Sie weniger mitbekommen als von der Welt, in der sich Ihr Stiefvater, der Maler Sam Adoquei, bewegte?
Absolut. Ohne ihn würde ich heute nicht hier sitzen. Er war der erste Erwachsene, der mir etwas beibringen konnte. Als Kind will man nicht hören, was Eltern und Lehrer einem erzählen. Bei ihm war es anders. Alles, was er sagte, klang für mich so wahr. Jeder Satz ergab Sinn. Und das nicht nur im Bereich Kunst, nein. Er war es, der mir die Lektion mitgab, dass nur der, der am härtesten für eine Sache, die er liebt, arbeitet, der Beste sein kann. Das mag banal klingen, und normalerweise verdreht man die Augen, wenn jemand eine solch banale Wahrheit ausspricht, bei ihm jedoch klang es anders. Er war sicher so etwas wie mein Held, jedenfalls ein Vorbild, damals.
War es Ihnen wichtig, für Ihre Leidenschaft auch berühmt zu werden?
Das weiß ich gar nicht. (Pause) Vielleicht mit 16 schon, so wie es sich eben jeder 16-Jährige hinter verschlossener Tür wünscht, berühmt oder einmalig zu sein, anders eben. Ich wollte vor allem gut in dem sein, was ich mache. Und offen gestanden auch davon leben können. Aber es gab keinen Fünfjahresplan oder dergleichen.
Sie sprachen gerade schon von Helden: Welche anderen Helden begleiteten Sie in Ihrer Jugend?
Musikalisch waren sicher Nirvana und Pearl Jam wichtig für mich. Und durch deren Musik entdeckte ich die 80er, Punk, all das.
Was bewegte Sie dazu, ein Instrument zu spielen? Sie hätten auch Ihrem Stiefvater in die Malerei folgen können.
Ich war so gelangweilt in der Schweiz, dass ich bei einem Theaterstück mitmachte. Ich spielte einen Schaffner, eine kleine Rolle. Beim zweiten Stück übernahm ich dann die Hauptrolle in Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“.
Sie hätten auch Schauspieler werden können.
Mit 14 fand ich die Schauspielerei tatsächlich spannend, zumindest für ein paar Monate. Mich störte jedoch diese Leere daran. Selbst große Schauspieler wie Marlon Brando konnten diese Leere nicht aufwiegen. Man spielt eben nur die Rolle eines anderen.
Also entschieden Sie sich, lieber die Gitarrensoli für andere zu schreiben?
Nicht auf diesem Album, nein.
Sind Sie eigentlich ein Kontrollfreak?
Heute weniger.
Ein Perfektionist?
Eher.
Denken Sie manchmal zu viel über die Dinge nach?
Durchaus. (lacht) Mir fällt es immer schwer, den Punkt zu erkennen, an dem etwas fertig ist. Aber die Fähigkeit, diesen Punkt zu treffen, ist maßgeblich dafür verantwortlich, ob etwas großartig oder mittelmäßig wird.
Dabei wirkt all das, wofür die Strokes stehen, immer so unfassbar cool, so lässig, fast schon zu abgewichst.
Darum geht es auch: Je härter man für etwas arbeitet, desto leichtfüßiger wirkt es.
Vielleicht war dies das Manko bei First Impressions On Earth: Vielleicht haben Sie zu lange daran rumgeschliffen.
Möglich. Wir haben damals versucht, das zu erreichen, wo wir jetzt angekommen sind. Und sind daran gescheitert. Ich wollte die anderen damals schon in den kreativen Prozess einbeziehen, aber es war schier unmöglich, sie zu motivieren. Die Attitüde stimmte nicht.
Problematisch war sicher auch die Tatsache, dass Sie als fünf Freunde angetreten sind und es einen Modus Operandi gab, der sich zuvor bewährt hatte.
Schon, aber ich hatte, wie gesagt, diesen Traum, dass wir uns dorthin entwickeln. Es ging nie ums Geld oder darum, berühmt zu sein. Wir wollten etwas Cooles erschaffen. Zusammen.
