Warum wir jetzt die Wiederauferstehung der „Tussi“-Ästhetik feiern
Bis gestern verpönt, kehrt das Tattoo über dem Po als Revival-Trend zurück.
Was sich nicht alles reclaimen lässt! Zum Beispiel der öffentliche Raum (für Outdoor-Raves und unangemeldete Demos) oder das Adjektiv queer. Das war ja einst ein Schimpfwort, bis Aktivist:innen und Betroffene es positiv umdeuteten. Ähnlich wird jetzt das „Arschgeweih“ reclaimed. Dies beobachtet nicht nur die „Teen Vogue“. Der Tattoo-Trend der Nullerjahre, sich den unteren Rücken mit Tribal- oder Vögelchen-Motiven zu dekorieren, erntete lange nur noch Spott, und noch viel misogyner als der deutsche Begriff war dabei der englische: tramp stamp, zu deutsch etwa „Schlampenstempel“.
Aber: Die Gen Z, so schreibt „Teen Vogue“, eignet sich das lower back tattoo jetzt als „sign of resilience“ wieder an, als feministisches Zeichen des Widerstands. Als Beispiele werden Miley Cyrus und Lourdes Leon, Madonnas Erstgeborene, genannt. Erstere hat sich Tiger und Drachen über den Po stechen lassen, Letztere ein geflügeltes Herz. Die beiden reihen sich jetzt ein zwischen Britney Spears (kleine Fee), Kate Moss (zwei Schwalben) und viele andere, die ihre Tattoos über dem Po noch aus den noughties haben.
Die Wiederauferstehung der „Tussi“-Ästhetik
Die deutsche „Vogue“ schreibt, das Comeback dieser Tattoo-Mode gehe „auch mit der Wiederauferstehung der ‚Tussi’-Ästhetik einher“. Bekanntlich feiert die moderne „Tussi“ – siehe etwa Shirin David – ganz selbstbestimmt ihre Hyperfemininity, sprich: nur für sich, nicht für den Blick der Männer. Und ja, warum sollten sich frauenfeindliche Narrative nicht auch mit Tattoos kontern lassen?
Wobei ein noch deutlicheres Zeichen für die erfolgreiche Entstigmatisierung und Umdeutung des Arschgeweihs ja wäre, wenn jetzt auch mehr Männer sich eins stechen ließen. Hier muss man noch suchen. Obwohl David Beckham schon vor Jahren gezeigt hat, dass die sogenannte Michaelis-Raute – zwischen Steißbein, Lendenwirbelsäule und den Pobacken – ein guter Ort sein kann. Bei Beckham steht da der Name seines Sohnes Brooklyn.
„Highsnobiety“ hat in einem Beitrag zum Thema kürzlich immer hin zwei Männer zitiert, die stolz auf ihr frisches lower back tattoo sind, unter anderem Charles Raben aus New York. Er war Hedge-Fund-Manager, ist jetzt Privatkoch, Bodybuilder und Instagram-Model. Das fein ziselierte Tribal über seinem Po hat seine Frau ihm gestochen: „Sie versteht genau, wie das Werk mit meinem Körper verschmelzen soll, sodass es die starken Linien und Formen aus dem Bodybuilding betont“, sagt Raben. Ob das auch in zehn Jahren, wenn er Mitte 30 ist, noch hip aussieht? Die Zeit wird’s zeigen. Falls nicht: Das nächste Revival kommt bestimmt.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 5/2024.