Zum 1000. Tatort: Deutsche Dienstfahrten


1970 begann mit dem „Tatort“ die beliebteste Krimireihe der Republik. Am 13. November wird nun die 1000. Folge ausgestrahlt, die genauso heißt wie die allererste: „Taxi nach Leipzig“, diesmal mit Maria Furtwängler und Axel Milberg. Rückblick auf ein Fernseh-Phänomen – von Uwe Kopf

Zwei Hamburger haben den „Tatort“ ermordet, er war toter als jede Leiche in der Serie, die Münchener und Frankfurter haben ihn wiederauferstehen lassen. Die Kommissare Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) verwitzelten die Fälle mit jeder Folge mehr, der Kriminalfilm wurde zur Krimikomödie, das Schlimmste aber: Stoever und Brockmöller unterbrachen die Täterjagd regelmäßig und musizierten, Brockmöller blies seine Mundharmonika, während Stoever sang und auf einem Tasteninstrument spielte, irgendwo stand immer ein Klavier oder eine Orgel; es fehlte nur noch, dass Stoever sich ein Taschen-Keyboard kauft und in seiner Aktentasche rumträgt – eine Zumutung, dieses Duo, und nur ein bisschen durch Qualität gemildert, denn Manfred Krug ist ja ein erstklassiger Jazzsänger.

AnnenMayKantereit werden bald in einer „Tatort“-Folge mitspielen
Was die beiden Hamburger begannen, das haben die beiden Münsteraner fortgeführt und aufs Grausigste übertrieben: Kommissar Thiel (Axel Prahl) und der Gerichtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) sind eher Comedians als Ermittler, das Publikum jedoch liebt das Gealbere, seit Schimanski hatten keine „Tatort“-Polizisten solche Sympathiewerte. Ein St.Pauli-Proll (Thiel) und ein Bildungsspießer (Boerne) triezen sich gegenseitig und bringen Sprüche, das reizt die Zuschauer. Es wird dahin kommen, dass auch Thiel und Boerne ständig Musik machen, Thiel kann Gitarre spielen, Boerne geigt – die Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) hat eine Stimme wie Tom Waits und singt dann.

München schlägt Münster – mit großem Abstand

Der „Tatort“, der diesem Blödsinn was Neues und Ernstes entgegensetzte und die Serie vor der Münsterisierung bewahrte, kam am 27. April 2008 aus München und hätte auch in Hollywood gedreht sein können: Leidenschaft und Tragödie, Romantik und Perversion, dazu ein Rächer, er handelt ganz alleine und tarnt sich, er gilt als „Der oide Depp“. Ein Wahnsinniger hat zwei Edelhuren getötet und verstümmelt, das war Mitte der 60er-Jahre, die Tatwaffe, ein Dolch, liegt nun plötzlich im Auto des damaligen Puffbetreibers Esslinger (Jörg Hube). Er gerät unter Tatverdacht, sein Hochmut ärgert die Kommissare Batic (Miroslav Nemic) und Leitmayr (Udo Wachtveitel). Sie bekommen einen Assistenten, er heißt Sirsch (Fred Stillkrauth), ist fast 70 und lässt sich gerne mit Opa Sirsch anreden, er trinkt Bier während der Arbeit, nuschelt und grantelt und kann mit dem Computer umgehen. Der Film zerfällt in zwei Teile: hier die Gegenwart, dort München vor 40 Jahren, teilweise Originalaufnahmen.

Es kommt raus, dass die Streifenpolizisten Bernie und Hubert mit Esslinger zu tun hatten, Bernie sich in die Hure Gina verliebte und Hubert durchdrehte und Gina und ihre Freundin schlachtete – Opa Sirsch ist Bernie, er überführt seinen Ex-Kumpel Hubert, der inzwischen ein Fotogeschäft führt, Hubert ersticht ihn. Dieser Münchner „Tatort“ schlägt jeden Münsteraner „Tatort“ ungefähr so, wie Deutschland mit 7:1 gegen Brasilien im WM-Halbfinale 2014 gewann.

