Am Ende vom Anfang


Am Ende von acht Jahren und vier Alben steht Travis makellose Hits-Compilation Singles. Aber vielleicht geht's jetzt erst richtig los? Ein Telefongespräch mit Fran Healy.

In der Warteschleife, in die man gesteckt wird, bis die Plattenfirma die Telefonverbindung in den Haushalt von Fran Healy und seiner Freundin Nora Kryst in London gestöpselt hat, singt Healy „Love Will Come Through“. Dann kommt er selber durch. Eben herrschte noch etwas Hektik, weil vorhin etwas mit der Leitung nicht geklappt hat und der Ablauf des Interviewtags zuTravis‘ Best Of Singles etwas aus dem Leim ging. Mit dem ersten schottisch schnurrenden „Hello“ am anderen Ende kehrt Gelassenheit ein. Und letztlich geht das Telefonat viel län ger als die von den Koordinatoren genehmigten 30 Minuten. Weil eben Healy genau so ein Angenehmer ist, wie man ihn sich vorstellt und man irgendwie nicht von sich aus das Gespräch beenden mag.

Ich höre, du bist eben auf dem Sprung zur Bandprobe ?

Ja, für eine Tour durch kleinere Clubs im Oktober. Und wir arbeiten an neuen Songs, nebenher. Die Idee für die Tour ist, alle bisherigen 18 Singles zu spielen. Ich war ganz baff, wie viele Singles wir schon haben. Und dann wollen wir jeden Abend eine andere Coverversion spielen. Wir haben ja ungefähr zwölf.

Macht doch ein Covers-Album. Das ist jetzt modern.

Ja, das ist schon etwas, was wir in Zukunft vorhaben: Mehr Alben rauszubringen. Bisher haben wir nur Studioalben gemacht. Wir haben zum Beispiel noch gar keine Liveplatte. Nach SINGLES jetzt und nächstes Jahr dem ganz neuen Album, soll übernächstes Jahr eine Compilation kommen, zur Hälfte aus B -Seiten und zur anderen Hälfte aus Covers… Oh, könntest du einen gaaanz kleinen Moment dranbleiben? Es hat geklingelt. (l2 Sekunden Stille) Sorry, das war der Mann mit dem Katzenfutter.

Du bist also ein Katzenmann.

Ja. Ich liebe Katzen.

Ja. ich auch, aber ich bin mehr für Hunde zu haben.

Tatsächlich habe ich mich in letzter Zeit auch mit Hunden angefreundet. Nora und ich haben in Norwegen an so einer Husky-Schlitten-Expedition teilgenommen, wo man zehn Tage lang ins Nirgendwo rausfährt. Man übernachtet in Hütten und kümmert sich um die Hunde – die waren fantastisch! Doch, ich habe überlegt, mir einen Hund zuzulegen.

Auf euerem letzten Album ist ein Hund zu hören. Ich muss diese Frage jetzt mal offiziell loswerden; Sind diese drei Sachen auf 12 memories – der winselnde Hund in „Paperclips“, das Echolot am Ende dieses Songs und der Chor von Fußballfans in.. Peace The Fuck Out“-Referenzen an meddle von Pink Floyd? Oder Zufall?

Nein, weißt du was? Meine Plattensammlung ist mit alten Sachen nicht so gut ausgestattet. Ich habe das mit den MEDDLE-Anspielungen erst in einer Rezension gelesen und dachte (peinlich berührt), „Verdammt, ich kenne diese Platte nicht mal!“ Nigel Godrich (Produzent und Freund) hat mir das Album vorgespielt und ich dachte nur „Fucking Hell!“ Echt seltsam. Aberich habe mich nur einmal bewusst auf eine andere Band bezogen, bei „Writing To Reach You“, wo die Akkorde fast die gleichen sind wie die von „Wonderwall“.

Dos Platteninfo sagt: „Singles bezeichnet das Ende einer Ära und den Beginn einer neuen.“ Große Worte.

Naja … (holt aus) Wir haben ja immer gesagt, wir wollen an die zwölf Alben machen. Langsam schält sich die Idee heraus von einer Geschichte, die einen Anfang, einen Mittel- und einen Schlussteil hat. Und jetzt stehen wir an einem Punkt – nach acht Jahren, in denen wir so viel erreicht haben – wo wir eine Linie ziehen wollen: Es ist Zeit, uns weiterzuentwickeln, weiter zu gehen. Wie bei einem Dreiteiler im Fernsehen, wenn da steht „Ende von Teil 1“. Wir haben angefangen mit 23, jetzt sind wir 30,31 Jahre alt, drei sind verheiratet, ich bin verlobt. Einer hat Kinder. Unser Leben verändert sich und das könnte jetzt der Zeitpunkt sein, mit Teil 2 anzufangen. Nicht, dass ich wüsste, wie der aussehen wird. Aber wir sind gerade dabei, mal andere Arbeitsweisen auszuprobieren, wir haben mit verschiedenen Leuten experimentiert. Just having a very interesting experimental artistic time together.

Mit wem habt ihr gearbeitet?

Zum Beispiel ein paar Tage mit Brian Eno. Das war super. Wir saßen im Raum mit ihm und jemand hat mit etwas angefangen, und die anderen stiegen ein und wir entwickelten etwas aus dem Nichts. Wir wollten in diese Sessions ohne vorgefasste Songs reingehen, quasi mit einer völlig weißen Leinwand. Eine ziemlich ungewohnte Arbeitsweise für uns.

