Velvet Underground over Billie Eilish: Warum Josef Winkler „Jein“ zur Modernen Welt sagt
Wir möchten das Licht sehen! Wie Lou Reed früher! Ist das denn zu viel verlangt? Die aktuelle Popismus-Kolumne von Josef Winkler.
„Theere are problems in these times / But oooh!, none of them are mine / Oh, baby, I’m beginning to see the light!“
Neulich im Radio (!) The Velvet Underground, und ich denk’ mir, oh Lord!, so sorglos-überdreht möchte man’s auch noch mal rausjaulen können wie Lou Reed 1969! Der war da zwar auch schon nicht mehr vollends jugendliche 27 – aber wir sind heute ja alle viel, viel älter! Also: ich auf jeden Fall. Sie sicher auch bald, bilden Sie sich bloß nichts ein; das geht dann auf einmal ganz schnell. Und es war 1969! Es gab die Beatles noch und die heute so beliebten 60er-Jahre, in den Weltraum flogen nur Leute, die dort auch beruflich zu tun hatten (Armstrong, Kirk etc.), und kein Mensch hat sich über den CO2-Ausstoß so einer Rakete gegrämt, weil es noch keinen Klimawandel gab – der wurde ja erst 2002 von Al Gore entdeckt oder von den Chinesen erfunden oder so.
Heute sind so ziemlich alle Probleme der Zeit auf die eine oder andere Art auch unsere eigenen – sei es, weil sie sich direkt auf uns auswirken, sei es, weil wir als westliche Konsument*innen irgendeine aus der Vergangenheit geerbte oder ganz aktuell auf uns geladene Mitschuld an ihnen tragen, oder schlicht, weil man als mit einer gewissen Empathie ausgestatteter Mensch mit dem permanenten Crawl der Doom- und Gloom-Nachrichten am unteren Bildrand der Weltwahrnehmung einfach nicht mehr so unbeschwert durchs Leben tüdelt.
Oft hilft nur noch Ausblenden und Verdrängen
Und zu allem soll man eine Haltung haben – nennen Sie mich unromantisch, aber ich finde ja, jemand, der seine gigantische Finanzkraft einsetzt, um Weltraumtourismus marktfähig und damit die Klimaschutzbemühungen der Regierungen zunichte zu machen, müsste eigentlich als Feind der Menschheit identifiziert, gestoppt und enteignet werden, aber hey! Oft hilft dann nur noch Ausblenden und Verdrängen (was vielen Leuten ganz gut gelingt, die hören aber dann auch Gabalier und Naidoo und wählen „die Basis“, weil sie halt überhaupt nicht mehr überreißen, was Phase ist). Oder aus den kleinen Fortschritten Hoffnung schöpfen, aber nicht gleich maßlos werden.
Ich zum Beispiel hab’ mir so fest gewünscht, dass Armin Laschet die Wahl verliert und vielleicht sogar noch ein bisschen gedemütigt wird. Und es hat funktioniert! Ist das magisches Denken? Wird jetzt alles gut? Ein bisschen zumindest? „Thee future’s so bright, I gotta wear shades“, hat die Band mit dem schönen Wortspielnamen Timbuk 3 gesungen, 1986, da ging’s zwar auch um den (atomaren) Weltuntergang, aber da war Schwung drin. Heute hat sich ein sagenhafter Innerlichkeitswinsel ausgebreitet im Pop, und Amen, ich sage Euch, es kommt der Tag, da werdet Ihr gewahr werden, dass einem bei Billie Eilish die Füße einschlafen, und ihr werdet hingehen und die alten Velvets-Platten rausziehen. Und ihr werdet das Licht sehen.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2021.