Von Monstern und Mutanten


Hype -— die Kunst, aus einer Null eine Nr. 1 zu machen; die Dreistigkeit, heiße Luft als heiße Kartoffeln zu verkaufen. Und es klappt immer wieder. Jüngstes Beispiel: Sigue Sigue Sputnik. Steve Lake stieg hinab ins Laboratorium, um Dr. Hypenstein und seinen Monstrositäten über die Schulter zu schauen.

Hype???“ Das Wort schrillt aus dem Hörer. Sigue Sigue Sputniks PR-Büro an der Strippe. „Aber sie sind keine Hype! Sie sind erfolgreich, weil sie so tolle Einfalle haben und so großartig aussehen, weil es bei ihnen um Zukunft und Optimismus geht. Sie sind nicht grau und fade wie ein Paul Weller! Nichts gegen ihn persönlich, aber was kümmern sich die Kids schon um Politik ? Kids wollen ihren Spaß! Verstehst du, was ich meine?“

Mm-hm, sage ich, ich kanns mir vage vorstellen.

„Gut“, sagt eine andere Stimme, diesmal eine von EMI, „um dir die Wahrheit zu sagen: Ich habe noch nie genau gewußt, wo Promotion aufhört und Hype beginnt.“ Die Stimme klingt, als habe sie schon zu viele Fragen zu Sigue Sigue Sputnik beantworten müssen.

Zwischen den Gigs der ersten England-Tournee ruht sich SSS-Initiator Tony James (der mit dem pinkfarbenen und ananas-ähnlichen Haarteil) aus und hegt keine Illusionen über das Spiel, das er spielt. Die Botschaft auf seinem T-Shirt lautet: „SCHRÖPFT DIE WELT! Let them know it’s Sputnik time. „

Die Publicity-Abteilung und die Plattenfirma versuchen zwar abzuwiegeln, aber man sehe den Tatsachen gefaßt ins Auge: Sigue Sigue Sputnik sind gekommen, um euch abzulocken. Ohne jede Scham.

HYPE. Das Wort hat eine kuriose Vergangenheit. Im Showbusiness der 50er Jahre war Hype die („hypodermic“) Nadel, mit der man sich Junk in die Vene pumpte. In den 60ern, als harte Drogen aus der Mode gerieten, machte das Wort einen Bedeutungs-Salto, um Junk ganz anderer Art zu kennzeichnen. Jetzt beanspruchte es seine Herkunft von „Hyperbole“ im Sinne wilder Übertreibung. Hype bezeichnet also in unseren Tagen jede Art von Täuschung und werbetechnischer Augenwischerei.

Trotz aller „Wir wissen von nichts“-Proteste der britischen Plattenindustrie werden Singles noch immer in die Hit-Listen gehypt, indem man entweder größere Mengen des eigenen Produkts aufkauft, um einen Chart-Eintritt zu gewährleisten — oder aber Ladenbesitzer besticht, falsche Angaben über ihre Umsätze zu machen.

Peter Jenner, inzwischen Manager von Billy Bragg, hat eine lange Karriere im Musikgeschäft hinter sich, darunter auch als leitender Angestellter bei einigen Plattenfirmen: „Von Zeit zu Zeit setzen sich die Chefs der Musikindustrie an einen Tisch und werden rührselig. Das Komitee des BPl (British Phonographic Institute) sagt dann: , Wir müssen den Chart-Hype ausmerzen.‘ Und alle anderen sagen: Ja, das müssen wir.‘ Und dann gehen sie grinsend auseinander und machen weiter wie zuvor. Im Grunde ist das Chart-Hypen der größte Spaß, den man haben kann, wenn man für eine Plattenfirma arbeitet. Das wird nie aufhören.“

Merke: In Ländern, wo die Chartpositionen bestimmt werden nach ausgelieferten Platten, statt nach tatsächlich verkauften, kann die Hitliste als Gradmesser von Popularität extrem irreführend sein.

Der unschuldige Leser mag sich noch fragen, worin der Vorteil liegt, wenn man sich für teures Geld den Weg in die Charts erschwindelt. Wohin bringt es einen, wenn man die eigenen Platten kauft?

Nun, ins Fernsehen und Radio natürlich! Fast alle Medien orientieren sich an den Charts. Angenommen, deine Platte erklimmt die Top 20, dann ist dir eine Präsentation in „Formel Eins“ fast sicher. Und diese Präsentation wiederum garantiert, daß mehr Platten verkauft werden. Denn unter den Millionen Zuschauern wird irgend jemand das verdammte Ding schon mögen. Die Idee ist einfach: Man knüppele sich vor auf die erste Ebene der Akzeptanz und bete dann, daß sich echtes Interesse einstellt, damit der Schwindel nicht allzu durchsichtig wird.

