Tomte: Heureka


„Du nennst das Pathos, ich nenn es Leben.“ MUSIKEXPRESS-Leser Tobias Gralke über eine Platte, die nicht zur teilnahmslosen Alltagsbeschallung taugt: Das neue Tomte-Album HEUREKA.

Es gibt Musik, die dient dem Menschen als Medium, als Konsum- gut, mit dem man sich teilnahmslos beschallen lässt, Tag für Tag, das einen kalt lässt und das im Prinzip nur der momentanen Befriedigung dient. Die Themen, die Musik sind so fernab der eigenen Lebensvorstellung, dem eigenen Lebensgefühl, dass man sie hört und sofort wieder vergisst. Das ist die eine Art.Und dann es gibt Musik, die erschüttert einen im tiefsten Innern, rüttelt auf und lässt einem dabei doch eigentlich keine Worte, um sie wirklich zu beschreiben. Sie spricht Teile der eigenen Persönlichkeit an, fühlt sich an wie ein Teil von einem selbst. Wer sich nur ein Stück mit der deutschen Musikszene der letzten Jahre beschäftigt, kommt an einem Namen ganz sicher nicht vorbei: Tomte. Eine Band, die Musikliebhabern beim bloßen Erwähnen einen sehnsüchtigen Blick in die Augen zaubert und zu einem sanften Lächeln veranlasst. Denn Tomte spielen solche Musik.Die Band, einst der sogenannten „Hamburger Schule“ entwachsen, mischte die deutsche Indieszene zu Beginn auf wie keine andere, und schon früh merkte man, dass da Leute am Werk waren, die nicht anders konnten, als Musik zu machen – „Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen“ heißt es in einem frühen Werk der Hamburger.Nach dem überraschenden Wechsel im Line-Up Anfang des Jahres finden sich Tomte nun zu viert wieder. Seit kurzem gibt es ihr 5. Studioalbum käuflich zu erwerben: HEUREKA, das heißt so viel wie „Ich hab’s (gefunden)!“ und ist bei genauerem Hinsehen eine Aussage, die man so nicht erwartet hätte von der Band um Frontguru Thees Uhlmann, und die sich auf den ersten Blick nicht so recht mit der Musik und dem neuen Album decken will. Denn kennt man die Band, dann weiß man um die Nachdenklichkeit, die Melancholie, und das alltägliche Suchen in ihrer Musik und den Texten aus dem Leben des Thees Uhlmann. Und das was man so zu lieben gelernt hat an der Band, setzt sich auch auf dem neuen Album fort.Schon das Intro zum Opener „Heureka“ gibt die Richtung vor: Aufreibend, aufrüttelnd, rastlos eröffnet das Klavier die neue CD und sofort ist man wieder drin in dieser Band, in ihrer Musik. Sie weckt ein stilles Verständnis, das keiner Worte bedarf. Und in den Texten entdeckt man in den simpelsten Textstellen plötzlich Gefühle, die man kennt, selber aber nie ausdrücken konnte. Da sind Momente wie der Anfang von „Wie siehts aus in Hamburg“, als das Schlagzeug wie aus dem Nichts in das schwebende Intro hineinplatzt und damit das vielleicht schönste Lied der Platte einläutet. Da sind Lieder wie die Vorab-Single „Der letzte große Wal“ – ein groovender Rhythmus, eine schöne Melodie, ein nachdenklicher Text. Alles zusammen ergibt ein wunderschönes Lied, wirkungsvoll wie der beschriebene „Biss der Luft“, thematisch vielseitig und undurchdringlich, und doch dreht sich alles um den einen Moment, den jeder kennt, den man nicht erklären kann, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Auch die anderen Lieder, wie „Voran Voran“, „Küss mich wach, Gloria!“ oder „Und ich wander“ warten mit mitreißender Musik auf, nicht sonderlich anspruchsvoll, aber einfach schön und mit echtem Herzblut gespielt.Und zwischendurch immer wieder die Texte: „Da sind 100 die dich lieben, wir zwingen die Zukunft zu funktionieren…“ – Wie kann man schöner die Sorge um eine Person ausdrücken? „Schlafe fest, ich passe auf, die Dinge nehmen ihren Lauf“ – einfache Sätze, die das Leben schreibt, und die in der richtigen Umgebung doch zu alles erklärenden Phrasen mutieren können. In ihrer Gesamtheit ist die CD Ausdruck eines Lebensgefühls, das mit jedem Ton, mit jedem Wort aus den Lautsprechern herauszuschallen scheint: Ein verzweifeltes Ringen um die Dinge, die das Leben ausmachen, eine rastlose Suche nach Sinn, und gleichzeitig eine unbekümmerte Wildheit, die Bedingungslosigkeit einer Person – eine traurige Freude am Leben. Mit dem überraschend rauen „Dein Herz Sei Wild“ neigt sich die Platte dann ihrem Ende zu: „Du bist schon viel zu lange wach, da ist eine Wahrheit, die es zu verteidigen gibt“ ist der letzte Satz der Scheibe, und irgendwie ist das dann die wirklich passende Beschreibung.Aufgewühlt und unruhig findet man sich nach dem Hören wieder. Aber auch glücklich, wie als wäre man zu lange wach gewesen. Und dann merkt man, dass es in Wirklichkeit noch viel mehr über die Band zu schreiben gäbe, über ihre Musik, die Texte und das neue Album. Am meisten spricht aber immer noch die Musik für sich. Denn die gehört eben wie oben beschrieben nicht zur sanften Berieselungsmusik, sondern schafft es, einen wirklich zu berühren. Am Ende fühlt man sich dann wirklich bereichert, und möchte am liebsten rennen, den ganzen Weg, auf einen Hügel und von dort aus lauthals verkünden: „Heureka!“

Tobias Gralke – 20.10.2008