Es war sicher nicht gerade einfach, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit erwachsen zu werden – und darüber hinaus Freunde zu bleiben.
Menschen und Freundschaften verändern sich, egal, ob man in der Öffentlichkeit steht oder nicht.
Als Is This It rauskam, waren Sie und die anderen Strokes Anfang 20, heute sind Sie Anfang 30.
Dazwischen liegen die zehn Jahre, in denen sich Menschen wahrscheinlich am meisten verändern, in der sich die Persönlichkeiten am meisten entwickeln. Der eine geht immer noch gerne aus und schaut sich Sportübertragungen an, der andere will ständig in den Urlaub fahren, man kennt das ja. Mittlerweile haben wir teilweise einfach anders gelagerte Interessen, hängen mit unterschiedlichen Leute ab, und manchmal wundert man sich über den einen oder anderen Kommentar, den jemand ablässt. Dennoch glaube ich, dass wir heute besser zusammenarbeiten können als jemals zuvor. In einem Büro sind schließlich auch nicht alle die besten Freunde – und trotzdem kann man auf einem professionellen Level hervorragend harmonieren.
Fühlen Sie sich manchmal schon erwachsen?
Es gab diesen einen Moment: Ich spielte mit ein paar Kids in Dänemark Fußball – wir waren im Heimatort meiner Mum -, und ich wollte unbedingt ein wenig kicken, also spielte ich mit den Teenies auf dem Hartplatz. Irgendwann kam mir das jedoch komisch vor – also beendete ich das Ganze, bevor irgendwelche Eltern ankommen und denken könnten, ich sei irgend so ein Typ, der ihren Kindern nachstellt.
Haben Sie jemals ernsthaft daran gedacht, das Experiment The Strokes vorzeitig zu beenden?
Davon halte ich nichts. Warum sollte man eine Band auflösen? Man kann sie auch einfach ruhen lassen. Deswegen ist die Option, sich als Solokünstler zu verwirklichen, auch so spannend: Man will ein T-Shirt ohne Logo drucken oder ein Video unter Wasser drehen? Go for it! Niemand hält einen kreativ zurück. In letzter Konsequenz ist die Band aber genau deshalb so wichtig für mich: weil ich sehr wohl zu schätzen weiß, welches Projekt mir welche Möglichkeiten offenhält.
In gewisser Weise markieren Is This It der Strokes und die Auflösung der White Stripes Anfang und Ende der Indie-Nullerjahre. Sind die Strokes die letzten Überlebenden der eigenen Revolution?
Es gibt noch viele andere Überlebende, gerade jetzt schneiden wir nicht gerade schlecht ab. Denken Sie nur daran, wer kürzlich den wichtigsten Grammy gewonnen hat: Arcade Fire! Bitte fragen Sie mich jetzt nicht, wer diese Countrytypen waren, die so abgeräumt haben. Ausschlaggebend für mich war der Grammy für Arcade Fire. Seither frage ich mich, ob es tatsächlich eines Tages dazu kommen könnte, das sich Qualität am Ende durchsetzt und nicht der Schrott, mit dem am meisten Geld verdient werden kann, das Zeug eben, das bei iTunes lauthals rausgeschleudert wird. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen iTunes, anfangs war es total cool, aber heute geht es nur noch darum, am meisten zu verkaufen. Genau wie früher, als noch Musik lief auf MTV.
Ich dachte immer, YouTube wäre das neue MTV.
Nicht wirklich: Auf YouTube kann man schauen, was man will. Es ist wie MTV in gut.
Aber man muss selbst aktiv sein: Man kann sich nicht berieseln lassen, sondern muss sein eigener Programmdirektor sein, selber filtern.
Entweder das oder abwarten, was die Playlists der anderen für einen rausfiltern. Genau wie in der Musik: Es gibt mehr als jemals zuvor, aber es ist schwieriger geworden, das Gute darunter zu finden.
Was in gewisser Weise Segen und Fluch der digitalen Revolution der Nullerjahre darstellt.
Absolut.
In welcher Weise hat sich Ihre Heimatstadt in der vergangenen Dekade verändert?
Es gibt mehr Starbucks und weniger dunkle Bars als früher!
