„Wir können nicht anders” auf Netflix: Hochpolitischer Weihnachtstrip aufs rechte Land
Netflix ist nun auch Spielwiese für Filmemacher*innen, die sich nicht mit Fernsehredaktionen oder Til Schweiger herumschlagen möchten. Detlev Bucks „Wir können nicht anders” ergreift die Gelegenheit beim Schopf und kommt politischer daher, als jeder Vorweihnachtsfilm im linearen Programm. Aber reicht das auch, um über mehr als anderthalb Stunden gut unterhalten zu werden?
Ja was denn nun? Nach „Wir können auch anders…”, einer Nachwendesatire von 1993, scheint es sich Detlev Buck fast 20 Jahre später dann doch anders überlegt zu haben. Sein neuer Film heißt „Wir können nicht anders”. Und der ist jetzt bei Netflix zu sehen.
Es geht um Edda (Alli Neumann): „Kleiner Koffer, kein Geld”, umreißt das Voiceover den Charakter kurz und bündig. Das muss erstmal reichen. Sie will raus aus Berlin, zurück aufs Land zu ihrer Familie. Dafür reißt sie kurzerhand Juniorprofessor Samuel (Kostja Ullmann) auf, um sich von ihm aus der Großstadt in die Pampa kutschieren zu lassen. Doch der lustige Roadtrip der beiden Turteltäubchen nimmt ein jähes Ende, als sie mitten im Nirgendwo eher zufällig einen Mord verhindern und damit ins Visier einer Gruppe von Dorfgangstern geraten.
Und damit sind wir schon mittendrin. Dort, wo nach der Wende vielleicht noch Hoffnung bestand, dass die Dinge besser – oder zumindest anders – werden. Heute herrscht große Ernüchterung. Stichworte: Strukturwandel, Landflucht. Irgendwann kann man eben nicht mehr anders, weil es keine Perspektive mehr gibt. Und dann übernehmen die Aasgeier die Macht, die sich von Sorgen und Ängsten der Menschen ernähren.
Hochpolitisch bei fehlender Kohärenz
Dass „Wir können nicht anders” mehr als nur ein Film voller skurriler Charaktere ist, wird schnell klar. Denn Detlev Bucks Vorweihnachtskrimi ist gleichzeitig hochpolitisch. Dass die Gangster mit ihren einheitlichen Outfits und Anführer Herrmann (Sascha Alexander Gersak) mit seinem Mantel wie die Fähnlein-Fieselschweif-Version des örtlichen Arierclubs aussehen, ist nämlich kein Zufall. Sie sind die kleingeistigen Auswüchse einer ganz realen Entwicklung im ländlichen Raum, wo sich jenseits großartiger Öffentlichkeit und einer strukturell geschwächten Zivilgesellschaft völkische Siedler*innen ihre Rückzugsräume suchen und auch ohne Widerstand finden. Es sind Orte wie diese, die rechtsextreme Politiker*innen als ihr „Bullerbü” bezeichnen.
Detlev Buck verwebt all das elegant mit einigermaßen solider Unterhaltung zu seinem Film. Der politische Subtext hält bei Stange, während Anflüge einer kohärent erzählten Handlung genauso schnell wieder zerfasern, wie sie angeteasert werden. Es ist ein bisschen wie Katja (Sophia Thomalla), die Dorf-SS-Boss Herrmann ein „Du langweilst mich” an den Kopf wirft und man als Zuschauer*in irgendwann am liebsten „Du mich auch!” zurück in Richtung Bildschirm brüllen möchte. Was letztlich fehlt, sind Plotpoints, die die Geschichte interessant verdichten und vorantreiben.
Skurrile gestalten erzählen vom Strukturwandel
Auf der Haben-Seite bleiben die verschiedenen Charaktere, die das fiktive Dorf im mutmaßlichen Brandenburg bevölkern. Es ist der wortkarge Bürgermeister Sigi Köhler (Detlev Buck), der ohne Widerspruch die Schnullernazis im Dorf schalten und walten lässt. Es ist Herrmann als herrliche Karikatur eines machtgeilen Kleingeistes. Es ist Rainer (Peter Kurth) mit seiner Vorliebe für Kalaschnikows und Saunagänge – gerne auch in Kombination. Und es ist der Polizist Frank (Frederic Linkemann), der sich in seiner Freizeit vermutlich hauptsächlich in Incel-Foren herumtreibt, Frauen nur als Nachwuchsmaschinen für das schrumpfende Dorf begreift und in feinster NS-Manier Intellektualismus als eine der Wurzeln allen Übels versteht: „Promovieren würde ich auch gerne. Aber wer soll dann noch anpacken, wenn das jeder machen würde?”
Es sind alles traurige Gestalten, die den Absprung verpasst haben, die dem Strukturwandel nicht hinterherkommen, die die Politik sicherlich über lange Zeit aus den Augen verloren hat. Aber es sind eben auch Menschen, die auf Schuldfragen nur mit einfachen Antworten aufwarten wollen und das als „Entschuldigung” für ihren Menschenhass missbrauchen.
Wo ist die plakative Kante?
Detlev Buck versucht sich nicht an einer Lösung, sondern erarbeitet eher eine Bestandsaufnahme. Für das fiktive Dorf scheint es – zumindest menschlich gesehen – eine Zukunft zu geben. Aber mit einem „Alles wird gut” ist es in der echten Welt nun mal leider nicht getan. Letztlich fehlt es an klarer und vielleicht auch extra dem Ton des Films angemessener, plakativer Kante.
Und trotzdem ist Buck dafür zu gratulieren, dass er einen vermeintlich harmlosen Weihnachtskrimi derart politisch auflädt und sein Publikum nicht mit halbgaren Plattitüden abspeist. Vielleicht hat der deutsche Mainstream also doch eine Zukunft – und zwar auf Netflix, abseits von unverständlich agierenden Fernsehredaktionen und Til Schweiger.
„Wir können nicht anders” von Detlev Buck ist seit dem 4. Dezember weltweit auf Netflix zu sehen. In den Hauptrollen spielen Kostja Ullmann, Alli Neumann und Sascha Alexander Gersak. Die Laufzeit beträgt 1 Stunde und 45 Minuten.