Unsere Geheimtipps: Diese Bedroom-Pop-Alben solltet Ihr kennen
Bedroom Pop hat sich als Versprechen an junge Künstler*innen, mit wenig Equipment aus dem Jugendzimmer heraus erfolgreich werden zu können, zu einem prägenden Genre der Generation Z entwickelt. Und das ist längst mehr als „nur“ in viel Hall verpackte Teenage Angst, weiß Friedrich Steffes-lay. Hier kommen noch ziemlich unbekannten Empfehlungen.
Die Geschichte geht so: Teenager*in spielt ihren Song vor der Webcam ein und wird über Nacht zum Weltstar. Ohne Management oder Label. „Bedroom Pop“ hat sich als Versprechen an junge Künstler*innen, mit wenig Equipment aus dem Jugendzimmer heraus erfolgreich werden zu können, zu einem prägenden Genre der Generation Z entwickelt. Und das ist längst mehr als „nur“ in viel Hall verpackte Teenage Angst, weiß Friedrich Steffes-lay.
Hier kommen seine Top-10-Geheimtipps:
Cleaners From Venus – NUMBER THIRTEEN (1990)
Vor 30 Jahren kannte man zwar schon „Schlafzimmer Produzenten“, doch das Genre, unter dem Musikprojekte wie das des Briten Martin Newell formierten, nannte sich Lo-Fi– oder DIY-Musik – in Ästhetik und Herangehensweise gewissermaßen der Vorläufer des heutigen Bedroom Pop. Newell ging den Weg derer, die an Plattenlabels vorbeimusizieren: Er vertrieb seine Musik über Kassetten. Der Erfolg blieb dadurch aus. Umso mehr feiern Bescheidwisser bis heute die smarte, verspielte Herangehensweise der Cleaners, die über Rhythmusmaschinen und Synthesizern Schalmei mit Akustikklampfe oder Mizmar mit E-Gitarre mischen – dem Internet sei Dank, steht ein so kleines, großes Pop-Album wie NUMBER THIRTEEN heute der ganzen Welt offen.
Yung Lean – UNKNOWN MEMORY (2014)
Als vor einigen Jahren Fans und Musikjournalist*innen um den Überbegriff für eine neue HipHop-Strömung stritten, hätte beinahe „Bedroom Rap“ geboren werden können. Den Schwall an DIY-Rappern, die nebulöse, trippige Soundschwaden mit AutoTune berappten und damit Klickzahlen in Millionenhöhe einfuhren, fasste man dann doch lieber unter dem ebenso verschwurbelten Begriff „Cloud Rap“ zusammen. Dabei ist der Spirit von Genre-Pionieren wie Yung Lean aus Schweden ähnlich wie der von den Bedroom-Szenegrößen heute: juvenile Tristesse, ausgedrückt in hallig-sirupartiger Musik, zu der man viel besser nachdenklich herumliegen als tanzen kann.
Earl Sweatshirt – I DON’T LIKE SHIT, I DON’T GO OUTSIDE (2015)
Mit 21 Jahren stellt sich Earl Sweatshirt seinen inneren Dämonen. Kontrollverlust ob des wachsenden Erfolgs als neuer Rap-Posterboy, Drogenkonsum, Sozialphobie, Bipolarität – große Probleme und Themen, mit denen er sich in seiner Wohnung verbarrikadierte und schließlich durch diese Platte mit der Welt kommunizierte. Pop im landläufigen Sinne mag sich hinter dieser sinistren Lo-Fi-Ästhetik auf schweren, verschleppten Beats nur kaum noch erkennen lassen. Dafür blickt man durch Earls Schlafzimmertür direkt in das Seelenleben eines jungen Ausnahmekünstlers.
Kali Uchis – POR VIDA (2014)
Hinter der Barbie-verdächtigen Optik von Karly-Marina Loaiza verbirgt sich eine Macherin. Mit Garage-Band Software nimmt sie mit 19 ein erstes, beachtliches R’n’B Mixtape namens DRANKEN BUBBLE auf. Drei Jahre später gelingt ihr mit dieser EP der Durchbruch. Fein verwebt sie darauf dreamy 60s-Pop mit in Watte verpackten Neosoul– und Reggae-Beats. Trotz Top-Produzenten wie Tyler, The Creator, Diplo oder Badbadnotgood bleibt sie Heimstudio-Sound und DIY Spirit treu.