Also erstmals Songs von der ganzen Band, nachdem bisher du der alleinige Songwriter warst?

Naja, das hängt davon ab, ob sie was taugen (lacht). Ein Travis-Song kann nicht nur eine schöne Melodie haben und gut gespielt sein. Er muss dieses gewisse X-Element haben. Aus den Eno-Sessions sind sehr interessante Sachen entstanden. Und dann gibt’s halt auch wieder ein paar neue von nur mir alleine.

Du hast auch einen Song im Krankenhaus geschrieben.

Ah, ja (lacht). Das ist kein besonders großer Hit.

Bist du denn wieder ganz fit? (Ende April wurde Healy mit einer schweren Virusinfektion in die Klinik eingeliefert; eine Japan-Tour musste abgesagt werden) Jaja, sehr. Absolut. Es war ein Parvovirus, eine Art „Supergrippe“, die die Gelenke angreift. Als es losging, vermuteten die Ärzte erst, es sei Meningitis, weil ich so rote Pusteln bekam, und ich dachte schon, „Oh Gott, jetzt sterbe ich hier!“ Im Krankenhaus war dann schnell klar, dass es das nicht war. Weil man nämlich bei Meningitis nach diesen Pusteln innerhalb von etwa einer Stunde ins Koma fällt. Und ich war nach einer Stunde noch okay. Das war gut. (lacht) Ich bin dann auf Anraten des Arztes vier Wochen auf meinem Hintern gesessen. Und hab gemalt, Geschichten geschrieben. Und Tagebuch, sehr viel.

Apropos. Ich habe diesen Artikel im Magazin „Word gelesen, in dem du sehr offen über deine Kindheit sprichst, dein zerrüttetes Verhältnis zu deinem Vater, deine Ängste. Und in dem du den Reporter Teile deines Tagebuches lesen lässt. Hat man nach so etwas das Gefühl, dass man zu viel von sich preisgegeben hat?

Puh. Ja. Ein klein wenig. Aber der Journalist, der das geschrieben hat, ist toll. Und unglaublich neugierig.

(lacht). Er sagte so, „komm schon, lass mich in deine Tagebücher reinschauen.“ Und ich: „Wie bitte?“ Aber dann habe ich ihm ein paar Stellen gezeigt. Danach war mir schon ein wenig mulmig. Aber der Artikel ist sehr gut geworden, er gibt einen guten Einblick, wo ich herkomme. Sehr ehrlich und wahrhaftig.

Viele haben gerade mit dieser sehr offenherzig emotionalen Art ihre Probleme. Gestern habe ich wieder diesen alten „I Hate Travis“-Button gesehen.

Ah, ich weiß. Die waren im Umlauf bei the MAN who. Ich hab damals selber einen getragen. Je erfolgreicher man wird, desto mehr Leute gibt es auch, die einen nicht mögen, das ist ja normal. Aber wenn j emand sagt, „ich mag euch „, dann nimmt man das oft hin, aber wenn jemand ankommt, „ich mag euch nicht“, bleibt das schon viel mehr hängen. Ich habe gelernt, diese Art Presse einfach nicht mehr zu lesen. Man ist natürlich immer versucht, das ist wie mit einem faulen Zahn, an dem man herumfummeln muss. Ich meine, was klar sein muss, ist, dass niemand Songs schreibt, um Leuten damit auf die Nerven zu gehen. Wenn uns jemand nicht mag, ist das völlig okay. Und konstruktive Kritik kann ja nützlich sein. Man kann ja auch nicht in einer Blase sitzen und sich nur toll finden.

Ich hab da was Komisches, erklär mir das mal: Immer, wenn zwei Männer sich den Gesang bei einem Song teilen – ziemlich egal, welche Musik -, krieg ich eine Gänsehaut. Zum Beispiel eben bei Travis-Konzerten, wenn Dougie Payne die zweite Strophe von „Turn “ singt.

(lacht) Erklär du’s mir! Das Wundervolle an Musik und Kunst generell – ist, dass sie in der Lage ist, jeden Menschen zu berühren. Bevor man überhaupt sprechen lernt, bis zu einem Alter von etwa zwei Jahren, ist man frei von vorgefassten Meinungen. Man freut sich entweder über etwas oder ist entsetzt darüber oder reagiert gar nicht darauf. Wenn man älter wird, entwickelt man Vorlieben und Abneigungen, da spielt dann viel mit rein, z.B. ob etwas cool ist oder uncool. Man wird älter und entwickelt eine Persönlichkeit und einen Geschmack, aber die ganze Zeit hat man den Zweijährigen in sich drin. UndMusikhatdie Fähigkeit, die Mauern und Barrieren, die man um sich aufgebaut hat, für einen Moment zu durchbrechen. Wenn man ein Stück Musik hört, das einen bewegt, ist es so, als würde der Zweijährige aufwachen. Und ich glaube, Leute zusammen Musik spielen zu sehen und ihre Freude dabei zu spüren, kann das auch auslösen.

Welche Musik lost dos bei dir momentan aus ?

(überlegt lange) Ich höre gerade viel den Soundtrack zu „Betty Blue“. Und sehr viel den von „Paris, Texas“.

Der Film, aus dem ihr euren Namen habt.

Exakt. Ry Cooder. Einer der besten Soundtracks EVER.

Ich lass dich jetzt mal zur Bandprobe gehen. Wann sehen wir euch in Deutschland wieder?

Dauert noch, aber auf jeden Fall nächstes Jahr. Jetzt müssen wir erstmal Teil 2 machen. Kapitel 1 von Teil 2.