In vielen Jahrzehnt-Rückschauen war Is This It das wichtigste musikalische Ereignis der Nullerjahre.
Hmm, ja. Und?
Sie wurden als der Heilsbringer des Rock gefeiert und Is This It als das Album, das New York musikalisch zurück auf die Landkarte brachte.
Ich sage es mal so: Meinetwegen waren wir die Retter des New-York-City-Rock in den Augen von jemandem, der nicht aus New York City kommt. New York ist so groß und so eklektisch, dass wir hier allerhöchstens in einem Viertel als Retter des Rock gelten dürften. (lacht) In anderen Gegenden war etwas anderes mit Sicherheit spannender. Und genau das macht die Schönheit und den Reichtum von New York aus.
In London hieß es, die Libertines sind die Strokes von England, in den Südstaaten hieß es, die Kings of Leon sind die Strokes des Südens … Vielleicht war der Impetus, den die Strokes vorgaben, wichtiger und vor allem größer als die Strokes an sich.
(Pause) Vielleicht haben wir ein paar Bands inspiriert, ihren eigenen Weg zu gehen.
Und eine Horde von Hipstern, Röhrenjeans zu Chucks zu tragen.
So sahen damals alle unsere Freunde aus.
Sie erwähnten gerade die Countryband, die fünf Grammys gewonnen hat: Lady Antebellum. Für deutsche Beobachter eine unbekannte Größe.
Keine Ahnung, wer das ist. Und ich bin Amerikaner. Wahrscheinlich irgendein Trupp, der bei Müttern, die gerne Broadwaymusicals hören, hoch im Kurs steht.
Sind Sie nicht vor weniger als einem Jahr Vater geworden?
Okay, vielleicht sollte ich sagen, bei Großmüttern. (lacht)
Wie gefällt sich denn Ihre Mutter in der neuen Rolle?
Sie ist glücklich.
Und wie geht es Ihnen als Vater?
Genauso! Unser Junge ist fantastisch, geradezu magisch, wirklich das Beste, was mir jemals widerfahren ist.
Fällt es Ihnen leicht, Vater zu sein?
Eine schwierige Frage! Mir fällt jedenfalls auf, wie viele Leute, auch gute Freunde, sich doch ziemlich merkwürdig verhalten, wenn es darum geht, die Rolle als Eltern anzunehmen: das ganze überflüssige Drama, die schlaflosen Nächte, diese ganze Hilflosigkeit, wenn das Kind anfängt zu schreien …
… was sicher an einer Überforderung liegt.
Ja, aber die ist irgendwie auch unnötig. Es geht doch darum, sich auf seine Instinkte zu verlassen: Wenn das Baby schreit, will es entweder essen, frische Windeln, schlafen oder einfach auf den Arm genommen werden. Ich verstehe wirklich nicht, warum so viele Eltern hilflos danebenstehen und zusehen, wie das Baby schreit. Anstatt zu diskutieren, sollte man es einfach mal auf den Arm nehmen. Noch schlimmer sind Eltern, die ihren Kindern gleich einen Stundenplan aufdrücken. Was soll das? Wenn Kinder so jung sind, geht es nicht um ein Curriculum, sondern um Aufmerksamkeit und Vertrauen, denn die bestimmen, wie später das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wird. Noch kann ich über Eltern lachen, die ihre Kinder aus einer Hilflosigkeit heraus verhätscheln und dennoch keine gesunde Beziehung zu ihnen zustande bekommen. Von daher denke ich schon, dass gewisse Regeln und Formen wichtig sind. Damit meine ich nicht, fies und streng und kalt zu sein, sondern den Kindern das zu geben, was sie brauchen – im Gegensatz zu dem, was sie wollen. Selbstverständlich ist das nicht einfach, und trotzdem hoffe ich, den richtigen Gradmesser zu finden. Geschenke und materielle Erfüllung ersetzen nun mal weder Zuneigung noch echtes Interesse.
Haben Sie jemals daran gedacht, Cal Casablancas außerhalb Manhattans großzuziehen?
