KEIN MEISTERWERK MEHR, ABER …
Vor den Aufnahmen zu ihrem neuen Album MONOMANIA mussten sich Deerhunter entscheiden: Crossover in den Mainstream oder Zementieren des Indie-Status. Doch die psychedelischen Indie-Rocker aus Georgia wählten dann einen anderen Weg.
Ein Gespräch mit Lockett Pundt, Gitarrist und neben Sänger Bradford Cox Mastermind bei Deerhunter, wird dann besonders aufschlussreich, wenn er das Themenfeld „neues Album“ verlässt und Dinge erzählt wie: „Ich mag Gartenarbeit, weil mir einfache, monotone Tätigkeiten Spaß machen.“ Oder den fundamentalen Unterschied zwischen Tennis und Racquetball beschreibt: „Bei Tennis muss man präzise treffen, aber bei Racquetball kann man ganz wild schlagen und es kann trotzdem funktionieren. Ich habe damit begonnen, weil mich dieses Sportcenter an meiner alten Uni, der Georgia State University, aus den späten Siebzigern so reizte. Es wurde nie überholt, verfällt zusehends, verfügt aber über einen Racquetball-Court.“
Pundts Interessen spiegeln vieles wider, was Deerhunter ausmacht: Die Monotonie und Einfachheit von Rasenmähen, Aussähen oder Jäten in den „Pop“ übertragen finden sich in der stoischen Krautrock-Motorik, die Anziehungskraft einer vor sich hin rottenden Turnhalle im Aufsuchen obskurer Orte der Musikgeschichte. Mit diesem Nebeneinander von Dingen, die scheinbar nicht zusammenpassen und einander dennoch bedingen, kann man Deerhunter besser erklären als mit verwinkelten Verweisen.
Pundt scheint frei von der Last zu sein, die Musiker im Gespräch über ein neues Album häufig mit sich herumschleifen wie ein Schlossgespenst seine Eisenkugel: als seien sie dazu verpflichtet, die Platte als das beste, was sie je gemacht haben, anzupreisen, sich dessen aber gar nicht so sicher sind. Klar: Es gibt wenige Musiker, die erzählen, dass sie soeben genau das Album gemacht haben, das sie auch machen wollen, aber einräumen, dass das, was sie wollen, zu großen Teilen von Erwartungshaltungen bestimmt ist. Von innen wie von außen, von Fans, Label, von wirtschaftlichen Zwängen, dem Erfolg, dem Anspruch an das eigene künstlerische Schaffen, der Messlatte der eigenen Vergangenheit.
Auf früheren Alben uferten Deerhunter gerne in Psychedelia und Soundscape-Jams aus, HALCYON DIGEST, die allseits gefeierte Großtat von 2010, mündete dann in sorgfältig arrangierte Songs, Pop-Sensibilität musste sich nicht länger hinter noisy Experimenten verbergen. Es wäre also naheliegend gewesen, für MONOMANIA nun in die ein oder andere Richtung extremer zu werden. Aber Deerhunter verzichteten auf eine Entscheidung an der Weggabelung und liefen einfach ins freie Feld. Dabei folgten sie keiner überlegten Strategie, wie man sich gegenüber Erwartungen positioniert, sondern kehrten in den naiven Urzustand von Bands zurück, die vor allem von Freundschaft (passend spricht Pundt von seinen Mitmusikern liebevoll als „Brüdern“), Besessenheit und Eigen-Begeisterung getrieben werden, nicht vom Karriereplan und dem Imperativ, dass jedes neue Werk das vorherige gefälligst in allem zu übertreffen hat.
Der erste Eindruck von MONOMANIA ist dann eher ein Gefühl der „Unterwältigung“. Die gewohnt herausragenden Songs fehlen. Aufregender ist hier die Haltung: hingeworfene Momentaufnahmen, wo Stimmung und Style wichtiger sind, als Stücke strahlend auszuproduzieren. „Wenn uns die Meinung anderer wichtiger als unsere eigene gewesen wäre, hätten wir die große Hochglanzproduktion bringen können, um uns den Schubs Richtung Mainstream zu geben – oder eine echt durchgeknallte Platte“, sagt Pundt. „Aber jedes unserer Alben hat immer eine Zeit eingefangen: Das sind die Songs, da stehen wir gerade. MONOMANIA fühlt sich menschlich an, nicht perfekt, enthält Fehler und Zufälle, die von allein passierten.“
Die Sechste von Deerhunter ist an der Schnittstelle von Leben und Kunst angesiedelt, von Uncool und Cool, von Bescheidenheit und Übertreibung. Pundt: „Unsere Musik ist keine große kompositorische Leistung, nicht wie ein Renaissance-Gemälde. Sie ist eher, wie wenn man im Hinterhof Holzscheite gegeneinander schlägt und schaut, wie das klingt: primitiv und direkt. Darum geht es mehr als um die ‚riesigen Ideen‘.“ MONOMANIA ist kein Meisterwerk, es ist ein halb fertiges, beseeltes, anstrengendes, irres, liebenswertes Album. Das muss man sich erst mal trauen.
Albumkritik ME 6/13