„WENN MAN UNS FÜR KASPERL HÄLT, IST UNS DAS WURSCHT!“
Es ist eine seltsame, aber irgendwie idyllische Szene: Zwei bärtige Herren in Badeanzug und Bikini verbringen den Tag im Wald. Der eine reißt ein paar Grasbüschel aus dem Boden, der andere sonnt sich. Plötzlich schnauzen sie einander an: „Holt die Gosch’n!“ – „Halt’s Maul!“ Dann beginnt der Herr im Bikini über einen gewissen Kohlhauser zu schimpfen, einen Fleischer aus der Region. Der habe dem Alkohol zu sehr zugesprochen und daraufh in 80 Hektar seines Grundes verkaufen müssen, um dem Bankrott zu entgehen. „Abkassieren, das kann er“, entrüstet sich der Bikiniträger mit starkem steirischen Akzent. „Obkassieren, obkassieren, obkassieren.“
Der Song „Kohlhauser“ des österreichischen Duos Koenigleopold wurde samt seinem eigenartigen Video zum kleinen YouTube-Phänomen. Nachdem der alternative Radiosender FM4 das Lied ins Programm genommen hatte, bellten bald Jugendliche in ganz Österreich den Refrain nach: „Holt-holt-holt die Gosch’n!“ Einer fand das alles gar nicht lustig: Josef Kohlhauser, seines Zeichens Fleischer im oststeirischen Ort Mönichwald, bezog den Text auf sich und fühlte sich von dem „Schandlied“ beleidigt. Nun fordert er zehn Cent Schmerzensgeld pro YouTube-Klick. „Entschädigung möchte ich haben“, sagte Kohlhauser in einem TV-Interview mit dem ORF. „Und das Lied komplett weg von der Welt.“ Das Ergebnis war natürlich das genaue Gegenteil: Der Medienrummel brachte dem „Kohlhauser“-Clip erst recht Klicks (mittlerweile über 355 000). Jetzt kommunizieren Metzger und Band nur noch über ihre Anwälte miteinander.
Leo Riegler und Lukas König, die beiden Mitglieder von Koenigleopold, wollen das Thema Kohlhauser daher lieber vermeiden. Nur vorsichtig äußern sie sich zur Entstehung des Textes. „Uns war nicht bewusst, was das für Auswirkungen haben kann“, sagt Sänger/MC Riegler. „Sprache ist für uns ganz einfach Rhythmus und Melodie. Es gibt schon eine Sub-Message, aber nicht jedes einzelne Wort spielt eine Rolle.“
Das gilt nicht nur für „Kohlhauser“, sondern auch für die anderen Stücke, die die Band auf ihrer Debüt-EP „Aalfang“ voriges Jahr veröffentlicht hat: In „Ragga Drum“ presst Riegler krude Wortkreationen auf abgehackte Rhythmen. „Brieflosshow“ beginnt als Ode an TV-Moderator Peter Rapp und endet mit den Worten „Komm, lutsche meine Eier“. Entstanden ist die Zeile, wie vieles bei Koenigleopold, beim Herumalbern. „Wir waren im Proberaum und beide irgendwie angepisst voneinander“, erinnert sich Riegler. „Dann hat Lukas einen Beat gespielt, den wir zuerst gar nicht ausstehen konnten. Ich habe einfach irgendwas mit dem Vocoder darübergesungen, und dabei ist dann eben diese Zeile entstanden: ‚Lutsche meine Eier‘.“
Seit 2005 arbeiten Riegler und König bereits zusammen, spielen in Bands und drehen experimentelle Videos. 2006 haben sie ein konsumkritisches Theaterstück mit dem Titel „Prospekt“ geschrieben, das mit dem österreichischen Jungwildpreis für Nachwuchstheater ausgezeichnet wurde.
Kennengelernt hat sich das Duo beim Künstlerkollektiv JazzWerkstatt Wien, einer Spielwiese für junge Jazzmusiker. Lukas, 25, kommt aus St. Pölten und hat eine klassische Musikausbildung am Konservatorium absolviert. Leo, 27, stammt aus Graz und ist Autodidakt. Durch ihre unterschiedlichen Backgrounds entsteht eine besondere Dynamik, die sich auch beim Songwriting niederschlägt. „Ich bringe die Texte oder Ideen zu einem Genre mit, und Lukas macht Harmonien und die Rhythmik“, sagt Riegler.