Darüber haben wir gesprochen, selbstverständlich. Aber, entgegen aller Erwartungen, gibt es auch in Manhattan gute Nachbarschaften, um Kinder großzuziehen. Auch wenn man diese suchen muss.
Fürchten Sie nicht, dass andere Eltern, die nicht um die Untiefen des Lebens wissen, ruhiger schlafen können als Sie?
Wie bitte?
Ist es Fluch oder Segen, dass Sie um die Gefahren wissen, die dort draußen auf Ihren Sohn warten?
Sie meinen Drogen und dergleichen?
Ja.
Geht es nicht vielmehr darum, frühzeitig eine ehrliche und gesunde Beziehung zum Kind aufzubauen? Dann kann man auch über solche Dinge reden. Wenn man nicht frühzeitig eine gute Basis aufbaut, bringt es mit Sicherheit nichts, einem Kind, wenn es zehn Jahre alt ist, anzufangen zu erklären, warum dies oder jenes gut, schlecht oder wie auch immer ist. Dann ist ohnehin alles verloren. Nehmen Sie meinen Sohn: Er ist noch kein Jahr alt und kann noch nicht sprechen. Und trotzdem lernt er gerade jetzt, wie die Menschen in seinem Umfeld agieren, wie sie sich verhalten, was passiert. All das sind prägende, lebenswichtige Erfahrungen. Den größten Fehler, den Eltern meiner Meinung nach machen, ist, zu glauben, dass man Kinder erst später erziehen muss. Was soll dabei rauskommen? Dann muss man sich nicht wundern, wenn kein Vertrauen herrscht und das Kind denkt: Was willst du eigentlich von mir?
Haben Sie sich aktiv auf die Vaterrolle vorbereitet?
Sie wollen hören, ob ich irgendwelche Bücher gelesen habe? Natürlich habe ich in ein paar reingeschaut. Meine Frau hat das alles ziemlich gut im Griff. Wichtiger als die Bücher waren jedoch die Gespräche mit Menschen, deren Meinung mir wichtig ist. Mein Stiefvater war mir, wieder einmal, eine große Hilfe, ein Mentor geradezu. Schließlich geht es darum, eine gesunde Balance zu finden. Übrigens wundert es mich zunehmend, dass nicht mehr Menschen bereit sind, einen Mentor zu suchen und auf den Ratschlägen aufzubauen, die dieser einem schenkt. Letztendlich kann man doch nur aus Erfahrung lernen.
Haben Sie deshalb Ihr Soloalbum Phrazes For The Young genannt? Weil Sie etwas weitergeben wollten, anstatt ein weiteres Mal Sprachrohr einer Jugend zu sein?
Interessant, dass Sie das jetzt sagen. Und in gewisser Weise haben Sie recht. In erster Linie fand ich den Titel cool, den Klang und all das – in zweiter Linie wollte ich jedoch auch etwas weitergeben, von dem ich gewünscht hätte, es mit 15 gesagt zu bekommen. Ich hoffe inständig, das klingt jetzt nicht zu vermessen. Wahrscheinlich wäre „What I Whish I Had Known“ der angebrachtere Titel gewesen.
Angles erscheint dieser Tage – was wird danach kommen? Planen die Strokes eine World-Domination-Tour?
World Domination in jedem Fall, Tour eher nicht. (lacht) Ich kann mir derzeit wirklich nicht vorstellen, für etliche Monate am Stück einfach abzuhauen. Vor allem nicht angesichts der Tatsache, dass sie uns heute für einen Auftritt in Reading oder beim Coachella Festival mehr bieten als früher für eine 30-tägige Tour. Und ein solches monatelanges Engagement würde in meinem Fall heute fast schon militärische Dimensionen annehmen.
Wo wir wieder beim Thema von „Under Cover Of Darkness“ wären.
Absolut. Ich kenne etliche Menschen, die zum Militär mussten, ihre Kinder zurückließen. Dann, nach Jahren in der Hölle, kamen sie zurück, und die Freundin sagte nur: Sorry, mein Leben geht weiter. Ohne dich! Die Vorstellung klingt für mich wie der schlimmstmögliche Arschtritt, den das Leben bereithalten kann. Fast schon etruskisch.
