Waits statt Wenders
Und auch Everetts Hund durfte mitheulen - auf dem Opus Magnus der Eels, das die alten Geister vertreiben soll.
Es soll Leute geben, die halten Pop für eine Art Paralleluniversum. So falsch liegen sie damit nicht. Bei quantenmechanischen Messungen in den 40er Jahren hatte sich nämlich herausgestellt, daß die denkbar kleinsten Teilchen der Materie an zwei Orten gleichzeitig auftauchen konnten. Ein absurdes Problem, für das 1957 der Physiker Hugh Everett mit seiner „Viele-Welten-Theorie“ eine kühne Lösung vorstellte: Wenn das, was das Universum im Innersten zusammenhält, parallel an zwei Orten gleichzeitig erscheinen kann, dann muß es auch parallele Universen geben. Eine Idee, an der sich seitdem nicht nur Nobelpreisträger und Philosophen, sondern auch zahllose Science-fiction- und Fantasy-Autoren abgearbeitet haben. Ohne Everetts These vom Paralleluniversum wäre nicht nur „Star Trek“ wesentlich langweiliger, es gäbe auch keine „Matrix“. Ohne Hugh Everett gäbe es aber auch nicht so schöne Pop-Alpen wie BEAUTIFUL FREAK und DAISIES OF THE GALAXY oder, ganz neu: BLINKING LIGHTS AND OTHER REVELATIONS. Denn die schuf Mark Everett unter dem Bandnamen Eels, und der ist der Sohn von Hugh Everett. Der berühmte Vater starb allerdings schon 1982, da war Mark Everett noch ein Kind. 1996, als er sich schon „E“ nannte und mit „Susan’s House“ seinen ersten Hit hatte, beging seine Schwester Elizabeth Selbstmord. „Mir wäre es ebenso ergangen“, meint Mark Everett, „wenn ich nicht die Musik entdeckt hätte.“ Zwei Jahre später, 1998, stirbt seine Mutter Nancy an Krebs. „Plötzlich war ich der einzige Überlebende meiner Familie“, sagt Everett und lächelt. Vor acht Jahren, bei unserem ersten Gespräch, war diese Seelenwunde noch frisch, da lächelte Everett nicht. Er machte damals überhaupt nicht den Mund auf. „Wirklich“, fragt er heute, schüttelt den Kopf und zuckt mit den Schultern: „Zum Glück habe ich alles vergessen, was in den 90ern passiert ist.“ Und zum Glück versteckt er sich heute nicht mehr hinter seiner Schweigsamkeit. Auch der bizarre Vollbart, mit dem er seine Fans 2001 verschreckte, ist gestutzt. Er blinzelt sogar ohne Sonnenbrille ins Sonnenlicht, das durch das Fenster seines Hotelzimmers am Sunset Boulevard auf den weißen Stoff der Couchgarnitur fällt. Ein Plauderer ist er immer noch nicht. „Die Verkleidungen waren meine Reverenz an einen Serienkiller, der seine Opfer nicht nur töten, sondern auch ihre Seelen stehlen wollte. Die Presse nannte ihn deshalb ,Souljacker‘, und ich fand das Thema so spannend, daß ich mein Album danach benannte. Ich muß zu dieser Zeit wirklich gefährlich ausgesehen haben. An Flughäfen bekam ich Probleme, wurde ständig gefilzt. Meine Cousine Jennifer meinte damals, daran sei ich selbst schuld. Sie arbeitete als Stewardeß bei United Airlines, sie mußte es wissen“, sagt er, nimmt kurz die Baselballmütze ab und kratzt sich am Kopf: „Jennifer war an Bord der Boeing, die am 11. September 2001 auf das Pentagon stürzte. Und am 24. September kam die Platte raus, auf deren Cover ich aussah wie ein verdammter Terrorist.“
Seitdem schrieb Everett an seinem Opus Magnus, einem Album, das alle Flüche der Vergangenheit bannen soll. Seine letzte Platte, SHOOTENANNY!, entstand spontan, sozusagen aus der Hüfte, als Ablenkung von seinen Gespenstern und der intensiven Arbeit an BLINKING LIGHTS … Und dieses Album ist schließlich viel heiterer geraten, als man hatte erwarten dürfen. Mit seinen melodischen Zwischenspielen erinnert es in seinem harmonischen Reichtum sogar ein wenig an Badly Drawn Boys Soundtrack zu ABOUT A BOY. „Korrekt“, sagt Everett und erklärt: „Die Platte war mal als Soundtrack zu einem Film gedacht, den Wim Wenders drehen wollte, mit mir in der Hauptrolle. Daraus ist nichts geworden.“ Zum Glück, möchte man fast sagen, denn sonst wäre es vielleicht nicht zu den beiden lustigsten Gastauftritten auf BLINKING LIGHTS … gekommen. „Es stellte sich heraus, daß Tom Waits alle meine Platten gehört hat! Ich meine: Tom Waits“, ruft Everett und breitet die Arme aus. „Wir haben telefoniert, und er fand die Idee klasse, bei dem Album mitzuwirken. Also schrieb ich einen sehr untypischen Song für ihn, ,Going Fetal‘, da konnte Tom herrlich losheulen.“
Das durfte auch der andere Gastsänger: Bobby Junior. „Bobby Junior ist mein Hund“, sagt Everett und schmunzelt, „und bei bestimmten Tönen kann er einfach nicht anders, als sich in Positur zu werfen und loszuheulen.“ Gibt es auch einen Bobby Senior? „Ich bilde mir immer ein, daß es der Hund ist, den man auf dem Cover sieht. Denn wir hatten mal einen Hund, an den ich mich aber kaum erinnern kann“, sagt Everett über den verblassenden Schnappschuß seiner Mutter, die auf einer Wiese hockt und einen Hund streichelt:
„Auf der Rückseite des Fotos steht sogar ein Name. Aber, verdammt, ich kann ihn einfach nicht entziffern.“
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