Obwohl Hype in vielfältigen Formen eingesetzt werden kann, um eine eingerostete Karriere wieder in Schwung zu bringen, ist sie doch meist mit dem Start einer Gruppe verbunden. Der erste Großmeister des Hype war vermutlich Andrew Loog Oldham, Manager der frühen Rolling Stones, der zum Erstaunen der Band ihre erste Single „Come On“ in die Charts bugsierte. Mick Jagger: „Es war ein unheimlicher Hype. ,Come On‘ war so beschissen, daß wir die Nummer nicht mal live spielten. Aber es stimmt: Die Single brachte uns erstmals in die Charts.“

Wenn der Hype-Meister seinen Fuß über die Schwelle der Öffentlichkeit gesetzt hat, muß er mit der Beharrlichkeit eines Staubsauger-Vertreters am Ball bleiben. Oldham etwa erlitt einen vorübergehenden Rückschlag, als er versuchte, die Stones als Beatles-Verschnitt in Lederwesten und Fischgrätenjacketts an den Mann zu bringen.

Als die struppige Widerborstigkeit, die bei den Stones zweite Natur war, seine Bemühungen durchkreuzte, vollführte er eine totale Kehrtwendung und schlug statt dessen aus ihrem vorgeblich rebellischen Auftreten Kapital. Er vermarktete die Band als „die Gruppe, die von allen Eltern liebend gern gehaßt wird“, und Fleet Street und die Musikpresse fielen drauf rein.

Nachdem Oldham den Mechanismus einmal durchschaut hatte, manipulierte er es auf brillante Weise. Ungewaschen, verlottert, widerspenstig, gewalttätig, langhaarig — nach gegenwärtigen Maßstäben nur mild provokativ. Aber das Image traf. Jagger zu dem Stones-Biografen David Dalton: „Wir ließen nichts Dämliches aus, um unser Bild in die Zeitung zu bekommen. Es bedeutete Plattenverkäufe! Am besten etwas Rüdes, um die Leute zu schockieren.

Wir taten es ganz bewußt — und man schrieb wochenlang darüber.“

Zwei Jahrzehnte lang ließ sich diese Strategie bemerkenswert erfolgreich anwenden, wenn auch der Zwang, ausgefallener zu sein als die Band von gestern, hier und dort einige haarsträubende Stilblüten ans Tageslicht befördert. Sigue Sigue Sputnik etwa nehmen für sich in Anspruch, „Designer-Gewalttätigkeit“ zu vermarkten. Ihr wißt schon, wie „Designer-Jeans“ oder „Designer-Möbel“. Genau das richtige Maß Gewalttätigkeit, das zum zeitgenössischen Lebensstil gehört. Rambo-Gewalttätigkeit. Putz dich auf und spiel den harten Burschen.

Es besteht allerdings dabei die Gefahr, daß das Publikum nicht sensibel genug ist, um die feinen Nuancen mitzukriegen — und so wurde Sputniks Martin Degville prompt von einer Flasche, die einer seiner „Fans“ im Coventry auf die Bühne warf, übel zugerichtet.

Sputniks Vorliebe für Video-Szenen mit explodierenden Hubschraubern schließt den Kreis zu Roy Woods Gruppe The Move Mitte der 60er Jahre, die unter der strengen Aufsicht von Manager Tony Secunda nicht etwa Schlagzeilen wegen ihrer hübschen Popsongs machte, sondern wegen ihrer glorios gewaltträchtigen Bühnenshows, bei denen sie brandneue Autos kleinhackten und Mauern aus Fernsehschirmen mit dem Schmiedehammer attackierten.

Ein weiterer Pionier der „Designer-Violence“ war Simon Napier-Bell, inzwischen in seiner Funktion als Manager von Wham! Multimillionär. Er kümmerte sich um Marc Bolans Band John’s Children in den Tagen vor T. Rex und erütt damit nur deswegen einen Fehlschlag, weil er seiner Zeit so weit voraus war. Die gewalttätige Bühnenshow (der Sänger rannte wild brüllend ins Publikum, während Bolan seinen Verstärker mit Ketten malträtierte) beschwor unweigerlich Krawalle herauf, die Napier-Bell in der Tradition von Oldham (und als Vorläufer von McLaren und dem Jesus and Mary Cain-Manager Alan McGhee) fotografierte, um die Bilder dann anonym den Zeitungen zukommen zu lassen.