In Deutschland gab es bis vor Kurzem eine Wehrdienstpflicht.
Die hatten wir in Amerika zu Zeiten des Vietnamkrieges auch, den sogenannten draft.
Was weniger amüsant klingt als eine Tour der Strokes! Zumindest stellt man sich die wilder vor.
Auf Tour zu gehen ist einmalig und macht immer noch Spaß. (Pause) Aber theoretisch klingt es spannender, als es dann letztendlich ist: all die Flughäfen, das Warten, ständig und überall, jeden Abend dieselben Songs.
Slash erzählte mir, dass eben jene Entfremdung der Grund gewesen sei, sich wieder und wieder zu betäuben …
… und er hat recht. Auf Tour zu gehen ist heute für mich cool für ein paar Minuten – früher war es spaßig für eine Handvoll Stunden. Ein eigentlich nicht vergleichbares Szenario bei den Rekruten: Die meisten wollten nur ein paar Dollar extra verdienen, um später studieren zu können. Und auf einmal werden sie in irgendwelche Kriegsgebiete verschickt. Natürlich wäre es noch schlimmer, einfach so eingezogen zu werden, aber trotzdem!
Wofür eben jene Jetzt-Welt verantwortlich ist, die seit Is This It konstruiert wurde: Die politischen Nullerjahre dauerten meiner Meinung nach von 9/11, Bush, Obama und dem Crash der Wall Street bis hin zu den Umstürzen in der arabischen Welt dieser Tage.
Und nichts davon geschieht einfach so. Alles erklärt sich aus der Geschichte heraus.
Interessieren Sie sich für politische Schlagzeilen?
Ich versuche, nicht dem täglichen Nachrichtenwahnsinn zu verfallen. Eben, weil ich fest daran glaube, dass nichts, was in diesem Moment geschieht, nicht aus der Geschichte, der Vergangenheit heraus erklärt werden kann. Ich versuche, die Zusammenhänge zu sehen, nicht diese übertragenen Bilderfluten, wo es letztendlich den meisten Sendern am Ende doch nur darum geht, wie hoch die Werbeeinnahmen sind, die damit gerade generiert werden.
Selbst wenn in Ägypten die Welt aus den Angeln gehoben wird.
Äußerst spannend! Und es scheint ansteckend zu sein. Tunesien, Ägypten, Libyen … Man könnte fast schon von einer Dominotheorie im nicht kommunistischen Sinne sprechen. Was mich fasziniert und glücklich macht, ist die Tatsache, dass in Ägypten keine 300 Menschen für den Umsturz ihr Leben opferten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht, dass 300 Menschen wenig wären – dennoch hat es etwas Ghandihaftes: Das Volk stand so lange einfach nur da, zeigte Präsenz und darin seinen Unwillen – und löste so eine Revolution aus, indem es das herrschende Regime zu einer Reaktion zwang. (Pause) Leichter gesagt als getan.
Der Musiker Paul Kalkbrenner geriet in Deutschland in die Schlagzeilen, weil er für die Soldaten in Afghanistan spielte. Würden Sie zur Ablenkung/Unterstützung der Truppen auftreten?
Würde ich, selbstverständlich. So etwas hat für mich keine wirkliche politische Stoßrichtung. Und dieser Typ wurde dafür ernsthaft kritisiert? Weil er für die Soldaten spielte? Hat es seiner Karriere geschadet?
Zumindest gab es unangenehme Schlagzeilen. Wobei Kalkbrenner für den Auftritt keine Gage gefordert hat.
Ich kann mir schon vorstellen, dass dies ein Thema in Deutschland ist. Davon profitiert auch Hollywood: Der Deutsche ist eine ziemlich dankbare Karikatur.
Wie dankbar werden Sie sein, wenn Kritiker Angles beurteilen?
Ich weiß damit umzugehen. Mittlerweile habe ich verstanden, wie viel einfacher es ist, eine vernichtende Kritik zu verfassen als eine positive.
Was war denn das letzte Album, das Sie beeindruckte? Alberts zweites Soloalbum?
