Waldmeister
Wer die Grundregeln der Branche ein wenig kennt, weiß: Populäre Musik ist Stadtkultur. Sie gedeiht am besten unter dem Neonhimmel der Metropolen, ihr Sauerstoff sind Abgase, ihr Humus ist Asphalt. Um so erstaunlicher*, daß in den letzten Jahren die wichtigsten Akzente von Formationen gesetzt wurden, die abseits urbaner Zentren in den Provinzen heranwuchsen: U2 in Irland, The Alarm in Wales -— und, als wichtigste Vertreter der sogenannten „schottischen Renaissance“, BIG COUNTRY.
Bei allen Genannten sind die Gemeinsamkeiten größer als die Unterschiede. So teilt Stuart Adamson, als Gitarrist, Texter und Sänger zugleich auch Chefdenker der Highlander-Kapelle, die Abneigung seiner Kollegen gegen den technischen Overkill der Synthesizer-Generation, gegen das parfümierte Image der Mode-Gockel und die leidenschaftslose Ware „Pop“. „Also, ehrlich gesagt, britische Chartmusik kann ich mir überhaupt nicht anhören. Ich finde diese Heulbojen und ihr Synthi-Gezirpe einfach schrecklich. Die Musik hat keine Perspektive, kein Herz, nichts.“
Das ist natürlich bei Big Country und Gesinnungsgenossen ganz anders. Mit uneitler Freude und reinem Herzen stellten sie die Hegemonie der Gitarre wieder her, koppelten ungestüme New Wave-Kraft ans folkloristische Gestern und trugen — Blut, Schweiß und Schottenkaro — Nationalstolz zur Schau. „Was soll ich in London? Da regiert doch nur das alte Hollywood – Starsystem. Man verkauft Illusionen, Träume, Schäume. Jeden Tag kann man etwas über diese Popbands in den Zeitungen lesen, jeden Tag kommen diese billigen Platten auf den Markt …“
Kein Wunder bei dieser mannhaft ehrlichen Einstellung: Adamson, brav verheiratet mit Sandra und stolzer Vater von Filius Callum, blieb nach der Auflösung der Skids, bei denen er seinerzeit in die Saiten griff, im „heimischen Dunfermline. In dieser mittelgroßen Industrie- und Hafenstadt am River Forth nördlich von Edinburgh, fand er nicht nur seinen (Gitarren-)Partner Bruce Watson, sondern auch Themen für spätere Songs über wirtschaftliche Depression („Steeltown“). Militarismus („Flame Of The West“) oder Geschlechterkrieg („Raindance“).
In Dunfermline entstand auch der berühmt-berüchtigte und gar nicht so natürliche „Dudelsack“-Sound der Zwillingsgitarren, der -— gestützt von Bassist Tony Butler und Schlagzeuger Mark Brezicki, zweimal produziert von Steve Ullywhite —; seinen Siegeszug durch die angelsächsische Musikwelt antrat. In der Bundesrepublik hat der runderneuerte, wertbewußte Schotten-Rock mit seinen weit wogenden Melodielinien, seinen irisch-keltischen Zwischenfarben und seiner romantischen Vitalität noch nicht richtig gefaßt. Aber wer weiß: Vielleicht werden die Waldmeister mit ihrem neuen Oeuvre THE SEER auch hierzulande Weltmeister?