Stephan Remmler im Gespräch mit Dieter Meier
Und er lebt doch! Der deutsche Schlager mit Niveau nämlich. Stephan Remmler, schon mit TRIO auf der Suche nach der verlorenen Unschuld, möchte mit seiner jüngsten LP zu Unrecht vergessene Volkslieder entstauben. Dieter Meier, Chefdenker bei YELLO, begleitete ihn auf der Expedition in die (Un-)Tiefen der deutschen Seele.
DIETER: Was deine neue Platte so interessant macht und was mich an ihr so berührt, ist der Versuch, dieses überlebte Avantgarde-Bewußtsein abzulegen und nicht mehr krampfhaft „neu“ sein zu wollen. Sozusagen im Sinne der Renaissance …
STEPHAN: Renaissance, wie der Schweizer sagt…
DIETER:… eine Renaissance, die da anknüpft, wo die deutsche Lied- und Schlagertradition einmal unterbrochen wurde. Und das Problem besteht wohl darin, sich zu dieser Tradition zu bekennen, ohne eben einfach nur nostalgisch zu sein. Also ich rede jetzt …äh …
STEPHAN:… permanent.
DIETER:… permanent, aber das ist ja auch …
STEPHAN:… durchaus erwünscht.
DIETER: Also, ich möchte dich zunächst einmal fragen, ob diese Theorie, die ich da an dich rantrage, in dieser Form überhaupt zutreffend ist.
STEPHAN: Um ehrlich zu sein: Wenn ich die Wahl habe, ob ich mir im Fernsehen ’ne Rocknacht anschaue oder einen Hans Moser-Film, dann lieber den Moser-Film; der is einfach more entertaining. Um diese Einstellung muß ja zwangsläufig auch musikalisch ihren Ausdruck finden.
Und noch was anderes: die falsch verstandene Internationalität. Also ich hab lieber einen Italiener, der ein Italiener ist, einen Franzosen, der ein Franzose ist — als jemanden, der verzweifelt versucht, einen international genormten Geschmack zu treffen. Der Internationalismus in seiner ganzen schönen Buntheit — Benetton, Colors Of The World — entsteht ja viel eher dadurch, daß da jeder sein eigenes Ding einbringt.
DIETER: Das ist ja das große Problem vieler Musiker in Europa: Daß sie sich das vermeintlich Internationale umhängen wie ein Kleid und sich in diesem Kleid auf dem Weltmarkt verkaufen wollen. Die einzige Möglichkeit, etwas Gültiges zu machen, ist ja gerade das Bekenntnis zur Provinzialität — oder anders gesagt: Man kann eine Musikkultur, die ihre Wurzeln hat. nicht woandershin verpflanzen und obendrauf deutsche Texte knallen.
STEPHAN: Richtig, wobei ich mit dieser Platte aber nun nicht einfach die Tradition zitieren wollte! Im Gegenteil: Sachen, die mir als Kind gefielen, wollte ich in die heutige Zeit bringen, aber nicht rückblickend, sondern vorblickend.
Es gibt ja ’ne Menge schöner Musik, die nicht vom Rock ’n‘ Roll kommt — und irgendwie ist die doch ziemlich verschütt gegangen. Es war irgendwie ’n Herzensbedürfnis, die 78er aus dem Plattenschrank meiner Eltern und Großeltern wieder ans Tageslicht zu holen. Nix „Born In The USA“! Da stimmt doch wat nich! Der Stevie Wonder tut ja auch nicht so. als war er in Recklinghausen geboren. Hier hingegen tut jeder so, als stamme er aus Detroit. Da stimmt doch wirklich wat nich!
DIETER: Wobei ich ein großes Problem darin sehe, daß diese Tradition des deutschen Schlagers so lange unterbrochen war -— und daß es in den letzten 10. 15 Jahren kaum etwas gibt, an das du anknüpfen könntest. Bei den Produktionsbedingungen fängt’s doch schon an: Ob Musiker, Produzenten, Arrangeure — alle suchen den international Standard.
STEPHAN: Also, das war ’ne Überraschung für mich, daß diese anerkannten Musiker, die ja wirklich auch den international Standard erfüllen, daß Leute wie Curti Cress, Karl Allaut, Klaus Voormann oder auch Udo Arndt als Mixer, daß diese Leute das wirklich toll fanden und überhaupt keine Schwierigkeiten hatten.