Es gibt etliche Veröffentlichungen, die ich zu schätzen weiß – Crystal Castles beispielsweise.
James Blake?
Wer?
Haben Sie schon das neue Radiohead-Album gehört?
Ist es schon draußen?
Kam heute raus.
Haben Sie eigentlich Albert schon interviewt?
Das Interview mit Albert Hammond Jr., dem Gitarristen der Strokes, präsentieren wir Ihnen in einer den nächsten Ausgaben. Stay tuned!
100 % Big Apple Juice
The Strokes‘ „Is This It“ gehört sicherlich in die engere Auswahl, vielleicht ja auch irgendwann ihr neues Album: Die Rede ist von quintessenziellen New-York-Scheiben. Platten, die perfekt eine bestimmte Ära beschreiben, mit ihrem Erscheinen eine neue Epoche lostraten – oder in unserer Assoziation so eng mit New York verbunden sind, dass man, selbst wenn man sie Tausende von Meilen entfernt auflegt, noch Angst bekommt, von einem Yellow Cab über den Haufen gefahren zu werden. Unser US-Korrespondent Severin Mevissen hat nachgeschaut, was an Heimatmusik in den Plattenschränken echter New Yorker steht.
Rammellzee vs K-Rob, „Beat Bop“
Rammellzee war ein New Yorker Original: Er hauste in einem Loft, unter dessen Decke riesige Buchstaben mit Skateboardrädern und Raketenantrieb hingen, er bastelte sich Kostüme aus Müll und war Graffiti- und Hip-Hop-Künstler der ersten Stunde. Die Single „Beat Bop“ entstand aus einem Streit mit Warhols Liebling Basquiat heraus. Rammellzee hielt den für einen Aufschneider, und Basquiat forderte ihn daraufhin zum Battle. Mit zunächst gemischtem Ergebnis: Basquiat zahlte die gesamte Produktion, doch sein Text wurde gegen den von Rammellzees Spezi K-Rob ausgetauscht. Am Ende wurde „Beat Bop“ der Titelsong des Films „Style Wars“, und die 500 Originalpressungen mit Basquiats Coverdesign gelten heute als Hip Hop’s Holy Grail.
Ramones, Ramones
Sicher: Patti Smith und Television spielten vor ihnen im „CBGB“. Doch erst als die Ramones dort zum ersten Mal das Publikum attackierten, kam es zum Urknall: Punk war geboren! Die Songs auf ihrem Debüt handelten von alledem, was ihre Jugend in Queens ausgemacht hatte: von Drogen, Strichern, Gewaltfantasien, billigen Horrorfilmen und der Sehnsucht nach Liebe. Proteste, beispielsweise gegen den Song „Now I Want To Sniff Some Glue“, bügelte Dee Dee in bester New Yorker Manier ab: „Niemand soll glauben, wir würden Klebstoff schnüffeln. Ich habe damit aufgehört, als ich acht Jahre alt war …“
Dillinger, „Cocaine In My Brain“
Die Situation wird sich nicht oft ergeben, doch sollte man einmal in die Verlegenheit kommen, einen New Yorker nach der korrekten Schreibweise seiner Stadt fragen zu müssen, dann bekommt man – zumindest auf der richtigen Party – meist eine Antwort: „A knife, a fork, a bottle and a cork, that’s the way we spell New York!“ Die Zeile stammt vom jamaikanischen Reggaesänger Dillinger und ergibt null Sinn. Es ging darin um einen zugedröhnten Typen – und damit konnten sich 1977 nicht nur New Yorker, sondern auch viele Holländer identifizieren, bei denen die Single auf Platz eins schoss.
