Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Talkin‘ ‚bout Dub(step)

Puristen werden wahrscheinlich heftig widersprechen, aber neue Genres beginnen meist erst dann interessant zu werden, wenn sie ihre archaische Phase hinter sich gelassen, sich ihrer Hermetik entledigt und für artfremde Einflüssse geöffnet haben. So neu ist das Dubstep-Genre nun auch wieder nicht, seit fast zehn Jahren gibt es den subsonischen, Dub-infizierten Ableger der Londoner Garage-Szene. Und mindestens seit 2006, dem Jahr, in dem das gleichnamige Debütalbum des Produzenten Burial aus London veröffentlicht wurde, hat auch der Mainstream von Dubstep gehört, was allerdings nicht zu einer nennenswerten Popularisierung des Genres beigetragen hat. Seit ein paar Spielzeiten aber setzt dieser immer wieder gerne beobachtete Prozess der Transzendenz ein, der eine Musikrichtung auf eine höhere Ebene hebt, weil die beteiligten Musiker die selbst definierten Grenzen zunehmend als einengend empfinden.

Die frühen Tracks von Burial, Skream und Kode9 waren nicht viel mehr als kaum als Updates wahrzunehmende Versuche, den Faden von Ambient- und Mikro-Dub wiederaufzunehmen, den Labels wie Wordsound (Brooklyn) und Basic Channel (Berlin) irgendwann Ende der 90er-Jahre verloren hatten. Wenn manche Tracks von Bill Laswell, Mick Harris, Spectre und Slotek heute einem musikhistorisch defizitären Probanden beim Blind Date vorgespielt würden, würden sie wahrscheinlich bei ihm ein wissendes „Ah, Dubstep!“ hervorrufen.

Während Acts wie Scuba und King Midas Sound die Einflüsse benachbarter elektronischer Spielarten wie Minimal Techno und Ambient aufsaugen, lassen sich auf der anderen Seite Minimal-Produzenten wie Ricardo Villalobos, Marcel Dettmann und Dapayk bei ihren jüngsten Veröffentlichungen vom Dubstep befruchten.

Die Klammern beim Dubstep setzen nach wie vor die subsonischen Bässe, aber dazwischen ist der Experimentierfreude keine Grenze gesetzt. Die Produzentin Ikonika treibt den Dubstep in Richtung Disco und Synthpop voran. Der New Yorker FaltyDL verleiht seinen Bass- und Breakbeat-grundierten Tracks einen souligen Vibe. Aktuelles Beispiel der Transformation eines vorher eher eindimensionalen Genres: das Londoner Duo Mount Kimbie und sein Debütalbum CROOKS AND LOVERS mit fragmentarischem, triphoppigen Cut-Up-Minimal-Dub. OUTSIDE THE BOX, das aktuelle Album des 24-jährigen Dubstep-„Veteranen“ Skream, enthält mit „Fields Of Emotion“ und „Wibbler“ nur zwei Tracks, die die Orthodoxen wahrscheinlich als klassischen Dubstep bezeichnen würden. Der Rest ist ein instrumentaler und vokaler (La Roux darf gastsingen) Mischmasch aus allen möglichen Einflüssen elektronisch generierter Musik.