DIETER: Na ja. aber trotzdem gibt es ja nicht so etwas wie eine ungebrochene Tradition. Wenn ich mir deutsche Platten anhöre, die sich zu einer nationalen Identität bekennen, dann ist die Musik doch immer the most dull sort o frock ’n roll …
STEPHAN: Darf ich dazu eine schöne Geschichte erzählen: Da wurde ich also neulich von einem TV-Moderator interviewt und erzähle ihm von meiner Solo-Platte. Er sagt: „Was isses, deutsche oder englische Musik?“ Ich sage: deutsch. “ Und wie ist die Musik“, fragt er. Auch deutsch, sage ich. Er hatte also von vorneherein die Frage nur auf den Text bezogen.
DIETER: Das ist ja genau das, was ich meine: Daß man von vorneherein davon ausgeht, daß allenfalls die Texte deutsch sind, während die Musik dem ominösen international Standard entspricht.
Das ist wirklich ein Phänomen, das man nirgendwo so extrem wie in Deutschland beobachten kann. Da gibt es einerseits die Avantgarde, die sich unglaublich ernst nimmt und völlig abgetrennt ist von der Verfügbarkeit ihrer Musik und in meinen Augen absolut kleinbürgerlich ist. Und da ist andererseits so etwas wie eine Renaissance — Renaissance insofern, als ja Mozart durchaus ein Unterhaltungskünstler war und Shakespeare, der seine Theatertruppe unterhalten mußte, das Publikum unterhalten mußte und folglich ein sehr breites Repertoire hatte. Und diese Tradition, die ist in Deutschland extrem unterbrochen, da es auf der Ebene des Schlagers nur reaktionären Schrott gibt.
STEPHAN: Na gut. vielleicht kann man das wirklich vor diesem Hintergrund sehen, aber mit der Theorie habe ich nicht so viel am Hut. Wenn ich irgendwo in Bayern, wo ich ja einige Jahre gewohnt habe, eine Blaskapelle höre, dann will ich gar nicht wissen, ob das um 1900 real war und heute nur noch eine hohle Imitation ist. Ich merk einfach, ob da ein Schmunzeln passiert, ob die Leute sagen: „Des is a Freud!“ Einen akademischen Anspruch hab ich da nicht. Ich bin da recht unbelastet und setz meine Musik aus den Elementen zusammen, mit denen ich groß geworden bin. Not born in the USA, but born in the BRD.
DIETER: Aber in Bayern bist du ja auch nicht geboren…
STEPHAN: Das macht ja nix. Wenn in dem Dorf die Kapelle zur Hochzeit oder zum Schützenfest aufspielt, und die Friseuse ist da und der Feuerwehrmann und der Schlosser, dann ist das real: das wird nicht für die Touristen gemacht!
Oder nimm den Karneval. Was gibt es Volkstümlicheres als den Karneval? Und nur weil wir im Fernsehen diese schunkelnden Industriekapitäne sehen, nur weil das im Fernsehen diskreditiert wird, heißt das ja lange noch nicht, daß da nicht echte Kraft und Power im Karneval steckt.
DIETER: Aber irgendwie muß es mit einer Musiktradition doch weitergehen. Und wenn man immer nur zurückgreift auf das…
STEPHAN: Aber das tu ich doch nicht. Dieter! Wenn du meine Platte auflegst, denkst du doch nicht, du hättest eine Platte von 1950 aufgelegt. So isses doch nicht!
DIETER: Laß es mich präzisieren. Der Vorwurf betrifft ja nicht einfach dich: der Vorwurf oder die Frage wäre: Wie kann man die verschüttete Tradition einer volkstümlichen Musik heute wieder aufleben lassen, ohne eben — ich sag jetzt ein dummes Wort — reaktionär zu sein? Oder anders gefragt: Kann man einfach Versatzstücke von damals in die Gegenwart transportieren und einen neuen Text drauf machen‘.‘ Versuchst du wirklich, diese Tradition neu zu erfinden — oder ist es eher eine karbarettistische Übernahme der Versatzstiicke‘.‘ Ein Weill oder ein Hollaender, die haben ja damals mit ihren Schlagern richtige Erfindungen gemacht. Was ist deine musikalische Erfindung?
STEPHAN: Zwei Antworten. Erstens glaube ich schon, daß ich das neu erfinde, denn ich habe ja eine Menge musikalischer Elemente drin, die es damals noch nicht gab.
Und zweitens meine ich auch, daß die Musik immer etwas zu wichtig genommen wurde. Es handelt sich doch darum, daß man mit Herz und Humor und Gefühl eine Drei-Minuten-Geschichte erzählt — und daß die Leute sich darin wiederfinden. Es geht ja nicht darum, daß die Leute sich darüber unterhalten, wie toll der Schlagzeug-Wirbel rückwärts war. Ich mochte das machen, was mir Spaß macht — und was hoffentlich auch vielen Leuten Spaß macht.
