Voll auf die Zwölf
Die Veröffentlichung der famosen zweiten Platte der Von Bondies wird von einer Prügelei überschattet, wegen der Jack White nun der Prozess gemacht wird. Von uns hat niemand die Polizei gerufen " erzählen sie Christoph Lindemann, das musst du schreiben, ohne Scheiß."
Man würde den Von Bondies nicht gerecht werden, reduzierte man ihre Geschichte auf die abscheulich gewalttätige Auseinandersetzung, die sich am 13. Dezember 2003 in Detroit zwischen ihrem Sänger Jason Stollsteimer (25) und Jack White (28) zugetragen hat. Das Thema aber gänzlich auszusparen, als die Band im Februar für zwei Konzerte nach Deutschland kommt, wäre eine journalistische Nachlässigkeit, die noch unverzeilicher wäre. Absurd ist gar die Vorstellung, an dem frühen Abend in Berlin, den The Von Bondies vor ihrem Auftritt mit uns am Büffet und in der Lounge des Magnet-Clubs verbringt, nur über das grandiose Album pawn shoppe heart zu sprechen, ohne dabei zu erwähnen, dass es in den USA just an dem Tag erscheint, an dem Jason Stollsteimer erstmals den blutigen Vorfall vor Gericht schildern muss. Er ist am 9. März als Zeuge in diesem Fall geladen, denn er wurde an jenem Abend im Dezember von Jack White so schwer verletzt, dass der Bundestaat Michigan Anklage gegen den Sänger der White Stripes erhoben hat. Bevor Stollsteimer aber – zuerst zögerlich, dann engagiert und aufgebracht – dem ME seine Version der Geschichte erzählt, die bald in die Mythologie von Detroit „Rock“ City eingehen wird, hat er selbst noch eine Frage.
„Ist das der Club, in dem wir 2002 schon mal gespielt haben?“, will er wissen. Bis auf dieses Detail erinnert er sich sehr gut an die Tour, die seine damals noch weitgehend unbekannte Band im Vorprogramm der Datsuns in den um seine Frage zu beantworten, dem Magnet benachbarten – Knaack-Club geführt hat. Unter Vertrag bei dem Indie-Label Sympathy For The Record Industry, waren sie damals ohne jegliche Erwartungen in einem Van durch Europa getourt, bis sie völlig überraschend in Amsterdam von einer Legende des Musikbusiness entdeckt wurden. Der ältere Herr, der den Von Bondies nach der Show einen Besuch in der Garderobe abstattete, während die Talentscouts anderer Labels im Keller auf die langhaarigen Rockhelden aus Neuseeland einredeten, war Seymour Stein. „Wir dachten alle, dass er wegen der Datsuns auf der Gästeliste s tand, den n die hatten noch kein Label in den USA „, erinnert sich die Von-Bondies-Bassistin Carrie Smith, die es heute so unglaublich wie damals findet, dass sich ein Mann für sie begeistern konnte, der einst The Ramones, Fleetwood Mac, Madonna und die Talking Heads mit ihren ersten großen Plattenverträgen ausgestattet hat. „Nach dem Konzert kam er in unsere Garderobe und sagte: ,Ihr habt mich umgehauen. Das war großartig‘.“ Stollsteimer nickt und übernimmt. „Er hat gesagt, dass er bei uns etwas hört, das seit 15 Jahren in der Musik gefehlt hat. Das ist ein großes Kompliment. Die letzte Band, die er unter Vertrag genommen hat, waren TheSmiths-zumindest hat man mir das dauernd erzählt. Er hat nur wegen unserem Konzert den Beschlussgefasst, das Label Sire wieder zu aktivieren. Erfand unsere erste Platte eigentlich grauen voll. Er hat gesagt: .Verglichen damit, wie gut ihr live seid, klingt euer Debüt scheiße.“
Produzent des ersten Von-Bondies-Albums lack of communication war – zumindest auf dem Papier – Jack White. „Er war Co-Produzent“, betont Stollsteimer heute, „zusammen mit Jim Diamond. Da ist ein Fehler passiert, als wir die CD anfertigen ließen. Wenn sie wiederaufgelegt wird, werden wir das ändern.“ Er ist schon länger nicht mehr gut auf White zu sprechen, obwohl sich die beiden Musiker einst durchaus nahe standen. „Wir waren extrem Musik-begeistert Du hast bei ihm nur Otis Redding oder Screamin ‚Jay Hawkins erwähnt, und er wollte sich sofort unterhalten. Wir waren wie kleine Kinder. Aber es ging immer nur um Musik, ich bin nie zu ihm zum Fernsehen gegangen „, erzählt Stollsteimer über die Zeit nach 1999, a ‚ s er m Detroit erste musikalische Gehversuche mit den Von Bondies unternahm. Da sich die später oft so übertrieben groß dargestellte Musikszene in Motor City damals mehr oder weniger auf The White Stripes, The Detroit Cobras und The Dirtbombs konzentrierte, überließ Jack White Stolisteimers eben erst gegründeter Band einen Platz auf seiner sympathetic sounds of detroit-Compilation und produzierte im Studio in seinem Haus ihr Debütalbum, bevor er die dankbare Band schließlich 2001 als Support-Act mit auf eine USA und Europatournee nahm. Gefestigt wurde die Freundschaft der beiden Combos damals durch die Tatsache, dass Jack White und die Von-Bondies-Gitarristin Marcie Bolan ein Paar waren.
Die Probleme begannen im Jahr 2002, nachdem Stollsteimer in einem Interview seine Unzufriedenheit mit der Produktion des Debüt-Albums zum Ausdruck gebracht hatte. Jack White reagierte beleidigt und bezeichnete die Von Bondies, die in seinen Worten aus der Detroit-Community „wie ein Geschwür hervorstachen“ als „gemein“. All das war, wie Stollsteimer heute beteuert, nichts als ein großes Missverständnis. „Wir waren nicht unzufrieden damit, wer uns damals aufgenommen hat und auf welchem Equipment. Das Problem war, dass wir nur zwei Tage hatten“, zitierte ihn The Guardian. „Carrie war erst seit drei Monaten in der Band und hat immer noch Bassläufe geübt. Ich habe gesagt, dass es einfach nicht so gut geworden ist, wie es hätte sein können, aber so wird das nie gedruckt. Es heißt dann immer, ‚Von Bondies sind sauer auf ihren Produzenten‘. „Wie die Polizei vor wenigen Wochen auf einer Pressekonferenz bekanntgab, kam es im Dezember 2002 zur ersten handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen White und Stollsteimer. Der Von-Bondies-Sänger gab damals zu Protokoll, dass Jack White nachts seine „Türe aufgetreten“ und ihn ins Gesicht geschlagen und gewürgt habe. Da es keine Zeugen gab, wurde der Fall nicht weiter untersucht.
Am 13. Dezember 2003 sahen fast alle Gäste eines Live-Konzerts im „Magic Stick“-Club in Detroit, wie Jack White auf seine Ex-Freundin Marcie Bolan, Jason Stollsteimer und dessen Frau zusteuerte und begann, seinen einstigen Partner zu provozieren. Dass Stollsteimer, wie Zeugen berichten, zunächst versuchte, dem Streit aus dem Weg zu gehen, ist plausibel. Seine Philosophie bezüglich Prügeleien, die er im Berliner Magnet kurz vor dem Sound-check auch dem ME nochmals darlegte, hat er bereits im Februar 2003 einem Journalisten in San Francisco ins Diktiergerät gesprochen: „Ich schlage mich nie“, sagte er da auf die Bitte, seinen Charakter zu beschreiben. „Ich war ein paar Mal in Schlägereien verwickelt. Man hat mir schon ins Gesicht geschlagen, und ich habe nicht zurückgeschlagen. Ich trete dann nur einen Schritt zurück und starre sie an. Ich sage „Was zum Teufel ist mit dir los?'[…] Das lässt sie dumm aussehen.“
Hat sich die Konfrontation im „Magic Stick ‚-Club tatsächlich so zugetragen, wie sie bisher geschildert wird, dann sah auch Jack White darin nicht besonders gut aus: Im Lauf der Auseinandersetzung, die der Von-Bondies-Manager Rick Canny rückblickend als „keine Prügelei, sondern einen Angriff“ ‚bezeichnet, spuckte White Stolisteimer offenbar zunächst an und drückte ihn dann zu Boden, wo er ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlug. Solange das Verfahren gegen Jack White schwebend ist, darf Stollsteimer, der bereits zwei mal am Auge operiert wurde, nicht darüber sprechen, wie schwer die Verletzungen sind, die er davongetragen hat. Im Februar in Berlin sind seine Schwellungen abgeklungen und die Wunden an der Haut verheilt.
Du darfst aus rechtlichen Gründen über keine Details sprechen.
JASON:. „Hmm. Ja.
Hast du wenigstens für dich selbst eine Erklärung gefunden, …
… warum das passiert ist? Nein. ich hab keine Ahnung. Ich hab‘ seit zwei Jahren weder ein Wort über ihn in der Presse verloren, noch mit ihm gesprochen. Der letzte Artikel, der Äußerungen von mir über ihn enthielt, ist zweieinhalb Jahre alt. Don und Carrie haben seit eineinhalb Jahren nicht mit ihm geredet. Er ist ja umgezogen … er lebt da gar nicht mehr so richtig. Er ist dauernd auf Tour, wie wir.
Du wolltest dir ein Konzert ansehen, als das passiert ist. Von wem?
Brendan Benson. Ich war erst 20 Minuten lang da. Ich hab mit meiner Frau Händchen gehalten, es war grauenvoll. Eines muss ich den deutschen Medien erklären: Europäisches Recht ist ganz anders. Wenn du ein Gesetz in Amerika brichst – er hat gegen das Gesetz verstoßen, als er mich angegriffen hat -, dann verklage nicht ich ihn, sondern die Regierung. Der Staat Michigan. Das musst du schreiben, ohne Scheiß. Das hat nichts mit mir zu tun. Ich bin nur das Opfer. Wenn er ins Gefängnis muss, dann hab ich damit nichts…
Natürlich hast du den Fall bei der Polizei zu Protokoll gegeben …
Aber niemand [von uns] hat die Polizei alarmiert. Die Polizei wurde nur gerufen, weil ich in einer Pfütze Blut lag.
Später hast du dann deine Sicht der Dinge einem Officer diktiert?
Erst hat mich der Notarzt ins Krankenhaus gebracht. Vier Stunden später musste ich dann den Fall der Polizei schildern. Ich wollte das nicht. Jack aber ist eine Meile weit entfernt [zur Polizei] gegangen. Er hätte einfach nur über die Straße gehen müssen. Er hat sich das vielleicht überlegt. Er ist ohne Grund ans andere Ende der Stadt gefahren. Das ist so komisch, das ergibt keinen Sinn.
Beim Leeds Festival 2002 hast du in einem Interview erzählt, dass Carrie so betrunken war, dass sie sich auf Jack White übergeben hat…
Stimmt, das ist zwei mal passiert!
Ich zitiere dich: „Sie sagt: ,0h, ich muss ins Hotel‘, und er sagt, „Okay, ich trage dich‘ – er ist ein wahrer Gentleman, ein supernetter Typ.“
Ja, aber das war noch bevor sie berühmt waren. Es verändert sich etwas in Menschen, wenn sie berühmt werden … Irgendetwas verändert sich.
Letztes Jahr hat Jack White in Interviews oft bedauert, dass der „Gentleman“ ausgestorben ist. Oute Manieren schienen ihm wichtig zu sein.
Ach, wenn Leute schon immer davon reden, was sie sind … Ich würde nie sagen, dass ich ein Gentleman bin. Wenn du versuchst, dir anzumaßen, ein Gentleman zu sein, dann bist du wahrscheinlich keiner. Weil du dir die größte Mühe geben musst, einer zu sein. Stell dir vor, ich würde sagen, „Oh, ich fluche nie“. Das wäre verrückt, denn niemand ist perfekt. Ich bin jedenfalls nicht der erste, dem er in den letzten drei Jahren sowas angetan hat. Das ist eine Tatsache, das darf ich sagen.
Und es ist offenbar nicht das erste Mal, dass er dir sowas angetan hat.
Deshalb hat es mich auch nicht überrascht. Nur für die Presse ist das eine Sensation. Nicht für uns … er macht die ganze Zeit so Sachen. Das ist schon fast normal. Nur nicht so, wie er mich zugerichtet hat. Das ist ein ganz neuer Level des Zorns.
Nach Berichten von Augenzeugen scheinst du dich nicht besonders gewehrt zu haben.
Ich schlage mich mit niemandem. Du könntest mich jetzt verprügeln und ich würde einfach still halten, ich sehe keinen Sinn darin, Streit mit körperlichen Mitteln auszutragen. Das ist einfach falsch. Das ist das schlimmste, was man machen kann, wenn man versucht, ein Gentleman zu sein.Ganz besonders, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Kids schauen zu uns auf.
Bekommt ihr das so direkt zu spüren ?
Viele Fans von uns und den White Stripes haben den Respekt verloren. Man sagt das eine und tut das Gegenteil – da ist man ein Heuchler. Und ich behaupte nicht, dass er einer ist. Wenn du aber sein eigenes Message Board [auf der Website] besuchst, dann liest du sowas. Ich hab es selbst gesehen. Wir bekommen E-Mails von ihren Fans „Tu t uns leid, dass er dir das angetan hat. Wir hatten keine Ahnung, dass er zu so etwasfähig ist“. Er hat den Kids das Herz gebrochen. Das sind 14-Jährige. Die dachten, er wäre ein sanfter Engel. Wie sich herausstellte, ist das falsch. Die Wahrheit kam endlich ans Licht. Ausgerechnet auf meinem Gesicht, aber gut…
Geht s dir wieder gut?
Ich sehe nichts mehr auf meinem rechten Auge. Da ist eine Ader geplatzt. Ich hatte einen Infarkt im Auge, als das passiert ist und die Netzhaut hat sich abgelöst. (hält sich das linke Auge zu) Ich erkenne, dass mir ein Typ gegenübersitzt. Aber was du schreibst, kann ich nicht sehen, egal, wie nah ich ran gehe. Ich bin da nicht glücklich darüber und will auch nicht viel darüber reden. Und unsere Platte lief schon gut an, bevor das passiert ist. Alle Interviews waren schon ausgemacht, weil die Platte Anklang gefunden hat.
Mit diesen Worten steht er auf, verabschiedet sich höflich und verschwindet schnell im Nebenraum, wo seine Band bereits mit dem Soundcheck begonnen hat. Dass der Durchbruch der Von Bondies auch ohne die Publicity, die ihnen die tragischen Geschehnisse des 13. Dezembers in den USA und England beschert haben, nicht aufzuhalten gewesen wäre, zeigt sich wenige Stunden spater beim Konzert: Nicht nur ist Jason Stollsteimer ein sympathischer, energetischer Sänger und Gitarrist, der mit der lockeren Darbietung seiner komprimierten, druckvollen Songs das Publikum im Nu auf seine Seite zieht, auch wird er von einer grandiosen Band unterstützt: Don Blum ist ein manischer und vielseitiger Drummer, der in perfekter Harmonie mit der charmanten Bassistin Carrie Smith operiert. Lediglich der Anblick der stolzen Marcie Bolan – sei es, weil sie sich mit farbigem Make-Up ihre obere, rechte Gesichtshälfte so kunstvoll bemalthat, dass man es von der Ferne für ein blaues Auge hält, sei es, weil sie ihre Gibson SG mit der gleichen unbewegten Hingabe spielt, mit der Meg White auch auf ihr Schlagzeug drischt -, lässt unsere Gedanken immer wieder zu Jack White zurückkehren. Welche Folgen der Ausbruch für ihn haben wird, kann erst der Ausgang des Prozesses zeigen. Die vagen Statements seines Verteidigers Wally Piszczatowski, der auch Eminem bei seinen Strafprozessen zur Seite stand, klingen bisher allerdings alles andere als zuversichtlich.
„Esgibt vieles, was man fürJack in die Waagschale werfen kann“, so der Staranwalt vorsichtig. „Er war nicht nur hier in der Gegend, sondern in ganz Amerika und Übersee ein positives Sprachrohr für die Stadt Detroit. Es sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass er vielen Menschen in dieser Community geholfen hat.“ Und so sonderbar das ist – einer dieser Menschen ist Jason Stollsteimer.