Napier-Bell schrieb gar unter Pseudonym Beschwerdebriefe (über seine eigene Band!) an die wöchentlichen Musikzeitschriften.

Als Frankie Goes To Hollywood noch lernten, aufs Töpfchen zu gehen, wurde das Debütalbum von John’s Children, auf dem sie (natürlich) nicht selbst spielten, in Amerika verboten. Es hieß ORGASM. Der Band gelang es mit verblüffender Regelmäßigkeit, von der Polizei in Gewahrsam genommen zu werden. (Napier-Bell ließ sogar die Geschichte verbreiten, sie habe sich im Gefängnis kennengelernt.) Für die liebe PR ließ man sich auch nackt fotografieren. Schließlich schafften sie die Top 30, doch danach fiel die Band auseinander — erschöpft und ausgelaugt von der Verpflichtung, ihrem berüchtigten Ruf gerecht zu werden. Wie schon die Bibel sagt: Man erntet, was man gesät hat.

Wer ein Image auf dem Markt einführen will, muß sehr genau prüfen, inwieweit der Markt von besagtem Image schon gesättigt ist. Mit anderen Worten, es kommt aufs Timing an. Die R&B-Bands. die im Gefolge der Stones aufkamen — die T-Bones, die Pretty Things, die Downliner Sect — waren alle einfach zu spät. Als Billy Idol und Sigue Sigue Sputniks Tony James als Generation X die Szene betraten, waren sie zu spät. Wir hatten genug ,.Punk“-Bands mit den Pistols, den Clash, Damned und den Stranglers, vielen Dank!

Idol ging nach Amerika, um die US-Provinz mit New Wave zu beglücken. Tony James schlug sich vier Jahre lang durch, bis die Popmusik eine konzentrierte Phil Collins/Dire Straits/Live Aid/Compact Disc-Stimmung sanfter Unverbindlichkeit angenommen hatte, so daß seine Schockertruppe vielleicht tatsächlich einschlägt.

Was kostet es, eine Platte in die Charts zu hieven? Keiner will mit der Sprache heraus. Man sagt, daß der Preis in Amerika 200.000 Dollar betrug. Als „brown bagging“ bekannt (gezahlt wurde nämlich ausschließlich bar in einem normalen braunen Umschlag), kauft diese Summe angeblich zwei Wochen Airplay über ein Netz unabhängiger Platten-Plugger. Angeblich zahlten die Firmen diese Summe an besagte PR-„Baggerer“, die wiederum die DJs bestachen. Nach dreimonatigen Recherchen zum Payola-Problem stellte ein Senatsausschuß in Washington jedoch jetzt gerade seine Ermittlungen ein, weil man kein Beweismaterial zutage fördern konnte.

Gerüchte über Mafia-Einflußnahmen halten sich dennoch. Der DJ Don Cox aus Miami bezeugte am 24. Februar in einem Interview von NBC, daß ihm von Pluggern Bargeld und Kokain angeboten worden sei. Drei Tage später wurde er, als er die Radiostation WINZ verließ, mit einem Messer angegriffen.

Es gibt so manche Leute, die völlig überzeugt sind, daß Plattenfirmen schier unerschöpfliche Quellen für Geld ohne Gegenleistung sind. In Verteidigung seiner eigenen Hype-Aktivitäten besteht Jesus and Mary Chain-Manager Alan McGhee darauf, daß „es beim Rock ’n Roll immer um Lügen und Schwindel gehl“. Er fährt fort: „Wir haben bewiesen, daß man, wenn man clever genug ist — und das heißt nicht übermäßig clever —, nicht Duran Duran zu sein braucht, um den Firmen große Scheine aus dem Kreuz zu leiern. Die Mary Chain-Jungs wollen reich werden — und jeder, der sowas nicht zugibt, ist ein gottverdammter Lügner. Die Plattenfirmen stecken voller dämlicher Typen mit mehr Geld als gesundem .Menschenverstand. Sie brauchen einen neuen Messias? Bitte schön, den liefern wir ihnen. Ich mache mir keine Gewissensbisse, das Geld dafür zu nehmen. „

Warner Brothers kam mit den Scheinen für The Jesus and Mary Chain rüber. Es war EMI, die dem großen Coup von Malcolm McLaren ein fettes Bündel Scheine opferte — und dann prompt im Sex Pistols-Song „E.M.l.“ ob ihrer Tölpelhaftigkeit verhöhnt wurde.