DIETER: Eigentlich hauen doch viele deiner neuen Stücke auf die Elemente auf. die früher Trio ausgemacht haben …
STEPHAN: Was meinen Teil angeht, so hat sich da vielleicht wirklich wenig geändert. Aber bei Trio hatte jeder ein Drittel des Kuchens, und da war halt auch ein Schuß Rock n‘ Roll drin. Bei meinem Solo-Ding ist das nicht mehr der Fall. Nun kann man sich natürlich darüber streiten, was Rock ’n‘ Roll ist. Mancher macht eben augenzwinkernd mehr Rock ’n‘ Roll als ein anderer mit Lederjacke und aufgerissenem Hemd.
DIETER: Genau das war es ja. was mir an vielen Trio-Sachen so gefallen hat. Ich erinnere mich noch an den ersten Gig von euch, den ich gesehen habe, und wo mir das Herz gelacht hat wie selten zuvor. Und das kam ja nicht deshalb, weil ihr Rock ’n‘ Roll Syndrome übernommen und eingedeutscht hattet, sondern weil ihr schon im Ansatz etwas völlig anderes gemacht habt. Deshalb die Frage: Ist das, was der Remmler alleine macht, eigentlich eine Fortsetzung oder Konzentrierung dessen, was Trio früher gemacht hat? STEPHAN^a ja. nicht ganz.“.Da Da Da“ basierte zwar irgendwie auf einer Rockstruktur, auch wenn es in der Ausführung dann sehr deutsch war. Auf der anderen Seite gab’s Sachen wie „Herz ist Trumpf‘, die mit Rock ’n‘ Roll rein gar nichts zu tun hauen. Und in dieser Richtung geht’s auf der Solo-LP auch weiter. Davon mal ganz abgesehen: Diese immer gleiche Geschichte von Liebesleid und „You for me“. zwischenmenschliche Beziehungen halt, das interessiert mich; und das versuche ich rüberzubringen, ohne daß die Glaubwürdigkeit verlorengeht.
DIETER: Aber man sollte gar nicht erst versuchen, immer allen alles recht zu machen …
STEPHAN: Nein, nein, nein, man muß überhaupt niemandem etwas recht machen: man muß es eigentlich nur seinem Herzen recht machen.
DIETER: Also selbst wenn du nicht gerade der Theoretiker der deutschen Unterhaltungsmusik bist, möchte ich dir doch eine Frage stellen: Wie hast du deine Lieder produktionstechnisch umgesetzt? Ist dir nicht das Problem begegnet, daß es die Leute, mit denen du so etwas gerne machen würdest, gar nicht mehr gibt?
STEPHAN: Nun, ich hab mir das Polizei-Orchester Wien geholt oder einen Männergesangsverein aus Weilerswist oder ’nen Kinderchor aus einer Münchner Schule. Und mittendrin ist ein Percussionist aus Rio, der sich da blendend einfügt. Und als Grundlage des Ganzen die Creme der deutschen Studiomusiker. Ich hab ein bißchen von da. ein bißchen von dort genommen und für meinen Geschmack ’ne tolle Mischung zusammengekriegt.
DIETER: Aber wo ist denn da der Unterschied zwischen dir und einem Schlagersänger, der sich der gleichen Versatzstücke bedient, wenn auch auf oberflächliche und dumme Weise?
STEPHAN: Sicher, das ist eine challenge. Es ist ja nicht so schwierig, sich in einem Genre auf den lowest level runterzuschrauben. Aber auf diesem Level noch Esprit zu haben und Charme und Spaß —- das ist sicher nicht einfach.
DIETER: Empfindest du das beim Machen denn als geschmackliche Gratwanderung?
STEPHAN: Also, dat mach ich ganz instinktiv; da habe ich im Moment des Machens keine Bedenken oder Zweifel.
DIETER: Also könnte man sagen, daß der Remmler sich sozusagen ausgegraben hat. daß er das. was in einer Karriere am schwierigsten ist, die Selbstfindung nämlich, geschafft hat und nun oder Wenn und Aber das tut. was er aus dem Innersten heraus einfach tun muß.
STEPHAN: Vielleicht. Aber so’n Auslöser war für mich sicher dieses „Born In The USA“. Wenn er von Vietnam singt und so. dann mag das für Springsteen als Amerikaner wichtig sein, aber was hab ich damit zu tun? Ich bin born in the BRD.