„Tatort“ mit Soul und Monstern, die Münchner leisten das oft, seit „Der oide Depp“ auftrat, das zweite Glanzstück lief am 19. Dezember 2010: Rapp, ein Mörder und Vergewaltiger, ist vor Gericht praktisch schon verurteilt, die Indizien und Zeugenaussagen beweisen seine Schuld, aber die Pflichtverteidigerin Zimmer (Lisa Wagner) schafft es durch allerlei Tricks, den Angeklagten freizubekommen, was Batic und Leitmayr genauso entsetzt wie das Opfer Melanie und ihre Familie. Nun kann Rapp, der bei seinem Vater wohnt, sich Melanie wieder nähern; Rapp, dargestellt von Shenja Lacher aus dem Erzgebirge, ist der widerlichste Schwerverbrecher in der „Tatort“-Geschichte“. Schließlich stirbt Rapp, seine Verteidigerin tötet ihn, denn er hatte sie verhöhnt und ihr nach dem Freispruch gestanden, dass er’s doch war. Lisa Wagner durfte dank ihrer Vorstellung als Gute zurückkehren, sie unterstützt Batic und Leitmayr jetzt und analysiert die Fälle (manche Zuschauer irritiert diese Rollenwillkür).

Milan Peschel und Matthias Schweighöfer als perfekte Täter

Die Frankfurter haben einmal was noch Besseres hingekriegt als die Münchner, die Folge „Weil sie böse sind“ schockierte das Publikum am 3. Januar 2010: Der Witwer Herken (Milan Peschel) begeht drei Morde, die Kommissare Dellwo (Jörg Schüttauf) und Sänger (Andrea Sawatzki) verdächtigen ihn gar nicht, am Ende sitzt er auf einer Parkbank, sein Söhnchen, ein Autist, spielt vor ihm, und wer Herken so sieht, möchte ihn in den Arm nehmen. Die Mordwaffe ist ein Morgenstern aus dem Mittelalter, den Millionär Staupen (Markus Boysen) erschlägt Herken zuerst, denn Herken bittet ihn um einen Gefallen, aber Staupen lacht über Herken und sagt, er habe wohl Blutschande mit seiner Schwester betrieben und so einen Geisteskrüppel gezeugt; Herken tötet noch Staupens Bruder, einen Frauenvernichter, er verblutet im Matsch; auch Staupens Schwester, eine Waffenhändlerin, muss sterben – Herken richtet sie in ihrem Haus.

Eigentlich will Herken gar nicht morden, doch Balthasar (Matthias Schweighöfer), der Sohn von Staupen, kann Herken zu den Morden überreden: Balthasar hasst seine Familie und sich selbst und will die Staupens auslöschen. Die beiden Kommissare haben kaum was zu melden in der Geschichte, stören aber auch nicht weiter. Milan Peschel und Matthias Schweighöfer sind als Täterpaar beispiellos in der „Tatort“- Geschichte – angetrieben vom Lob der Kritiker drehten sie hinterher gemeinsam ein paar Komödien, die nicht komisch waren.

Ulrich Tukur im aktuellen "Tatort"
Ulrich Tukur ist „Tatort“-Kommissar und der aktuell beste Schauspieler des Landes.

Nun, am 13. November, also schon der 1000. „Tatort“ seit 1970, die ARD-Bosse hatten gleich zwei Ideen, um das Be- sondere zu würdigen: Der 1000. „Tatort“ hat den gleichen Titel wie der erste „Tatort“ („Taxi nach Leipzig“), und zwei Routiniers aus dem Norden ermitteln. Kommissarin Lindholm (Maria Furt- wängler) und Kommissar Borowski (Axel Milberg) müssen Klapproth schnappen, einen ehemaligen Supersoldaten, er hat wahrscheinlich einen Hau, weil er zu lange in Afghanistan kämpfte, und will seine Exfreundin bestrafen, sie heiratet demnächst Klapproths Feind; zufällig steigen Furtwängler und Borowski ins selbe Taxi, der Taxifahrer ist Klapproth, er fesselt sie. Milberg, der Großkünstler, trifft auf Furtwängler, von der sich ja nur sagen lässt, dass sie versucht zu schauspielern. Mit ihrem Gesicht kann sie kaum mehr rüberbringen als Arnold Schwarzenegger.

