Up and coming: So war’s beim Spot Festival 2014
Wer auf der Suche nach den heißesten Newcomern Skandinaviens ist, für den ist das dänische Spot Festival Pflicht. Wir waren in Aarhus und haben einen Nachbericht und Fotos mitgebracht.
Seit Mitte der Neunziger findet das Spot Festival jährlich in der dänischen Hafenstadt Aarhus statt und stellt sein Publikum mit seinem erstklassigen Newcomer-Programm in jedem Jahr vor das gleiche Dilemma: Welche der über 120 Bands soll man sich bloß anschauen? Trotz dicht beieinander gelegener Locations verspricht der vollgestopfte Zeitplan zwei sportliche Tage – am liebsten würde man natürlich überall gleichzeitig sein. Nebenbei auch noch an Workshops und Seminaren teilzunehmen oder einen der vorgestellten Filme anzuschauen, wird zur fast unmeisterbaren Aufgabe.
Wer sich zeitig auf dem Festival-Gelände einfindet, kann unter den ersten Bands der beiden Tage bereits so Perlen wie das Electro-Pop-Duo Byrta von den Faröer Inseln oder die Alternative-Rocker von Get Your Gun entdecken. Unter den Opening Acts findet man auch Tellavision, die zusammen mit Tusq und Fuck Art, Let’s Dance das deutsche Trio des Festivals bildet. Während Tusq im Foyer des Musikhuset vor einem überschaubaren sitzenden Publikum mit der Bahnhofs-Vorhallen-Atmosphäre zu kämpfen haben, verwandeln Fuck Art, Let’s Dance einige Stunden später die gleiche Location in einen wilden Tanz-Pit, bei dem das Publikum hingebungsvoll die Kunst des Ugly-Dancing zelebriert.
Wer es etwas ruhiger mag, den verschlägt es oft in einen der Säle des Theaterhauses Musikhuset, wo zum Beispiel die schwedische Singer-Songwriterin Sumie auftritt. Trotz der Tatsache, dass sie aufgrund einer technischen Panne zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer fremden Gitarre spielen muss, sorgt die Schwester von Little-Dragon-Sängerin Yukimi Nagano mit ihren melancholischen Songs für Gänsehaut. Dass die Bestuhlung in den einzelnen Sälen aber nicht zwangsweise dazu führt, dass die Besucher sich einfach von der Musik berieseln lassen, zeigen zum Beispiel Kellermensch. Die neunköpfige, 2006 gegründete Band gehört zu den alten Hasen des Festivals und ist ihrem epischen Progressive Rock wie gemacht für den großen Store Sal. Schon nach wenigen Minuten hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen, während die Band sich in Rage spielt und Sänger Sebastian Wolff seine Gitarre über die Bühne schmeißt, beim Singen in die Knie geht und auf den Sitzen durch die Menge balanciert. Wer da nicht war, hat was verpasst.
Etwas umgänglicher geht es da auf dem Außengelände des Spot Festivals zu, das an beiden Tagen für jeden frei zugänglich ist. Ist das Event sonst doch eher als Showcase-Festival für Presse, Labels und Agenturen ausgelegt, so findet man hier vorrangig die Einwohner von Aarhus, die es sich in der Sonne gemütlich machen. Das Programm reicht von den Schweizer Indie-Rockern We Invented Paris, die bei dem nordischen Festival schon fast als Exoten gelten, bis hin zu den Stonern von Pet The Preacher. Für besonders enthusiastische Singalongs sorgen The Blue Van mit ihrem Garage Rock, die vor allem durch den Titelsong zur US-Serie „Royal Pains“ über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannt wurden.
Auch wer im Congress-Saal des Radisson Hotels auftritt, sollte nicht mehr lange Überzeugungsarbeit leisten müssen. Zu den jüngsten Bands hier gehören Shiny Darkly, die ihren New-Wave- und Post-Punk-Idolen alle Ehre machen. Zwar versprüht die Band oft noch einen unbeholfenen Schülerband-Charme, aber Joy Division wurden schließlich auch nicht als Performer geboren. Neben den Synthie-Rockern von The Minds Of 99 gehören Reptile Youth und Go Go Berlin unumstritten zu den Highlight-Auftritten auf der SCC-Bühne. Erstere überzeugen mit ihrer wilden Mischung aus Elektro, Pop und Rock, vor allem jedoch mit der mitreißenden Ausstrahlung und Energie ihres Sängers Mads Damsgaard Kirstiansen, der selbst nach einer harten Stage-Diving-Landung wie ein Stehauf-Männchen durch das Publikum springt. Go Go Berlin sorgen mit ihrem Retro-esken und exzentrischen Garage Rock für einen vollen Saal und zahlreiche dahinschmelzende Herzen. Hier scheint „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ noch Programm zu sein.
Obwohl der Fokus des Spot Festivals vor allem auf Indie-Pop liegt, kann man auch den einen oder anderen Rap-Act im Programm finden. Während Lucy Love, gehüllt in eine edle Chorrobe, mit ihrem von den Neunzigern beeinflussten Urban sehr an amerikanische Kollegen erinnert, bleiben dänischssprachige Hip-Hopper wie KIDD und Lord Siva für den deutschen Besucher ein im wahrsten Sinne des Wortes unverständliches Phänomen. Eine der ungewöhnlichsten Paarungen des Festivals ist League Of Extraordinary Gentlemen, bestehend aus Simon Muschinsky (When Saints Go Machine) und dem US-Rapper NOTE, die ihre Show mit einem Dokumentarfilm einleiten, jedoch aufgrund des schrecklich steifen Publikums eher deplatziert wirken. Viel zu wenig Beachtung findet Negash Ali mit seinem authentischen Rap, das liegt vermutlich nicht zuletzt an der nebenan gelegenen Konkurrenz-Veranstaltung des stark gehypeten Trap-DJ Snavs, der mit Dubstep-Elementen und Hip-Hop-Samples zum ausgiebigen Feiern einlädt.
Eine ganz besondere Erfahrung bleibt einer Handvoll Besuchern des Festivals vorbehalten: Im „Your Rainbow Panorama“, einem kreisförmigen Gang mit Rundum-Blick auf Aarhus auf dem Dach des ARoS-Museums präsentiert The Portuguese Man Of War alias Anders Stockholm verdeckt von einer Trennwand seine Musik, die das Publikum zusammen mit dem Ausblick genießen kann.
Eigentlich kann man gar nicht genug Bands lobend erwähnen, vom Gitarren-losen Mädchen-Rock-Trio Nelson Can bis hin zur norwegischen Electro-Pop-Hoffnung Sea Change. Und mit jeder für deutsche Ohren unverständlichen Ansage wird einmal mehr bewusst, das Skandinavien ganz schön was zu bieten hat. Wenn man doch nur genug Zeit hätte, das alles in Ruhe zu entdecken …