OST „The Odd Couple“, „Taxi Driver“, „Cruising“, „Saturday Night Fever“
Vier Filme und ihre Soundtracks spiegeln perfekt die Stimmung in New York eines bestimmten Zeitpunktes wider. Angefangen mit dem Soundtrack zu „The Odd Couple“, dem Film (später eine TV-Serie) über das, was man heute bromance nennt: eine Romanze zwischen Männern, frei von sexuellen Untertönen. Neal Heftis Titelsong versetzt uns sofort zurück in eine glücklichere Zeit, in der Wohnungen in Manhattan noch so groß waren, dass man problemlos seinen suizidgefährdeten Kumpel darin aufnehmen und Pokerabende veranstalten konnte, und das Leben vor der Tür zwischen Baseballspielen und Hotdog-Ständen pendelte. Ein paar Jahre später zeigten uns Martin Scorsese und William Friedkin mit „Taxi Driver“ und „Cruising“ eine ganz andere Stadt: ein Moloch voller Gewalt, Psychopathen und sexueller Perversion. Die Musik dazu war entsprechend. Im Fall von „Taxi Driver“ komponierte Bernard Herrmann eine schizophrene Mischung aus drohenden Bläser- und Harfenklängen, gepaart mit sehnsüchtigen Saxofonpassagen – Ausdruck für Travis Bickles (Robert De Niro) bevorstehenden Kollaps. Die Musik aus „Cruising“ hingegen zeigt einen komplexen Querschnitt durch das schwule New Yorker Nachtleben der frühen 80er: Vom Punk der Germs und Cripples über sleazy Barnummern von Willy DeVille und John Hiatt bis hin zum orgiastischen Jam der P-Funker Mutiny verströmt das Album Hedonismus pur. Und dann ist da noch „Saturday Night Fever“, ein Album, das nicht nur im Studio 54 dauerrotierte, sondern ein weltweiter Hit wurde – und dennoch für immer und ewig nur mit einer Stadt und einem Moment assoziiert wird: New York zur Blütezeit der Discomusik.
Und dann noch …
… all die Songs, die in jeder ernsthafteren NY-Liste erwähnt werden müssen:
Jay-Z and Alicia Keys, „Empire State Of Mind“
Endlich, endlich haben New Yorker eine neue Hymne und müssen nicht mehr Frank Sinatras „New York, New York“ mitgrölen.
LCD Soundsystem, „New York, I Love You But You’re Bringing Me Down“
Ja, James Murphy hasst das von Giuliani und Bloomberg bereinigte New York. Aber er erkennt auch, das es „still the one pool where we’d happily drown“ ist.
Billy Joel, „New York State Of Mind“
Drei Jahre verbrachte Joel in L. A., dann hielt er es nicht mehr aus, kehrte zurück und schrieb eine der berühmtesten Oden an seine Heimatstadt.
Beastie Boys, „No Sleep Till Brooklyn“
Die Beasties in Heimwehlaune dröhnten 1987 aus jeder Studentenbude der Stadt.
The Velvet Underground, „I’m Waiting For The Man“
Harlem ist auch nicht mehr, was es einmal war: Auf der Lexington Avenue muss man heute seeehr lange auf einen Heroin-Dealer warten.
John Lennon, „New York City“
„Nobody came to bug us, hustle us or shove us, so we decided to make it our home“, singt ein glücklicher Lennon über sein New Yorker Leben mit Yoko. Acht Jahre später wurde er dort erschossen.
Wu-Tang Clan, „C.R.E.A.M.“
Staten Island’s Finest erkannten es schon 1993: Cash Rules Everything Around Me. Immer noch.
Yeah Yeah Yeahs, „Our Time“
Nach dem 11. September ballte der Pöbel zu „Won’t Get Fooled Again“ die Fäuste, während kühlere Köpfe mit Karen Os Außenseitersong dagegenhielten.
The Strokes, „New York City Cops“
Auch wenn er wegen der Zeile „New York city cops – they ain’t too smart“ nach dem 11. September in den USA vom Album genommen wurde, bleibt er ein quintessenzieller Song. Zum einen, weil er von Casablancas und Hammond Jr. im Zug nach New York geschrieben wurde. Zum anderen, weil’s einfach stimmt.
Chic, „Freak Out“
Nile Rodgers und Bernard Edwards schrieben den Song „Fuck Off“ als musikalischen Stinkefinger an den Türsteher des Studio 54, der sie am Abend zuvor nicht reingelassen hatte. Radiofreundlich bereinigt wurde daraus der Hit „Freak Out“.