Die da oben

Zu ambivalent & bitchig-bossy: Warum Twenty4tim das Feindbild der Stunde ist


Man muss die Musik von Twenty4tim nicht gut finden, um ihn in den Arm nehmen zu wollen. Die aktuelle Hitparaden-Kolumne von Julia Lorenz.

Irgendwann, wenn man ein bisschen durchgeatmet hat nach Tim Kampmanns Song „Galaxie“, der kürzlich nur knapp die Spitzenposition der deutschen Singlecharts verpasste, will man ihn mal so richtig doll in den Arm nehmen. Immerhin hat der TikTok-Star und Influencer schon mehr durchgemacht, als gut sein kann für einen erst 22-Jährigen: Essstörung, Mobbing, ein Fernsehauftritt mit Oliver Pocher, mittlerweile widerlegten Gerüchten zufolge sollte es – an der Seite von Giganten der Unterhaltung wie der YouTuberin Lisha – auch noch ins Dschungelcamp gehen. Die ganz normale deutsche Entertainmenthölle.

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Gut, Pocher hat und Dschungel hätte sich Kampmann selbst eingebrockt. Doch ansonsten kriegt der Kölner, der sich Twenty- 4tim nennt und in Prä-Stardom-Zeiten Lehrer werden wollte, wirklich sehr viel mehr Grässliches ab als artverwandte Social-Media-Entertainer, obwohl er vor allem tut, was Internetmaskottchen tun müssen: unterhaltsam sein. In seinem Fall heißt das: lustige Videos, in denen er sich schminkt und stylt. Seit einigen Monaten dazu auch kirmeshafte Popsongs, die einem in ihrer Stampfigkeit zwar ordentlich auf die Nüsse gehen, aber der „Hate“, den der ehemalige „Bachelor“-Kandidat Niko Griesert als Fernsehmoderator im „Galaxie“-Video anspricht, der kommt woanders her.

Ein Feindbild für viele, die ihre YouTube-Stars gern geschlechtlich weniger ambivalent haben

„Deutschland ist gar nicht ready für so einen Typen mit bitchigem-bossy Vibe“, hat Twenty4tim, der Hellsichtige, einmal gesagt – und damit recht gehabt. Als Mann, der sich die Nägel krallenhaft stylt und auch mal Drag trägt (etwa im Video zu seinem anderen, ebenso absurd erfolgreichen Song „Gönn dir“ von 2022), ist er ein Feindbild für viele, die ihre YouTube-Stars gern geschlechtlich weniger ambivalent haben.

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Und das ist furchtbar. Denn solange Twenty4tim Hatespeech und ganz konkreten Bedrohungen ausgesetzt ist, muss man ihn verteidigen: für seine unterhaltsamen, durchaus lustigen, prall überdrehten Videos – und für die Sache. Aber wenn der Welt die Styling- und Sexvorlieben von Queers endlich mal angemessen egal sind, könnte man auch mal ausführlich darüber reden, was für ein grässlicher Song „Galaxie“ ist.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 02/2023.

Der Musikexpress 02/2023 mit Eurythmics, John Cale, Iggy Pop & Hotlist-Special