Was soll jetzt noch kommen?


Solcher Zauber hat keine einfache Formel: Die magische Harfenistin Joanna Newsom hat sich so unglaublich viel vorgenommen. Und alles erreicht.

Pop ist kurz. Und schnell. Und meist schnell wieder vorbei. Anders als der folgende, der eigentliche Einstiegssatz in diesen Text. Und anders als fast alles, was Pop im hier vorgestellten Universum bedeuten kann:

In einer Zeit, in der die meisten sog. Konsumenten mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne ein Album schon deshalb nicht kaufen mögen, weil es nur fünf Songs enthält, die unfassbarerweise auch noch bis zu knapp 17 Minuten lang sind und deren Texte schlappe 24 Seiten (klein gedruckt!) im Booklet umfassen, fällt die Feststellung, dass es sich bei YS um die berührendste, originellste, komplexeste und also beste Veröffentlichung einer Solo-Künstlerin in diesem Jahrtausend handelt, auf wenig fruchtbaren Boden. Behauptungen wie diese werden doch ohnehin nur dann aufgestellt, wenn der Autor ein Verhältnis mit der Künstlerin hat oder vom unfassbar reichen Label Drag City, bei dem u.a. Megaseller wie Smog, Silver Jews und Bonnie „Prince“ Billy veröffentlichen, mit mindestens einer Eigentumswohnung bestochen wurde. Oder etwa nicht?

Gut, dass die zartgliedrige Harfenistin Joanna Newsom, die hinter diesem Meisterstück steckt, selbst am besten weiß, was ihr da in einjähriger Arbeit unter Mitwirkung von rund 40 Studiomusikern gelungen ist: „Als die Arbeiten beendet waren.fühlte ich mich glücklich und zufrieden; oberes beunruhigte mich auch irgendwie, dass das Ergebnis der Aufnahmen so nah an dem lag, was ich mir vorgenommen hatte. Ich dachte mir: Was soll jetzt noch kommen? Alles, was mir wichtig war und interessant erschien, war ja auf dieser Platte. Wenn ich ys heute höre, habe ich keine Vorstellung davon, wie sie für irgendjemand anderen klingen könnte.“

Und dann spricht Joanna von jenem äugen- und vor allem ohrenscheinlichsten Detail, welches sie ohnehin schon weit abhebt von dem, was Pophörer gemeinhin vom Pop erwarten: ihrer Harfe. Darüber, wie sehr sie das Instrument, das sie seit ihrem achten Lebensjahr spielt, vermisst, wenn es so wie jetzt einmal zwei oder drei Tage nicht in Reichweite ist. Und würde ihrer Harfe etwas zustoßen … nicht auszudenken!

SJ6 kennen Joanna NeWSOm also nun ein wenig und wundern sich vielleicht über ihr Instrument… Nun, sie sollten sie erst einmal singen hören! Das häufigste Argument gegen die Künstlerin war schon zu Zeiten ihres weitaus karger instrumentierten Debüts THE MILK-EYED MENDER ihre (inzwischen kräftiger gewordene) Stimme. Nur sehr weit von der Wahrheit entfernt erinnert diese allenfalls an Victoria Williams oder Srina Nordenstam. Joanna, die uns kein bisschen affektiert mit einer Wollmütze auf dem Kopf gegenübersitzt, muss grinsen. „Ich kenne einige Leute, die meine Stimme seltsam finden und immer wieder versuchen, mich in eine Diskussion darüber zu verwickeln. Aber wiesoll ich eine objektive Meinung zu meiner eigenen Stimme haben? Wir reden hier über das Geräusch, das aus meinem Körper kommt, wenn ich den Mund öffne.Die Art, wie ich singe, ist keine ästhetische oder künstlerische Entscheidung.“

Auch die hilflosen Versuche, die Musik der kindlichen Kalifornierin, die in einem so Musik- wie Hippie-affinen Umfeld aufwuchs, in ein wie auch immer geartetes Schema zu pressen, sie als „die neue Björk“ oder gar als „neue Kate Bush“ zu bezeichnen, nimmt sie mittlerweile gelassen hin. Nur gestern habe sie sich doch aufregen müssen. Ein Interviewer, der vehement Auskunft über obskure neue Bewegungen wie den „Freak Folk“ oder „New Weird America“ einholen wollte und ihr unterstellte, sie sei selbstverständlich Teil dieser Bewegung, machte sie wütend: „Er nannte mir meine angeblichen Einflüsse und nahm Bezug auf einige meiner angeblichen Freunde. Das waren zum Teil Menschen, denen ich noch nie begegnet bin… Kate Bush ist großartig. Björkist großartig. Deswegen versuche ich diese Vergleiche mit einem Lächeln zu nehmen. Zu CocoRosie möchte ich lieber nichts sagen, und die Incredible String Band (mit der Newsom vor knapp zwei Jahren sogar durch Amerika tourte – Anm. des Verf.),ja, die war wirklich immer ein großer Einfluss für mich“

Zu einem nicht minder großen Einfluss wurde nun auch der altehrwürdige Van Dyke Parks, nachdem Joanna von ihrem Freund Bill Callahan aka Smog (der bei „Only Skin“ im Background brummt) eines Tages das bei Kritikern hochgeschätzte Parks-Debüt SONG CYCLE aus dem Jahr 1968 geschenkt bekam. Nach nur drei Hördurchläufen war klar, dass kein anderer als Parks die erlesenen Orchester-Arrangements auf YS verfassen sollte. Zwischenfrage: Aber ist dieser Mann nicht unglaublich teuer?

,Als ich ihn das erste Mal traf und ihm meine neuen Songs in einem Hotelzimmer auf der Harfe vorspielte, stimmte er sofort zu, warf aber ein: ,Du weißt schon, dass ich von allen hierin der Stadt am teuersten bin, oder?‘ Mit dieser ,Stadt‘ war Hollywoodgemeint. Dann aber fügte er schnell hinzu, dass er wisse, dass ich auf einem kleinen Label bin, das nicht viel Geld hat. Schließlich arbeitete Van Dyke Parks insgesamt sieben Monate intensiv mit mir zusammen und überschritt sehr rasch die Grenze vom bloßen Arrangeur zum Produzenten.Und er tat das letztendlichfast für umsonst.“

Ganz Vorzüglich fügt Sich nun das von Van Dyke Parks dirigierte Orchester in die fragilen, fast gläsernen Songs ein, erklingen die Violinen, Violas, Celli und Klarinetten zu Newsoms pastoralen Bildern von Liebe, einsam durchwachten Nächten und Vergänglichkeit. Darf man ein Album, dass genau fünf Geschichten von fünf verschiedenen Standpunkten aus erzählt, das von Bären, Affen, Sperlingen, Schleppdampfern, Meteoriten und Joannas Schwester Emily berichtet, Konzeptalbum nennen? „Nun, als ein Konzeptalbum würde ich es nicht bezeichnen. Es steht eher für vier sehr gravierende Dinge, die mir im Zeitraum von einem Jahr passiert sind. Eines dieser Dinge war ein Todesfall. Es gibt auf der Platte ja viele Textstellen, in denen es um den Tod geht. Insgesamt kann man vielleicht sagen, dass vier Lieder jeweils grob von den vier Dingen handeln, die mir widerfahren sind, während der Song ,Only Skin‘ all diese Ereignisse auf eine bestimmte Art und Weise zusammenfasst.“

Am Ende wird klar: Eine einfache Formel, die den Zauber von YS erklärt, gibt es nicht. Man wird dieses Album hunderte Male hören oder nur einmal, es wieder weglegen und nicht begreifen: Some girls are bigger than others.