Dabei entsteht eine Stilmischung, die manchmal an den Breakcore von Otto von Schirach und an den Experimentalrock von Fantômas erinnert: Wild schmeißen Koenigleopold HipHop-, Elektro-, Noise- und Jazz-Einflüsse durcheinander. Die Rhythmen lassen sie sich von der Sprache diktieren – je nachdem, ob es sich dabei um Denglisch, Hochdeutsch oder eben das oststeirische „Bellen“ von „Kohlhauser“ handelt. „Sprachrhythmik wird in der Musik normalerweise sehr vereinfacht verwendet. Wenn man normal redet, kommen die Wörter anders heraus“, erklärt König. „Wir wollen die Regeln aufheben.“
Neben Sprache und Musik spielt auch der visuelle Auftritt von Koenigleopold eine wichtige Rolle. Besonderes Augenmerk legt die Band auf ihre Videos, sei es der aufwendig durchchoreografierte Clip zur ersten Single „Heat The Water“ oder eine rätselhafte Performance namens „Kanguru“, die Leo bei YouTube hochgeladen hat. „Uns ist die Form wichtig, in der man sich als Band präsentiert“, erklärt Riegler. „Viele produzieren zuerst ein Album. Wir haben versucht, andere Wege zu finden.“
Auch live: Bei Konzerten tragen Riegler und König himmelblaue Anzüge über ihren nackten Oberkörpern. Leo bedient die Turntables, rappt und dilettiert an der Klarinette. Lukas spielt Schlagzeug und Synthesizer – oft gleichzeitig. Auf Avantgarde-Jazz lassen Koenigleopold Rave-Beats, Improv-Stücke und elegische Pianoeinlagen folgen. „Auf der Bühne manifestieren sich unsere Stücke, wie sie wirklich sind“, sagt Riegler. „In Linz haben wir ein Konzert gespielt, bei dem hat alles extrem gut funktioniert: Wir haben vorher viel ferngeschaut und dann die Sachen, die wir lustig fanden – die „Alltagsgeschichten“ (Dokumentarreihe des ORF – Anm. d. A.) oder Dauerwerbesendungen -, einfach auf die Bühne transferiert. Das hat uns extrem amüsiert.“
Mittlerweile sind die Live-Qualitäten von Koenigleopold über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. So wurde die Band im Februar zum renommierten 12 Points Jazz-Festival in Dublin eingeladen. Auch auf dem Fusion Festival, dem mehrtägigen Rave-Wahnsinn zwischen Hamburg und Berlin, spielten sie, im April folgten vier Konzerte in Japan. „Die Menschen dort sind alle sehr höflich. Es war eher still während der Konzerte“, sagt König. „Aber was wir machen, ist auf jeden Fall verstanden worden“, fügt Riegler hinzu. „Die eigentliche Message versteht man, auch wenn man eine andere Sprache spricht.“
Nicht alles, was Koenigleopold machen, lässt sich jedoch in Worten erklären. Man muss ihre Kunst einfach hinnehmen und auf sich wirken lassen. Dadaismus könnte man das nennen. König findet schönere Worte: „Vielleicht glauben manche, dass wir zwei Kasperl sind, aber das ist uns wurscht. Wir verstehen uns super und glauben an das, was wir machen.“ „Es wär ja auch langweilig, wenn jeder alles verstehen würde“, fügt Riegler hinzu.
Seit ihrer Rückkehr aus Asien konzentriert sich die Band auf die Arbeit an ihrem ersten Album: EURE ARMUT KOTZT MICH AN erscheint im November. „Pro verkaufter CD spenden wir einen Euro an die Bankenrettung“, sagt Riegler. Und das ist kein Scherz! Einen neuen Fleischersong wird es hingegen nicht geben. König: „Es gibt Erwartungshaltungen, die wir nicht erfüllen wollen.“ Trotzdem ist Riegler zuversichtlich, dass Koenigleopold an den Erfolg von „Kohlhauser“ anschließen werden: „Auf dem Album gibt es so viele Angriffspunkte: einen Suizid-Rap, Schlager, ziemlich schiachen HipHop“, sagt er. „Da wird sich sicher wieder irgendjemand aufregen.“
CD im ME S. 19