Kritik

„I Am Not Okay With This“ auf Netflix: Zynische Sci-Fi-Serie im Vintage-Look


Nach „The End of the Fucking World“ kommt jetzt die nächste Serien-Adaption einer Graphic Novel von Jonathan Entwistle – und die ist nicht minder blutig, retro und irre schwarzhumorig.

Eine Coming-of-Age-Geschichte mit ein paar Mordfantasien – das hatte auch schon die 2017 gestartete Brit-Serie „The End of the Fucking World“ ausgemacht. In dem neuesten Netflix-Original von dem Engländer Jonathan Entwistle kommen dieses Mal noch ein paar unlenkbare übernatürliche Fähigkeiten hinzu. Und genau diese frische Mischung macht „I Am Not Okay With This“ zu einem echt unterhaltsamen zweieinhalbstündigen Binge-Erlebnis.

„The End of the Fucking World“ auf Netflix: Viel Welthass auf Britisch

https://www.youtube.com/watch?v=M9vp9lhZiqU

Grüße gehen raus an Stephen Kings „Carrie“

Gleich in der ersten von sieben knapp 22-minütigen Folgen setzt Protagonistin Sydney Novak (Sophia Lillis, bekannt aus „Es“ und „Sharp Objects“) den Ton fest. Aus dem Off hören wir den knackigen Satz: „Dear diary, go fuck yourself!“ Dazu sehen wir die 17-Jährige von oben bis unten mit Blut besudelt eine leere Straße entlanglaufen. Ganz so, als würde es sich hier um ein Remake der Stephen-King-Story „Carrie“ handeln. Aber anstatt uns hier einen klassischen Horror über Satans jüngste Tochter zu präsentieren, zeigt schon die nächste Szene einen Normalo-Schultag eines Mädchens, das nicht weiter auffallen möchte. In der Schule gehört sie zu den Außenseitern, ihr Vater hat sich im hauseigenen Keller das Leben genommen und so richtig sicher ist sie sich noch nicht, was ihre Sexualität angeht – das alles reicht Syd, um sich weniger um das Außen und lieber mit ihrem Inneren zu beschäftigen. Seit Neuestem eben in Tagebuchform.

Neu bei Netflix: Die besten Serien und Filme im März 2020

In dieses Tagebuch schreibt sie dann auch hinein, was für Ausmaße neuerdings ihre schlechte Laune annimmt. Denn wenn die Wut hochbrodelt, kommt es vor, dass die Dinge auf ihrem Schreibtisch zu schweben beginnen oder sogar ein Tier stirbt. Beunruhigende Entwicklungen, die Syd mit niemandem teilen will. Nicht mal mit ihrer besten Freundin Dina (Sofia Bryant). Doch da hat sie nicht mit Stan (Wyatt Oleff in bester Timothée-Chalamet-Manier) gerechnet, der ein Auge auf sie geworfen hat und ihr quasi auf Schritt und Tritt folgt. Aber anstatt sich vor ihren Superhelden-Fähigkeiten zu fürchten, befeuert er diese und schnell entsteht so etwas Ähnliches wie eine Freundschaft zwischen den beiden.

Verrücktspielen zu The Kinks und einer neuen Fake-Band von Graham Coxon

Oft genug bedient die Serie Coming-of-Age-Klischees – unsere Hauptfigur ist eine Eigenbrötlerin, die wenig Freund*innen hat, sich schlecht mitteilen kann und speziell mit dem Schulliebling aneinandergerät. „I am Not Okay With This“ lebt aber nicht von dem Erfüllen der Stereotype, sondern von den Sci-Fi-Momenten, die immer dann dazwischen schießen, wenn es zu highschool-schmusig wird. Sachen, die im Supermarkt aus den Regalen fallen, sind da die harmloseste, aber visuell schon mal sehr effektive Variante. Sehr bald wird es auch blutiger und gemeiner. Ohne spoilern zu wollen: Eine zweite Staffel mit noch weitaus heftigeren Szenarien sollte bei dem Cliffhanger nach Episode 7 gesichert sein.

Diese fünf britischen Coming-Of-Age-Serien müsst Ihr kennen

Aber auch der Soundtrack bricht mit der Teenie-Breitseite. The Kinks, Captain Beefheart und The Lemon Twigs schmücken diese Retro-Sci-Fi-Welt, in der die Farben so gedeckt wie in Wes Andersons „Moonrise Kingdom“ sind. In der Graphic Novel von Charles Forsman aus dem Jahr 2017 ist außerdem immer wieder die Rede von einer Band namens Bloodwitch, auf die Stan besonders steht. Für die Verfilmung hat sich nun Blurs Graham Coxon gefunden, der sich für diesen Zweck gleich eine Hand voll Songs ausgedacht hat, die von The Velvet Underground, My Bloody Valentine und The Jesus and Mary Chain beeinflusst zu sein scheinen.

Spotify Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Spotify
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Blurs Graham Coxon lässt neuen Song aus „The End Of The Fucking World“ hören

Diese Serie könnte doch Kult werden?!

Diese Verbindung von nostalgischen Klängen, Weirdo-Augenblicken an der Schule und Sci-Fi-Horror könnten die Serie zu Kult werden lassen. Die Folgen sind mit ihrer kurzen Laufzeit unterhaltsam wegzubingen. Die Hauptdarstellerin Sophia Lillis spielt zudem facettenreich genug, sodass sie viel Identifikationspotential in alle Richtungen bietet. Und der Wechsel aus Vintage-Highschool-Vibe und „Carrie“-Horror funktioniert obendrauf perfekt.

Sogar so gut, dass Staffel 2 mühelos geordert werden sollte. Showrunner Jonathan Entwistle hat jedenfalls schon mal im Interview mit „Collider“ verraten, dass er sich mehrere Staffeln vorstellen könne. Bei weiteren Episoden kann dann aber nicht mehr auf die Comic-Vorlage zurückgegriffen werden, denn diese ist bereits mit der Handlung von Staffel 1 auserzählt. Außerdem ist Entwistle mit dem Ende der bisher letzten Folge längst vom Original abgewichen und hat damit eine neue, eigenständige Welt eröffnet.

Die erste Staffel von „I Am Not Okay With This“ ist seit dem 26. Februar 2020 bei Netflix verfügbar.