Der Geruch der Straße

Dieses Ungleichgewicht entsetzte die Zuschauer schon bei den Kommissaren aus Leipzig – der Theatergigant Martin Wuttke spielt den Keppler, er erträgt seine Kollegin Saalfeld, dargestellt von Simone Thomalla, sie hat so wenig Talent wie keine andere Figur in der „Tatort“-Geschichte. Da Thomalla randurfte, konnten sich etliche Schwachbegabte gerechterweise einbilden, auch sie würden für den „Tatort“ taugen, etwa Nora Tschirner und Til Schweiger.

Der berühmteste „Tatort“, angeblich eine Genietat: immer noch „Reifezeugnis“ aus dem Jahre 1977. Die Hauptdarstellerin Nastassja Kinski (als Sina) und der Regisseur Wolfgang Petersen wurden später Weltstars, eine Fehlbesetzung ist niemandem aufgefallen – Markus Boysen spielt Michael, einen Klassenkameraden von Sina, obwohl Boysen während der Dreharbeiten schon 23 war, Michael müsste demnach siebenmal sitzengeblieben sein, das geht doch nicht. Jeder Zuschauer erinnert sich an die Szenen mit Sina und ihrem Lehrer (Christian Quadflieg), sie schmusen am See, er liegt auf ihr, sie entblößt ihren Busen, gewagt.

Der Regisseur Hajo Gies und Schimanski (Götz George) wagten das Abseitige in Schimanskis ersten Szenen: Er wohnt nicht, sondern haust, der Morgen graut, Schimanski kratzt sich, säuft zwei Eier aus dem Glas und schlurft dann zur Arbeit – er duscht nicht und braucht den Geruch der Straße.

Götz George ist tot
Der sechste Kommissar (ab 1971) hieß Finke, ein Herr, er interessierte sich kaum für Frauen, sein Darsteller Klaus Schwarzkopf liebte nur Männer; der Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp) gefiel sich als Schmierlappen und schlief mit zwei Frauen gleichzeitig. Die Langeweile voll durchgezogen haben die Ossis Ehrlicher (Peter Sodann) und Kain (Bernd Michael Lade), während Blum (Eva Mattes) und Perlmann (Sebastian Bezzel) oft gegen den Schauplatz Bodensee verloren und damit leben mussten,dass der Zuschauer ständig das Gefühl hatte,gleich könnte der Schriftsteller Martin Walser um die Ecke spazieren.

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Steier (Joachim Król) verströmte die Poesie des Verlierers und hat als einziger Kommissar vorgeführt, was es bedeutet, morgens schon Schnaps trinken zu müssen. Seine Partnerin Mey (Nina Kunzendorf) hat mehrere Rekorde im Schnippischsein aufgestellt. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) hätte sich keinen Stacheldraht auf den Oberarm tätowieren lassen sollen, ihr Kollege Mario Kopper (Andreas Hoppe) kann keine Gnocchi zubereiten, der Halb-Italiener ist ihm so nicht zu glauben.

Die Meistunterschätzten sind: Der Hamburger Batu (Mehmet Kurtuluş) und die Saarbrücker Kappl (Maximilian Brückner) und Deininger (Gregor Weber), ihre Drehbücher garantierten Spannung und Drama. Der Hesse Murot hat ein Luxusproblem, denn Ulrich Tukur, sein Darsteller, weiß zu genau, dass er derzeit der beste Schauspieler in Deutschland ist.

Die „Tatort“-Krimis wollen und können verdichten, was in der Gesellschaft gerade passiert – die Einwanderer waren schon 1975 ein Thema. Was endlich mal kommen sollte: Mord an einem Fernsehkoch, während die Kamera läuft (bitte Alfons Schuhbeck in einer Gastrolle!), um das Elend der Kochshows anzuprangern.

Dieser Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe von me.Movies. Eine Übersicht der weiteren Themen gibt es hier: