Viel zu viel Musik


Die Frage, der Kevin Drew sich in allen Interviews stellen muß, lautet: Wie schafft man es eigentlich, mit 17 oder 27 Musikern eine Platte aufzunehmen (vielleicht waren es auch 37, andere Beobachter sprechen von bis zu 70 Mitgliedern in der Broken-Social-Scene-Familie)? Die Antwort ist entwaffnend einfach: „Weiß ich auch nicht so genau. Es hat einige Jahre gedauert, bis unsere neue Plattefertig war. Und wir haben vielzu viel Musik aufgenommen.“

Wenn man sich den Songs des Musikerkollektivs aus dem kanadischen Toronto und ihrem neuen, selbstbetitelten Album nähern möchte, beginnt man am besten nach dem Ausschlußprinzip. Drew, der Broken Social Scene vor fünf Jahren mit Brendan Canning gründete, weiß, was er nicht will: „Eine anständige, ordnungsgemäße Platte. Schlagzeug und Baß und Gitarre klingen auf vielen Alben ähnlich, manche darunter sind sogar phänomenal. Wenn man schon eine Indie-Rockband ist, sollte man sich den Luxus leisten,zu tun, was einemgefällt.Diefertige Plattehat uns umgehauen, weil wir keine Vorstellung davon hatten, was wirda produziert hatten.“

Anders ausgedrückt: Broken Social Scene produzieren kontrolliertes Chaos, aus dem plötzlich (nach dem siebten bis 17. Hördurchlauf) Superhits raustropfen. „Die Arbeit mit richtigen und falschen Elementen hat uns immer schon angezogen“, sagt Drew beim Interview in Köln. „Espassieren viele falsche Sachen auf der Platte, Dinge, die man lieber lassen sollte, etwa einen Lautsprecher zu zerstören. Andererseits das macht die Schönheit der Musik erst aus. Es ist ein Anschlag auf dein Herz und deine Ohren.“

Am Anfang stand die Geschichte auf der Kippe, meint Kevin Drew. Jedes Konzert konnte das letzte sein, jeder Song durfte nur einmal live gespielt werden. Ein hartes Programm.“ Erst spielten zwei, bald vier, dann waren sie des öfteren schon mal zu zehnt auf der Bühne. Das Prinzip Broken Social Scene entstand: eine locker verbundene Großgruppe, die sich um den Freundeskreis von Drew und Caning aufbaut und sporadisch wieder auflöst. Bei Broken Social Scene laufen längst alle Fäden der jungen Popszene von Toronto zusammen. Leslie Feist und Rapper K-OS sind auf ihren Platten vertreten, Amy Millan, Evan Cranley und Torquil Campbell von den Stars, Justin Peroff und Andrew Whiteman von ApostleOf Hüstle, Emily Haines &. Charles Shaw von Metric, Murray Lightburn von den Dears. Im letzten Winter legten sie dann endlich mal einen Studiourlaub ein, den Produzent Dave Newfeld (auch so eine Art Fraktionsvorsitzender, der den ganzen Verein zusammenhält) nutzen durfte, um sich durch Berge von Song- und Soundmaterial zu arbeiten.

„Wenn wir das Aufnehmen unterbrechen, dann nicht um schwimmen zu gehen, sondern um andere Musik zu machen“, sagt Drew. „Es gibt bei uns keinen Tag ohne Broken Social Scene zumindest im Hinterkopf, das ist unser Leben.“ Die Songs fürs nächste Album sind übrigens auch schon aufgenommen.

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