Und es ist, abermals, die EMI, die mit dem Gleichmut eines multinationalen Buddhas in die Tasche langte, um Sigue Sigue Sputnik zu finanzieren.

Wieviel haben sie ausgespuckt? „Vier Millionen Pfund“, sagen Sigue Sigue Sputnik.

„Wir sprechen nicht über finanzielle Abmachungen mit unseren Künstlern. Sagen wir, daß die meisten Geschichten, die Sie gehört haben, maßlos übertrieben sind.“ So EMI London.

„Irgendwo zwischen einer Million und zehn Millionen“, sagt Magenta, Sputniks Publicity-Sprachrohr.

„Bei EMI muß man den Verstand verloren haben“, meint Michael Oldfield, ehemaliger Redakteur des „Melody Maker“ und Autor eines Bestsellers über Dire Straits. „Es ist doch ganz klar, daß Sputnik nicht mehr sein können als eine Fünf-Minuten-Masche. Die Firma bekommt ihr Geld nie zurück. Sie hätten nach einer neuen Kate Bush, einer neuen Sade oder Movet suchen sollen, mich Künstlern, die wachsen können. Aber um Gottes willen nicht die neuen Sex Pistols! Oder die neuen Plasmatics oder wen sonst die Gruppe meint, darstellen zu müssen. „

Steve Sutherland, der englische Journalist, der sich für Sigue Sigue am meisten aufgeplustert hat. ist anderer Meinung. „Yeah, okay, du und ich und Michael Oldfield sind alt genug, um sich an die Sex Pistols zu erinnern. Aber das sind alte Kamellen in der Pop-Geschichte! Glaubst du wirklich, daß ein Njähriger Bursche etwas über die Punk-Ära lesen will? Oder hören will:, Wenn du damals nicht dabei warst — Pech gehabt! Da hast du eben alles verpaßt?‘ Natürlich sind Sputnik, objektiv betrachtet, nichts Neues. Etwas wirklich Neues aber hat es in der Popmusik seit 25 Jahren nicht gegeben. Wenn du ein kleiner Teenager bist, hast du im Leben noch nichts wie Sputnik gesehen. „

Man beachte dabei, daß Sutherland ein ausgeprägtes Interesse an Sigue Sigue Sputnik besitzt. Er tritt im Video auf. das die Single „Love Missile Fl-11“ begleitet, hat schon diverse Hymnen auf die Band verfaßt und ihnen zu unzähligen Artikeln verholfen.

Aber so geht das Spiel eben. Es wird viel davon geredet, die Musikindustrie anzupissen, aber die ganze Pisserei geht meist in die eigene Hose.

Es ist natürlich überaus nützlich, über einen Liebhaber mit Einfluß in den Medien zu verfügen, wenn man sein Image etablieren will. Sade hatte Robert Elms. einen angesagten Schreiber für „Face“, die „Sunday Times“ und andere Publikationen. Band-Aid hatte Geldofs Freundin, die TV-Moderatorin Paula Yates. die wie besessen alle Fäden zog. Ich möchte hier nicht über das Verhältnis zwischen Paul Morley (ehemaliger Journalist, dann ZTT-Direktor) und Frankie Goes To Hollywood spekulieren. Was Sigue Sigue Sputnik betrifft, so lebt Tony James zusammen mit Janet Street-Porter, einer einflußreichen Persönlichkeit im britischen Fernsehen.

Springsteens Biograf Dave Marsh ist zufällig mit Springsteens Tourmanagerin Barbara Carr verheiratet. Daß Springsteens Manager und Produzent Jon Landau ehedem „Rolling Stone“-Redakteur war, hat ein Gutteil dazu beigetragen, daß Bruce langfristig Unterstützung fand — besonders in jenen Jahren, als ihn Prozesse daran hinderten, neue Platten zu veröffentlichen. Der US-Rockfotograf Joel Bernstein tourt als Joni Mitchells Gitarren-Roadie und spielt gelegentlich mit Crosby, Stills und Nash. Wenn die Presse im Arbeitsverhältnis zu den Musikern steht, werden „Hype“-Anschuldigungen akademisch.