Mathew Lee Cothran – MY FIRST LOVE MENDS MY FINAL DAYS (2018)
Die erste Liebe, über die man nie richtig hinweggekommen ist. Der Großvater, der vom Krebs dahingerafft wurde. Die muffelige Kleinstadtkneipe. Mat Cothran – ehemals Kopf geheimnisvoller Indie-Projekte wie Coma Cinema und Elvis Depressedly – ist mit 31 Jahren älter als die meisten
gegenwärtigen Bedroom-Pop-Artists. Doch so wie das hier könnte es klingen, wenn diese Künstler*innen in zehn Jahren auf einen Nostalgie-Trip in die Vergangenheit gehen – begleitet von akustischen Gitarren, hingetupften Percussions, psychedelischen Effekten und Sounds aus dem Casio-Keyboard.
Girl in Red – CHAPTER 2 (2019)
Skandinavische Popmusik sollte man sowieso immer auf dem Schirm haben. Der Aufstieg des Girl In Red begann allerdings nicht in einem schwedischen Jugendzimmer, sondern in einem norwegischen. Mit erstaunlichem Selbstvertrauen und spürbar dringlich singt die 20-jährige Marie Ulven Ringheim über gleichgeschlechtliche Liebe und innere Leere; mal begleitet von der Akustik-, dann von einer stürmischen E-Gitarre mit Shoegaze-Einschlag. Ihr Debüt hat sie 2018 und 2019 in Kapiteln zweigeteilt, hören lässt es sich wunderbar wie eines.
(Sandy) Alex G – HOUSE OF SUGAR (2019)
Alex Giannascoli veröffentlicht schon seit zehn Jahren Platten, hat in der Band von Frank Ocean gespielt und zeigt Songwriter-Talent für viel größere Formate, doch seine Solomusik bleibt hörbar DIY und seine Wohnung für ihn der beste Platz, um ohne Druck von außen herumzuprobieren und aufzunehmen. Auch deshalb klingt selbst ein Album wie das strahlende und weitläufige HOUSE OF SUGAR immer noch so intim und eigen wie seine alten Bandcamp Tapes. Hört man diese Musik im eigenen Schlafzimmer, klingt sie, als säße Alex mit der Gitarre direkt neben einem, während draußen der Herbststurm tobt.
Clairo – IMMUNITY (2019)
Der Name der 21-jährigen Singer/Songwriterin aus Boston steht für den Hype um Bedroom Pop. 2017 stellt sie ein pixeliges Video zu ihrem Song „Pretty Girl“ auf YouTube, in dem sie auf einem Lo-Fi-Beat über eine unglückliche Beziehung singt. Der Clip explodiert und verwandelt sie vom Noname zum Popstar – und zum Politikum, exemplarisch für die ganze Entwicklung des Genres. Denn was ist bei diesem Erfolg tatsächlich „authentisch“, was letztlich doch Kommerzprodukt? An Clairos Debüt klingt nicht mehr viel nach Lo-Fi, auch wenn sich in die ein oder andere Soundspur ein Knistern verirrt oder ein Stahlsaiten-Quietscher. Aber den Spagat zwischen Introspektive und dem Appeal eines werdenden Weltstars bekommt diese Platte ganz gut hin.
Amilli – WINGS (2019)
„What is life right now, I’m still trying to find out“ – direkter als in den ersten Zeilen auf Amillis EP-Debüt lassen sich die Gedanken vieler 20-Jähriger kaum einfangen. Das/Ihr Leben soll auf jeden Fall keines sein, das bloß aus der Jagd nach Statussymbolen („Rarri“) oder (toxischen) Beziehungen („Die For You“) besteht, so viel steht fest für die Musikerin aus Bochum. Darüber hinaus schweben Amillis Gedanken, die sie mit samtiger Stimme in diesen reduzierten Popsongs mit Neosoul-Einschlag vorträgt, oft noch ziellos umher. Aber was könnte normaler sein für eine
junge Frau, die von einem freiwilligen sozialen Jahr plötzlich an den Beginn einer Musikerkarriere geworfen wurde?
луни ана – витражи (2018)
Russischer Bedroom Pop? Lohnt sich! Setzt aber voraus, dass man irgendwie die kyrillischen Schriftzeichen bezwingt und das Webdesign russischer sozialer Netzwerke. Dann stößt man vielleicht auf Perlen wie die Musik von луни ана, einer 21-jährigen Künstlerin, die auf Bandcamp auch als Luniana aktiv ist. Ihr erstes Album витражи (übersetzt etwa „Glasmalerei“) klingt genauso, wie es der Name verspricht. Nach schillernden, zerbrechlichen Kunstwerken, hinter denen eine selbstbewusste ästhetische Vision steckt – einzuordnen irgendwo zwischen den melancholischen Gitarrentunes von The xx und leise klickernden Macbook-Beats à la Billie Eilish.