Trotz all dieser Schattenboxerei glaube ich nicht, daß Warner Brothers oder EMI mit Jesus and Mary Chain und Sigue Sigue Sputnik auf die Verliererstraße geraten werden. Während kaum ein Zweifel daran besteht, daß die meisten Großkopferten der Musikbranche MUSIK nicht einmal erkennen, wenn sie von ihr beim Überqueren der Straße umgefahren wurden, wittern sie den Geruch von Geld sehr schnell, wenn er ihnen aus einer albernen Frisur entgegensteigt. Malcolm McLaren war einer der sehr wenigen, die mit Erfolg ihre Kohle einsackten und damit durchbrannten.

Man liest von riesigen Summen, die Popmusikern ausgezahlt werden, wenn sie einen Vertrag unterschreiben. Man sollte aber nicht vergessen, daß es sich um einen Vorschuß handelt, der eines Tages aufgerechnet wird gegen die Tantiemen. Nehmen wir an. Sputnik haben wirklich vier Millionen Dollar bekommen, dann bedeutet das. daß sie über Jahre und Jahre keine Tantiemen sehen werden. Wenn überhaupt! Noch sind sie mit nichts davongekommen.

Die einzigen Leute, die wahrscheinlich angeschmiert werden, sind diejenigen, die die sorgsam zusammengebrauten Presseberichte gehorsam schlucken und losgehen, um sich „Love Missile F1-11“ anzuschaffen. Wie sagte W.C. Fields doch so schön? Wenn einer unbedingt reingelegt werden will, sollte man ihm ruhig noch den Fuß stellen.

McLarens Schachzug war es. EMI wie A&M so zu kompromittieren, daß sie ihre eigenen Verträge brachen. Unter dem Druck des Aufsichtsrats ließ EMI die Sex Pistols gehen, nachdem die Gruppe zarte britische Sensibilität mehr als verletzt hatte, indem sie das Wort „fucker“ zur heiligen Teestunde im Fernsehen hören ließ. McLaren setzte sich mit 40.000 Pfund ab.

A&M erging es nicht besser: Die Firma machte innerhalb von sieben Tagen fast eine Viertelmillion Pfund locker. Nachdem man die Gruppe für 150.000 Pfund unter Vertrag genommen hatte, zahlte man in der folgenden Woche nochmals 75.000 Pfund, als mehrere der eigenen Künstler, darunter Rick Wakeman und Peter Frampton. drohten, das Label zu verlassen, wenn man die Pistols nicht sofort wieder feuere.

McLaren war in seinem Element, spazierte in Plattenfirmen-Büros und kam mit Koffern voller Geld wieder heraus. Dann aber traf er auf einen, der mithalten konnte: Richard Branson von Virgin — einer Firma, die sich einfach weigerte, schockiert zu sein von den Mätzchen, die die Pistols abzogen. ,Du willst den Eisenbahnräuber Ronnie Biggs uls Leadsänger der Pistols, Malcolm? Nur zu! Einen Song, der das Leid in Bergen-Belsen herunterspielt?? Hmmm, klingt nach einem Hit. Die Bandmitglieder tragen jetzt alle Hakenkreuze? Nun, warum auch nicht? Eine Single des dahingeschiedenen Sid Vicious, angepriesen mit einer Action-Man-Puppe im Sarg? Klar doch, Malcolm!‘ Virgin gab McLaren genug Leine, um sich selbst damit aufzuknüpfen. Und, im übertragenen Sinn, tat er es auch. Der Rock ’n‘ Roll-Schwindler hat seither ein paarmal ein Vermögen verloren und mußte kürzlich den Ex-Sex Pistols und Sids Mama einen Scheck über eine Million überreichen.

Aber wie ein ungedeckter Scheck kommt er immer wieder zurück. Man kann darauf wetten, daß er seinen letzten Hype noch nicht gehypt hat.

Je größer die Plattenfirma, desto geringer aber die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein noch so gewiefter Manager sie übers Ohr haut. Man mag sich daran erinnern, wie McLaren sich ins Fäustchen lachte, als er Bow Wow Wows erste Single „C30. C60. C90. Go!“ auf EMI veröffentlicht bekam. .Hihihi‘, so kicherte er. trunken vor Selbstgefälligkeit, Juer veröffentlicht EMI nichts anderes als einen Aufruf zur Cberspielimg auf Cussetten! Wie peinlich!‘ Nun. ja … aber EMI verkaufte auch verdammt viele Leercassetten. Wer macht da eigentlich wen zum Narren 1 .‘ Die großen Plattenfirmen zogen ihre Lehren. Heutzutage verpacken sie die Jugendrebellion, ganz wies gewünscht wird. Hi-Tech Weltraum‘ Nuklearkrieg. Sigue-Sigue-Sputnik-Rebellion? Big-Audio-Dynamite-Rasscngettos-Rebellion? Warum verkleiden wir uns nicht alle wie Piraten und Indianer — Adam Ant-Rebellion? Leck mich am Arsch -— Frankie Goes To Hollywood-Rebellion?

Frankie … ja, ich denke, sie verdienen eine Fußnote in der Geschichte des Hype. Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück … o ja, zuerst wurden sie auf Drängen des DJs Mike Read aus dem BBC-Programm verbannt. (Komischerweise ist Read ein glühender Sigue Sigue-Anhänger.) Und dann gab es ein Video, das mit Sendeverbot belegt wurde, weil man sich darin auf dem Boden wälzte und Champagnerflaschen übersprudelten wie große gläserne Phalli —- ganz offensichtlich Paul Morleys Traum.

Ihre Verkaufskampagne wurde enorm angeheizt durch die häßlichen T-Shirts mit den großen Buchstaben, die anscheinend jeder brauchte — und, in geringerem Grad, durch Morleys Anzeigen, die freizügig aus experimenteller Literatur zitierten, gewöhnlich ohne Quellenangabe.

Das verschaffte der Firma ZTT zwar eine intellektuelle Aura, aber beeindruckte das Massenpublikum weder auf die eine noch auf die andere Weise. Es war eher beeindruckt von der Information, daß man bei Studiokosten von 1000 Pfund pro Tag drei Monate gebraucht hatte, um „Relax“ einzuspielen.

Dies ist schon immer die populärste Art von Hype gewesen. Die Leute hören liebend gern, daß ein enormer Aufwand an Geld und Zeit getrieben wurde, um das Produkt zu erstellen, das sie kaufen. Und es scheint der Öffentlichkeit nicht in den Sinn zu kommen, daß eine Gruppe, die 90 Tage braucht, um einen Song endlich abzuschließen, entweder a) dringend psychiatrische Hilfe braucht oder b) ihren Job verfehlt hat.

Natürlich leuchtet es eher ein, 90 Tage im Studio zu verbringen, wenn es stimmt, daß FGTH nichts anderes waren als Aushängeschilder des Produzenten Trevor Hörn.

Sigue Sigue Sputnik behaupten, nicht sonderlich an Musik interessiert zu sein. Sie seien mehr an Gewalt interessiert. In Frankreich haben sie schon die Woodentops von der Bühne geworfen, einen OMD-Auftritt zum Abbruch gebracht und bei einer „Formel Eins“-Party Matt Bianco verprügelt. „Am pmmoiion is good promotion“, daran erinnere man sich.

Und so spricht Tony James zu Steve Sutherland: „Wir haben eine (iruppe, die weltweil massiven Erfolg haben kann, ohne von Plattenverkäufen abhängig zu sein. Das Konzept lautet: Es kann eine weltweite Super-Gruppe ohne Musik geben. Gruppen müssen sich nicht notwendigerweise auf Musik einlassen. Ab und zu werden wir eine Platte herausbringen, aber davon werden wir nicht abhängig sein …“

Die alternde Punkzessin und Journalistin Julie Burchili mag sie nicht, wie sie in“.Time Out“ schreibt. Den gerade auseinandergegangenen Wham! nachtrauernd, hat La Burchill auch einige Seitenhiebe gegen Sputnik parat. „Sigue Sigue Sputnik … werden etwas leichter zu vergessen sein“, (als George und Andrew, meint sie.) Jedes Jahr taucht die eine oder andere Gruppe auf, mit irgendeinem muskelstrotzenden Manifest … unbedingt darauf bedacht, sich in unsere Herzen zu hypen … Natürlich sieht es auf dem PAPIER alles mordsmäßig MODERN aus …. aber“ (ich fasse ein wenig zusammen, weil sie etwas zu hysterisch wird) „Medien-Manipulatoren sind zum Klischee geworden … ulkige Haarschnitte bringen es einfach nicht im Zeitalter der Compact Disc …“

Das Sigue Sigue Sputnik-Publicity-Büro: „Nun, sie verkörpert genau jene miese alte Sauertöpfigkeit, die Sputnik wegfegen wollen. Sie lesen ihre Kolumnen und lachen …“

Wahrscheinlich während sie darauf warten, daß man ihnen im Krankenhaus die Wunden näht…

Ich wünsche ihnen Glück. Sie werden es gebrauchen.